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Branchen | Russland | Öl- & Gasindustrie

Für Russlands Ölindustrie ändert sich das Klima

Die Erschließung neuer Vorkommen und Investitionen in digitale Lösungen und Umwelttechnik hellen die Stimmung auf. Für frischen Wind sorgt der Trend zur Dekarbonisierung.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Ölförderung steuert auf ihren Höhepunkt zu

    Russland produziert wieder mehr Öl. Konzerne investieren in die Erschließung neuer Lagerstätten. Die Abhängigkeit von der Branche sinkt jedoch.

    Der Trend zur Dekarbonisierung in der Europäischen Union (EU), den USA und China bringt Russlands Ölförderung mittelfristig in Bedrängnis. Im konservativen Szenario ihrer Energiestrategie rechnet die Regierung bis 2024 mit einem Anstieg der Produktion auf rund 555 Millionen Tonnen pro Jahr, anschließend bis 2035 mit einem Rückgang auf 490 Millionen Tonnen. Im optimistischen Szenario legt die Fördermenge bis 2024 auf 560 Millionen Tonnen zu und geht bis 2035 leicht auf 555 Millionen Tonnen zurück. Den Rekord aus dem Jahr 2019 mit 560,3 Millionen Tonnen erreicht die Ölförderung nur im positiven Szenario. Russland dürfte Mitte der 2020er Jahre den "Peak Oil" erreichen.

    Geringere Öleinnahmen schmälern Bruttoinlandsprodukt und Staatshaushalt

    Der Anteil der Öl- und Gasindustrie an der Entstehung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sank im Jahr 2020 im Vorjahresvergleich um 4 Prozentpunkte auf 15,2 Prozent, meldet der Statistikdienst Rosstat. Der Öl- und Gassektor trug demnach mit rund 197 Milliarden Euro knapp ein Siebtel zur russischen Wirtschaftsleistung bei. Im 1. Quartal 2021 fiel der Anteil der Öl- und Gaseinnahmen am russischen Staatshaushalt mit etwa 17,4 Milliarden Euro auf den niedrigsten Stand seit 2011. Die Bedeutung der Branche für Russlands Wirtschaft und Staatsfinanzen korreliert eng mit der Entwicklung des Ölpreises.

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    OPEC+ lockert Begrenzung der Fördermenge

    Das Kartell OPEC+, dem Russland angehört, verlängerte im Juli 2021 die im Mai 2020 beschlossene Begrenzung der Fördermenge von Öl bis Ende 2022. Da die Nachfrage steigt und Lagerbestände weltweit abnehmen, wird die Produktion schrittweise erhöht. Seit 1. August 2021 darf Russland 400.000 Barrel pro Tag zusätzlich fördern. Für 2021 sind insgesamt 512,5 Millionen Tonnen Öl angepeilt. Ab Mai 2022 steigt die Quote um weitere 500.000 Barrel pro Tag. Damit erreicht Russland im Mai 2022 das Förderniveau vor Beginn der Pandemie. Das Wirtschaftsministerium erwartet 2022 im Vorjahresvergleich einen Anstieg um 7,3 Prozent auf 550 Millionen Tonnen Öl.

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    Im Jahr 2020 belegte Russland bei der Förderung von Erdöl mit einem Anteil von rund 11 Prozent Platz drei und rangierte damit hinter den USA und Saudi-Arabien. Im Vergleich zum Vorjahr hat das größte Flächenland der Erde damit einen Platz eingebüßt. Branchenprimus ist Rosneft mit 204,5 Millionen Tonnen, trotz eines Rückgangs von 11,2 Prozent im Vergleich zu 2019. Russlands größter Ölkonzern hielt damit 6 Prozent an der weltweiten und 40 Prozent an der russischen Ölförderung, gefolgt von Gazprom Neft (einschließlich Joint Ventures), Lukoil, Surgutneftegaz und Tatneft.

    Übersicht über die Marktanteile der größten russischen Ölkonzerne

    Fördermenge (in Mio. Tonnen)

    Marktanteil an der Ölförderung in Russland (in %)

    Rosneft

    204,5

    39,9

    Gazprom Neft (einschließlich Joint Ventures)

    96,1

    18,7

    Lukoil

    80,1

    15,6

    Surgutneftegaz

    54,8

    10,7

    Tatneft

    26,0

    5,1

    Sonstige

    51,3

    10,0

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Konzerne investieren in neue Ölfelder

    Russland liegt mit Erdölvorkommen im Umfang von rund 80 Milliarden Barrel im globalen Länderranking auf Platz acht. Nach Berechnungen des Umweltministeriums vom September 2019 haben die nachgewiesenen Erdölvorräte einen Wert von rund 1 Billion US-Dollar (US$). Die Öl- und Gasreserven im arktischen Schelf werden zusammen auf etwa 20 Billionen US$ geschätzt.

    Die russischen Ölkonzerne investieren gegen den weltweiten Trend weiter in die Erschließung neuer Vorkommen. Im Jahr 2020 wurden in Russland rund 70 Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven entdeckt, meldet die Energieagentur Westwood. Um ein stabiles Produktionsniveau bis 2035 aufrechtzuerhalten, müssen laut Energieministerium bis 2025 mindestens 10,4 Milliarden Tonnen neu erschlossen werden. Der Anteil neuer Lagerstätten wird bis 2025 rund ein Viertel der Ölförderung einnehmen und bis 2035 auf ein Drittel steigen, prognostiziert Anton Rubzow, Direktor der Abteilung Öl- und Gasverarbeitung im Energieministerium. Hierzu seien bis 2035 Investitionen von knapp 19 Billionen Rubel (rund 220 Milliarden Euro) erforderlich.

    Rosneft investiert 2021 circa 11,5 Milliarden Euro in neue Förderprojekte. Lukoil kalkuliert das Vorjahresniveau von rund 5,7 Milliarden Euro ein und will Ende 2021 seine Entwicklungsstrategie bis 2032 mit Investitionsprojekten im Umfang von 7 Milliarden US$ vorstellen. Gazprom Neft plant mit 4,8 Milliarden Euro etwa die gleiche Summe ein wie im Vorjahr.

    Erschließung arktischer Lagerstätten technisch aufwändig

    Die Ölvorkommen in der Wolga-Ural-Region und in Westsibirien gehen allmählich zur Neige. Zudem kann nicht jede Ölquelle wieder hochgefahren werden, die im Zuge der Fördermengenbegrenzung der OPEC+ im Mai 2020 außer Betrieb genommen wurde. Von der Stilllegung sind meist ältere Förderanlagen aus Sowjetzeiten betroffen.

    Die Regierung legt in ihrer Energiestrategie den Fokus daher auf die Erschließung schwer zugänglicher Vorkommen. Betroffen sind rund 70 Prozent der Lagerstätten, davon der Großteil in der Arktis und im Kontinentalschelf. Dort lagern rund 83 Milliarden Tonnen Kohlenwasserstoffe. Fehlende Technologien aufgrund der EU- und US-Sanktionen gegen die russische Ölindustrie machen die Erschließung der Vorkommen auf dem Festlandsockel bis 2035 jedoch schwierig bis unmöglich, befürchtet das Energieministerium. Die Förderung arktischer Vorkommen mit den derzeit verfügbaren Technologien ist zudem erst ab einem Preis von 80 bis 90 US$ pro Fass rentabel. Das Energieministerium rechnet hingegen bis 2035 mit einem Preis von maximal 75 US$ pro Barrel.

    Pawel Sawalny, Leiter des Ausschusses für Energie der Staatsduma, schlug Mitte April 2021 die Alternative vor, die bereits erschlossenen Lagerstätten maximal zu nutzen. Bei den aktuellen Fördermengen reichen ihre Vorräte noch etwa 59 Jahre, schätzt Umweltminister Alexander Kozlow. Doch auch bei den bereits erschlossenen Ölvorkommen kann nur rund ein Drittel profitabel gefördert werden, gibt der stellvertretende Energieminister Pawel Sorokin zu bedenken. Daher könnten die technisch förderbaren Reserven bereits im Jahr 2040 erschöpft sein, warnt Jewgenij Kiseljow, Leiter der Föderalen Agentur für die Nutzung von Bodenschätzen (Rosnedr).

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Ölkonzerne weiten Förderung aus

    In Russland erschließen Unternehmen neue Ölfelder. Rosneft realisiert mit Vostok Oil das weltgrößte Förderprojekt. Der Bedarf an modernen Bohranlagen und digitalen Lösungen steigt.

    Russlands Ölkonzerne nehmen gegen den weltweiten Trend die Erschließung neuer Lagerstätten in Angriff. Da vielerorts mit veralteter Technik gefördert wird, ist der Technologiebedarf enorm. Nur rund 15 Prozent der Bohrausrüstung sind weniger als zehn Jahre in Betrieb. In den kommenden Jahren werden daher rund 200 neue Bohranlagen benötigt. Dies eröffnet Absatzchancen für deutsche Lieferanten von Landbohranlagen wie Bentec, Hersteller von Pumpen wie Lewa oder Kompressoren wie MAN Energy Solutions.

    Wintershall Dea zieht sich aus Joint Venture zurück

    Zur Erschließung seiner Ölvorkommen setzt Russland nach wie vor auf Kapital und Expertise ausländischer Investoren. Diese reagieren unterschiedlich auf die Offerten. Shell erwägt eine Partnerschaft mit Gazprom Neft zur Erschließung des Vorkommens Meretoyakhinskoe im autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Das deutsche Öl- und Gasunternehmen Wintershall Dea zog sich hingegen Ende Mai 2021 aus dem Joint Venture Wolgodeminoil mit Lukoil zurück.

    Aktuelle Investitionsprojekte der Onshore-Ölförderung in Russland (Investitionssumme in Millionen Euro)

    Projekt / Standort

    Summe

    Projektstand

    Unternehmen

    Bau eines neuen Öl- und Gasförderzentrums, Feld Tazovskoye: 1,1 Mrd. Tonnen Rohöl / Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen

    1.744,0

    Geplante Inbetriebnahme: 2030

    Gazprom Neft

    Bau eines Innovationszentrums zur Erprobung neuer Bohrtechnologien / Sonderwirtschaftszone Nowoorlowskaja, Sankt Petersburg

    34,8

    Geplante Inbetriebnahme: 2023

    Gazprom Neft

    Bau eines Kesselhauses und Abwassertanks, einer Umspannstation, sowie von Stromleitungen / Ölfeld Ashalchinskoye, Republik Tatarstan

    k.A.

    Generalplaner: VNIPINeft

    Tatneft

    Modernisierung der Ölpumpstation Kushchevskaya, u.a. Pumpen, Filtersysteme, Tanks, Luftkühler / Region Krasnodar

    k.A.

    Generalplaner: Institut po projektirovaniyu magistralnykh truboprovodov; Baubeginn: April 2022

    Chernomortransneft

    Modernisierung des Ölfelds Jaregskoye, u.a. Pumpen, Anlagen zur Dampfinjektion, Belüftung und Stromversorgung

    k.A.

    Generalplaner: OOO Lukoil-Engineering

    Lukoil-Komi

    Bau von Infrastruktur zur Förderung von Erdöl und Erdgas für vier Lagerstätten: Hochdruckwasserleitungen, Öl- und Gaspipelines / Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen

    k.A.

    k.A.

    Gazprom Neft-Noyabrskneftegaz

    Exploration schwer erschließbarer Ölvorkommen: Seismische 3D-Untersuchungen, Explorationsbohrungen / Gebiet Orenburg

    k.A.

    Projekt läuft bis 2023

    OOO Novye Tekhnologii Dobychi Nefti (Joint Venture von Tatneft, Gazprom Neft und Lukoil)

    Übernahme der Ölförderung der insolventen Juschnaja Neftjanaja Kompanija / Gebiet Astrachan

    k.A.

    Förderlizenz bis 2025

    Technonikol

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Rosneft startet Megaprojekt Vostok Oil

    Rosneft begann 2020 mit der Umsetzung des Ölförderprojekts Vostok Oil. Die Vorkommen des Vankor-Clusters, des Pajacha-Feldes und des Zapadno-Irkinskoye-Gebiets auf der Halbinsel Taimyr im Norden der Region Krasnojarsk belaufen sich auf rund 6 Milliarden Tonnen Öläquivalent. Daneben sollen Kraftwerkskapazitäten zur Stromerzeugung, drei Flugplätze, der Seehafen Port Bukhta Sever inklusive Ölterminal mit einer Kapazität von 100 Millionen Tonnen sowie rund 800 Kilometer Pipelines in der schwer zugänglichen und unwirtlichen Gegend entstehen. Hinzu kommen 3.500 Kilometer Stromleitungen sowie 15 Ortschaften.

    Das Erdöl der Taimyr-Halbinsel ist leicht (40 Grad API) und enthält nur einen geringen Schwefelgehalt von weniger als 0,05 Prozent. Die niedrigen Gestehungskosten von weniger als 3 US-Dollar (US$) pro Barrel steigern zusätzlich die Wettbewerbsfähigkeit des Rosneft-Vorhabens. Bis 2030 soll die Förderung auf 100 Millionen Tonnen pro Jahr steigen und das Öl über den Nördlichen Seeweg nach Europa und Asien transportiert werden.

    Um die geplanten Investitionen von rund 125 Milliarden Euro bis 2030 stemmen zu können, holt Rosneft internationale Partner ins Boot. Im Juni 2021 verkaufte Russlands größter Ölkonzern jeweils 5 Prozent der Projektanteile an die Öltrader Vitol S.A. und Mercantile & Maritime Energy. Bereits Ende 2020 erwarb der Händler Trafigura 10 Prozent der Anteile an Vostok Oil.

    Auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum 2021 unterzeichnete Rosneft 73 Verträge im Wert von etwa 7,2 Milliarden Euro. Allein für das Vorhaben Vostok Oil schloss der Ölkonzern 50 Verträge im Wert von 6,5 Milliarden Euro ab, darunter in den Bereichen Maschinen- und Straßenbau, Energieanlagen und Metallurgie. Benötigt werden 100 Bohrsysteme für 20.000 Produktions- und Injektionsbohrungen.

    Aktuelle Auftragsvergaben im Projekt "Vostok Oil"

    Auftrag

    Unternehmen

    Bau von Wasserkraftwerken

    Obedinennaya Energeticheskaya Kompaniya

    Projektierungsarbeiten

    LenmorNIIProekt

    Metallprodukte für Pipelines und Tanklager

    Trubnaya Metallurgicheskaja Kompaniya

    Aufbau der Stromversorgung, u. a. Gaskraftwerk "Irkinskaya", Überlandleitungen, Kraftwerksblöcke beim Ölpumpwerk Pajacha und am Hafen "Port Bukhta Sever"

    InterRAO-Engineering

    Logistikdienste

    NorNickel

    Lieferung von Straßenbaumaschinen

    Obedinennaya Mashinostroitelnaya Gruppa

    Catering, Herbergen

    Sodexo Evroaziya

    Lieferung von Lkw und Baumaschinen

    Kamaz

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Ölkonzerne setzen verstärkt auf digitale Lösungen

    Um ihre Effizienz bei der Erschließung und Förderung zu steigern, setzen Russlands Ölkonzerne verstärkt auf digitale Lösungen. Dadurch könne die Branche jährlich knapp 8 Milliarden Euro einsparen, schätzt das Energieministerium. Die Erschließungs- und Förderkosten könnten um 15 Prozent, die Frist für die Inbetriebnahme von Anlagen sogar um 40 Prozent gesenkt werden. Bis dato beträgt der Anteil Russlands am Weltmarkt digitaler Technologien zur Exploration und Produktion erst 5 Prozent oder 100 Millionen US$. Doch bis Ende 2021 könnte der Marktanteil auf 6 bis 7 Prozent steigen. Bis 2030 wächst in der Öl- und Gasindustrie zudem der Bedarf an Industrierobotern auf 1 Million Stück, schätzen die IT-Konzerne Yandex und JetBrains.

    Rosneft entwickelt digitale Technologien für schwer erschließbare Ölreserven. Eine Lösung ermöglicht die Erstellung dreidimensionaler Modelle von Gesteinsproben, die die Bewegung ölführender Flüssigkeiten in Lagerstätten simuliert. Daneben setzt Russlands größter Ölkonzern auf KI-gestützte Systeme zur Überwachung der Bohrdaten. Schließlich will Rosneft bis 2025 von importierter Software für Geologie und Exploration unabhängig werden und diese durch eigene Produkte ersetzen.

    Gazprom Neft hat einen digitalen Zwilling des Ölfelds Alexander Zhagrin im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen (Jugra) erstellt. Mithilfe der Simulationen kann das Unternehmen seine Effizienz bis Ende 2023 um rund 11,5 Millionen Euro steigern.

    Lukoil setzt bei der digitalen Transformation auf die Kooperation mit Siemens. In einer digitalen Plattform soll ein End-to-End-Prozess für die Entwicklung von Rezepturen und die Qualitätskontrolle von Produkten aufgebaut werden.

    Offshore-Förderung unterliegt westlichen Sanktionen

    Russlands Ölförderung unterliegt Sanktionen der USA und Europäischen Union (EU). Lieferverbote gelten für Erschließungs- und Förderausrüstungen, die im Offshore-Gebiet nördlich des Polarkreises, in Meeresgebieten mit einer Wassertiefe von mehr als 150 Metern und in der Schieferöl- und -gasgewinnung eingesetzt werden. Eine ausführliche Liste enthält Anhang II der EU-Verordnung Nr. 833/2014.

    Unternehmen, die Ausrüstungen oder Dienstleistungen zur Öl- und Gasförderung nach Russland liefern, benötigen einen Freibescheid. Grundsätzlich ist für die Ausfuhr der in der EU-Verordnung genannten Produkte nach Russland eine Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) notwendig.

    Weitere Informationen finden Sie auf der GTAI-Sonderseite zu den EU-Russland-Sanktionen, auf der Webseite des BAFA sowie unter der BAFA-Hotline (T +49 6196-908-1237).

    Russlands Regierung richtete im Januar 2021 beim Institut für Initiativen in den Öl- und Gastechnologien (INTI) eine landeseigene Zertifizierungsstelle für Maschinen und Anlagen im Bereich der Öl- und Gasförderung ein. Unter Umgehung von US-Normen will sich die Branche damit vor weiteren US-Sanktionen schützen. Die Abhängigkeit von Lieferanten aus dem Ausland sinkt. Vor 2014 importierte die Ölindustrie mindestens 80 Prozent ihrer Ausrüstung. Bis 2020 sank dieser Anteil auf 50 Prozent.

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Einnahmen aus Ölexporten sprudeln wieder

    Die globale Nachfrage nach Erdöl erholt sich. Während die Ausfuhrmenge sinkt, profitieren Russlands Ölkonzerne von den steigenden Preisen in Europa, China und den USA.

    Obwohl die Coronapandemie global noch nicht überstanden ist, steigt die Nachfrage nach Öl wieder. Die knappen Reserven treiben die Weltmarktpreise nach oben. Der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Urals stieg im 1. Halbjahr 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 60 Prozent auf 63,35 US-Dollar (US$). Da das Kartell OPEC+ die Fördermenge seit 1. August 2021 schrittweise erhöht, rechnet das Energieministerium 2021 lediglich mit einem durchschnittlichen Preis von 55 US$ pro Barrel. Bis 2024 soll der Preis auf bis zu 60 US$ steigen, erwartet Energieminister Nikolaj Schulginow.

    Ölnachfrage wird Ende 2022 das Vorkrisenniveau erreichen

    Die weltweite Nachfrage nach Rohöl soll bis Ende 2022 auf 100,6 Millionen Barrel pro Tag steigen. Somit werden 2021 durchschnittlich 5,4 Millionen Barrel pro Tag und 2022 weitere 3,1 Millionen Barrel zusätzlich umgesetzt. Damit wird voraussichtlich wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht, berechnet die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem Marktreport vom Juni 2021. Bis 2030 soll der tägliche Bedarf etwa 104 Millionen Barrel erreichen.

    Russland exportiert 2021 weniger Öl

    Die Ausfuhren von Erdöl in Länder außerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gingen als Folge der Fördermengenbegrenzung der OPEC+ im 1. Halbjahr 2021 um 12,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 104,1 Millionen Tonnen zurück, meldet die zentrale Dispatcherverwaltung des Energieministeriums (ZDU TEK). Die Exporte in GUS-Staaten, vor allem Belarus, stiegen hingegen um 34 Prozent auf 6,2 Millionen Tonnen.

    Für das Gesamtjahr 2021 rechnet das Wirtschaftsministerium mit einer Exportmenge von 217 Millionen Tonnen und damit 6,6 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Jahr 2022 sollen die Ölausfuhren laut Basisszenario auf 250,9 Millionen Tonnen und 2023 weiter auf 262,9 Millionen zulegen. Dieses Niveau soll auch 2024 gehalten werden.

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    Im Jahr 2020 gingen die Ölexporte aufgrund der sinkenden Nachfrage um 12,6 Prozent auf 232,4 Milliarden Tonnen zurück, meldet das Energieministerium. Der Preis für Rohöl der Sorte Urals brach um mehr als ein Drittel auf durchschnittlich 41,73 US$ pro Barrel ein, den niedrigsten Wert seit 2004.

    Einnahmen aus Ölexporten steigen wieder

    Rohöl und Erdölprodukte sind das wichtigste Exportgut Russlands. Mit einem Weltmarktanteil von 11,3 Prozent war Russland 2020 nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Exporteur von Erdöl. Die Ausfuhren von Rohöl und Ölprodukten waren für 35 Prozent der Einnahmen aus dem Außenhandel verantwortlich, meldet der Föderale Zolldienst.

    Die Ölbranche profitiert von den derzeit hohen Ölpreisen. In den ersten fünf Monaten 2021 stiegen die Einnahmen aus den Ölexporten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,1 Prozent auf 36,3 Milliarden US$. Im Vorjahr waren die Einnahmen um 40,8 Prozent auf 72,4 Milliarden US$ zurückgegangen.

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    Nachfrage nach Rohöl aus der EU sinkt mittelfristig

    Die Europäische Union (EU) ist Russlands wichtigster Exportmarkt für Rohöl und Ölprodukte. Rund die Hälfte der entsprechenden Ausfuhren in die EU erfolgt über die Pipeline "Druschba" oder per Schiff. Russlands Marktanteil an den europäischen Importen liegt bei etwa 30 Prozent. Deutschland deckt knapp ein Drittel seines Rohölbedarfs mit Einfuhren aus Russland und bezog 2020 rund 26,3 Millionen Tonnen Erdöl. Wichtigster Grund für die russische Dominanz auf dem EU-Markt ist die Beschaffenheit des gelieferten Öls, das für europäische Verarbeitungswerke besser geeignet ist als Öl aus anderen Weltregionen.

    Mittelfristig wird die EU für Russlands Ölexporteure jedoch an Bedeutung verlieren. Durch den Green Deal dürfte die Nachfrage nach Rohöl sinken. Bis 2040 wird sich der EU-Markt halbieren, schätzt Leonid Fedun, Miteigentümer von Lukoil. Bei erfolgreichen Verhandlungen über das Atomabkommen JCPOA und einer Aufhebung der US-Sanktionen könnte zudem der Iran weitere 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag auf den Markt bringen und die Vormachtstellung Russlands bei seinem wichtigsten Abnehmer gefährden.

    Wettbewerb um chinesischen Markt verschärft sich

    China war 2020 mit 85,6 Millionen Tonnen im Wert von 27,3 Milliarden US$ nach der EU der zweitwichtigste Absatzmarkt für russisches Öl. Rund 28 Prozent der Ölausfuhren gehen in das Reich der Mitte, vor allem über die Pipeline "Ostpazifik – Stiller Ozean (ESPO)" sowie per Tanker über die Häfen im Fernen Osten. Bis 2025 dürfte die Ölnachfrage aus China weiter steigen, schätzen Analysten der Investmentbank Morgan Stanley. Anschließend wird der Druck zur Dekarbonisierung bis 2060 den Rohölbedarf voraussichtlich dämpfen. Im chinesischen Markt konkurriert Russland mit Saudi-Arabien um die Vormachtstellung als Anbieter. Das Königreich lieferte 2020 Rohöl für etwa 28,1 Milliarden US$ und war mit einem Anteil von 15,9 Prozent Chinas wichtigster Lieferant.

    USA importieren zunehmend aus Russland

    Die Vereinigten Staaten erhöhen ihre Einfuhren von Erdölprodukten aus Russland. Zwischen Januar und Mai 2021 stiegen die russischen Exporte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 22,7 Prozent auf 844.000 Barrel pro Tag. Der Erlös kletterte sogar um 78 Prozent auf 6,7 Milliarden US$. Damit verdrängte Russland Mexiko und belegte im Ranking der wichtigsten Lieferländer der USA mit einem Marktanteil von 6,9 Prozent Platz zwei hinter Kanada. Im Pandemiejahr 2020 stiegen die russischen Ausfuhren von Rohöl und Ölprodukten wie Heizöl und Masut in die USA um 3,5 Prozent auf 538.000 Barrel pro Tag.

    Der Anteil Russlands am US-Ölmarkt erreichte mit 7 Prozent seinen Höchststand. Russland profitiert davon, dass US-Firmen wegen der Sanktionen gegen Venezuela kein Rohöl mehr von dort beziehen dürfen. Die Ankündigung von Rosneft, seine Erdölexporte künftig nicht mehr in US-Dollar abzuwickeln, um mögliche weitere US-Sanktionen abzufedern, bedeutet für seine Abnehmer in den Vereinigten Staaten jedoch einen größeren Verwaltungsaufwand und höhere Kosten.

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Ölindustrie setzt auf nachhaltige Lösungen

    Umweltkatastrophen, Klimawandel und der Green Deal der EU drängen Russlands Ölkonzerne zu mehr Nachhaltigkeit. Investitionen in Umwelttechnik stehen hoch im Kurs.

    Eine altersschwache Infrastruktur und Unfälle führen in Russland jährlich zu mindestens 10.000 Öllecks, schätzt Greenpeace. Häufig werden die Defekte und ihre Folgen erst spät oder gar nicht bemerkt. Rund 9.000 Tonnen Öl entwichen im Mai 2021 aus einer Pipeline der Lukoil-Lagerstätte Oshskoye in der Republik Komi und gelangten über die Flüsse Kolwa und Petschora in die Barentssee.

    Der globale Klimawandel verschärft die Situation. Rund 45 Prozent der Öl- und Erdgasfelder in der Arktis stehen auf instabilem Grund, meldet der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC). Der auftauende Permafrostboden kann zum Absacken von Bohrtürmen und Pipelines führen. Weitere Öllecks sind die Folge. Die Behörden in Russland reagieren mit der Einführung neuer Haftungsregeln für die Erdölbranche. Konzerne müssen Rücklagen für Schadenersatz bilden und Pläne mit Maßnahmen zur Vermeidung und Beseitigung von Ölunfällen vorlegen.

    Ölförderung soll umweltverträglicher werden

    Die Europäische Union (EU) kündigte im Rahmen ihres Green Deal ab 2023 die Einführung eines CO2-Grenzausgleichs (Carbon Border Adjustment Mechanism) an. Die russische Erdöl- und Erdgasindustrie müsse mit Mehrkosten von bis zu 2 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr rechnen, schätzt die Boston Consulting Group. Bereits im Dezember 2020 schlug die EU-Kommission vor, den Bau neuer Gas- und Ölpipelines nicht mehr zu unterstützen. Auch Russlands zweitgrößter Ölabnehmer China will bis 2060 klimaneutral werden.

    Der Klimaschutz rückt auf der Branchenagenda somit ganz nach oben. Ein niederländisches Gericht verpflichtete im Mai 2021 mit Royal Dutch Shell erstmals einen Ölkonzern dazu, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu reduzieren. Es begründete die Entscheidung mit dem Verstoß des Ölkonzerns gegen globale Klimaziele. Von diesem Beschluss geht eine Signalwirkung für Ölproduzenten aus, darunter auch in Russland.

    Will der weltweit größte Flächenstaat in Zukunft ausländische Investoren für Ölförderprojekte gewinnen, müssen für die Projektfinanzierung strenge Umweltauflagen erfüllt werden. Die Deutsche Bank fördert im Rahmen ihrer neuen Kohlenwasserstoffpolitik keine Öl- und Gasprojekte in der Arktis mehr.

    Russlands Ölkonzerne reagieren auf steigende Umweltanforderungen sowie den wachsenden Druck zur Dekarbonisierung in wichtigen Absatzmärkten und investieren zur Verringerung ihres CO2-Abdrucks zunehmend in Umwelttechnik.

    Rosneft will Treibhausgasemissionen reduzieren

    Der größte Ölkonzern des Landes will mit einem Plan zum CO2-Management bis 2035 Vorreiter bei nachhaltigen Lösungen werden. Der Ausstoß soll um bis zu 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zurückgehen, die Emissionsintensität der Öl- und Gasförderung um 30 Prozent sinken und der Austritt von Methan auf unter 0,25 Prozent reduziert werden. Das Abfackeln von Begleitgas soll auf ein Minimum zurückgefahren und dieses stattdessen zur Energiegewinnung genutzt werden. Darüber hinaus entwickelt der Konzern ein Programm zur Aufforstung von Wäldern und zur Rekultivierung kontaminierter Flächen. Bis 2024 investiert Rosneft rund 1,6 Milliarden Euro in grüne Projekte.

    Mit BP vereinbarte Rosneft im Februar 2021 die Entwicklung von erneuerbaren Energiequellen und von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) in erschöpften Lagerstätten. Russlands führender Ölkonzern setzt daneben auf die Entwicklung von Wasserstoff.

    Rosneft verwendet innovative Technologien zum Aufspüren von Lecks. Drohnen, Infrarot- und Wärmebildgeräte sowie Ultraschalldetektoren tragen dazu bei, Ölaustritte frühzeitig zu erkennen und die Schäden für die Umwelt zu minimieren. Zur Beseitigung von Ölverschmutzungen im Arktischen Ozean kommen mikrobielle Präparate zum Einsatz.

    Vostok Oil soll Nachhaltigkeitsstandards setzen

    Das Megaprojekt Vostok Oil ist von Beginn an mit einem um 75 Prozent niedrigeren CO2-Abdruck konzipiert als vergleichbare Vorhaben. Die Intensität der Methanemissionen liegt bei lediglich 0,2 Prozent. Aufgrund des geringen Schwefelgehalts von 0,01 bis 0,04 Prozent ist das Öl von Vostok Oil leichter zu verarbeiten. Dadurch sinkt der Schadstoffausstoß. Neben Windkraftanlagen kommt bei der Energiegewinnung Begleitgas zum Einsatz. Mit einer Emissionsrate von 12 Kilogramm CO2 pro Barrel Öl liegt Vostok Oil der Agentur Wood Mackenzie zufolge bei einem Viertel des weltweiten Durchschnitts von 50 Kilogramm. Rosneft-Chef Igor Setschin spricht daher von "grünem Öl", das aus den Feldern des Projektes gewonnen wird.

    Auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum Anfang Juni 2021 vereinbarte Rosneft mit der US-Firma SUEZ Water Technologies & Solutions eine Zusammenarbeit bei der Aufbereitung von Abwasser. Mit dem dänischen Konzern Vestas will Rosneft auf der Halbinsel Taimyr einen Windpark errichten.

    Gazprom Neft, Lukoil und Tatneft wollen grüner werden

    Um seinen CO2-Fußabdruck zu verringern, unterzeichnete Gazprom Neft auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum Anfang Juni 2021 mit Severstal und Evraz eine Vereinbarung, um gemeinsam die Produktion, den Transport und die Lagerung von Wasserstoff zu entwickeln. Daneben setzt Gazprom Neft auf Solarenergie als grüne Energiequelle. Das Tochterunternehmen Gazprom Neft-Orenburg investiert bis 2023 rund 27 Millionen Euro in ein integriertes System zur Überwachung der Luftqualität auf einem Ölfeld im Gebiet Orenburg. Bis Ende 2021 werden mehr als 900 Sensoren und 16 Messstationen errichtet.

    Russlands größter privater Ölkonzern Lukoil will bis 2050 CO2-neutral werden und plant hierzu die Produktion von grünem Wasserstoff. Seit März 2021 entwickelt eine Energiedirektion die Gewinnung erneuerbarer Energien im Unternehmen weiter.

    Um CO2-Neutralität zu erreichen, setzt auch Tatneft auf den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und Technologien zur Erfassung und Speicherung von Treibhausgasen (CCS). Bis 2030 will das Unternehmen ein Viertel seiner Emissionen durch Aufforstungsmaßnahmen kompensieren.

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

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