Die Hoffnung auf eine rasche Erholung des Chemiesektors im Jahr 2023 verblasst. Die Branche orientiert sich um auf neue Geschäftsfelder.
Die Lage in der Chemiebranche bleibt nach einem schwierigen Jahr 2022 auch 2023 kritisch. Der erhoffte Aufschwung findet nicht statt.
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Rückgang des Produktionsvolumens des französischen Chemiesektors im Jahr 2022.
Zwar konnte die Branche das Jahr 2022 mit Umsätzen von 129 Milliarden Euro abschließen, einer Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr von knapp 33 Prozent. Diese allerdings beruhte im Wesentlichen auf der Weitergabe gestiegener Kosten. Denn das Produktionsvolumen war im gleichen Zeitraum um 3,3 Prozent zurückgegangen. Im 1. Quartal 2023 erreichte der Produktionsrückgang laut Branchenverband France Chimie 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Damit allerdings hält sich die französische Chemie im europäischen und deutschen Vergleich noch verhältnismäßig gut. So sank die deutsche Produktion im 1. Quartal 2023 laut Eurostat um 18,7 Prozent, die der europäischen Gesamtchemie um 14,8 Prozent.
Trotz der Produktionsrückgänge kann der französische Chemiesektor im 1. Quartal 2023 die Exporte um nominal 3,6 Prozent auf gut 21 Milliarden Euro steigern. Angesichts einer sinkenden Nachfrage sowie hohen Lagerbeständen bei Branchenunternehmen gingen die Importe zurück, sodass der Sektor im 1. Quartal 2023 einen Handelsbilanzüberschuss von 4 Milliarden Euro erwirtschaftete.
Die in Frankreich starke Sparte der Parfum-, Seifen-, Wasch- und Körperpflegemittelchemie stützt Produktion und Ausfuhren. Auch Unternehmen, die Spezialchemie für Sektoren wie die Automobilindustrie, den Elektronikbereich oder den Energiesektor herstellen, können ihre Produktion und Umsätze stabil halten oder teils steigern. Der Bereich der Basischemie sowie der mineralischen und organischen Chemie hingegen war 2022 stark rückläufig.
Teure Energie und sinkende Nachfrage trüben die Stimmung
Die Stimmung unter den Branchenunternehmen bleibt in 2023 anhaltend schlecht. Das Geschäftsklima in der Chemieindustrie verharrt laut Statistikamt INSEE seit Juli 2022 im negativen Bereich. Im August 2023 lag der Geschäftsklimaindex bei 90 Punkten und damit vergleichbar niedrig wie im Winter 2022/23.
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Zwar sind die Produktionskosten gegenüber Juni 2022 laut dem Produktionskostenindex des Statistikamts Insee um 25 Punkte auf 125 Punkte gesunken, liegen aber immer noch um 25 Punkte höher als im Januar 2020. Die im internationalen Vergleich nach wie vor hohen Preise für Energie machen gerade den energieintensiven Untersektoren der Branche zu schaffen.
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Angesichts anhaltend hoher Kosten fürchtet die Branche an Konkurrenzfähigkeit gegenüber asiatischen und nordamerikanischen Wettbewerbern zu verlieren. Branchenunternehmen versuchen durch Energieeinsparungen ihre Kosten im Griff zu halten. Die Regierung unterstützt energieintensive Großkonsumenten und führt die zu Beginn des Jahres 2022 eingeführte Teilfinanzierung von Energiekosten im Jahr 2023 fort. Die Branche jedoch wünscht sich weitergehende nationale und europäische Hilfestellung und verweist auf staatliche Hilfen in den USA und der Volksrepublik China. Angesichts der starken ausländischen Konkurrenz und Kostennachteilen beginnen Unternehmen ihr Vertrauen in den französischen Markt zu verlieren und denken über Abwanderung an günstigere Produktionsstandorte nach.
Auch die schwache nationale und internationale Nachfrage bereitet den Unternehmen Sorge. Laut Banque de France liegt die Auftragsauslastung seit September 2022 unter dem langjährigen Mittel. Im Juni 2023 sanken die Auftragseingänge auf 20 Punkte unter den Mittelwert. Nur zu Beginn der Coronapandemie im März 2020 und im April 2009 war die Auftragslage noch schlechter. Die auch international schwache Konjunktur schlägt auf die Nachfrage nach chemischen Produkten durch. Zudem hatten sich Unternehmen im In- und Ausland aus Sorge vor anhaltenden Zulieferproblemen einen Vorrat an Vorprodukten angelegt, der angesichts einer geringen Nachfrage zunächst abgebaut wird.
Investitionen sollen die Konkurrenzfähigkeit stärken
Um die vielschichtigen aktuellen Probleme schnell und effizient angehen zu können, setzt ein Teil der Branchenunternehmen auf Investitionen, vielfach gefördert im Rahmen der Investitionspläne France Relance und France 2030. Außerhalb staatlicher Investitionen aber zögern Branchenunternehmen angesichts der schwierigen Gesamtlage und hohen Finanzierungskosten Investitionen voranzutreiben und halten sich mit Neuanstellungen zurück, so der Branchenverband France Chimie.
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Chemiebranche steht vor der Transformation
Der Marktanalyst Xerfi sieht die Chemiebranche vor einer tiefgreifenden Transformation. Nicht nur wird sich der Chemiesektor auf die durch die Energiewende und die Elektrifizierung der Wirtschaft ausgelösten Nachfrageveränderungen einstellen müssen. Xerfi erwartet, dass sich die Branche verstärkt auf neue Geschäftsfelder wie die Produktion dekarbonisierten Wasserstoffs, biobasierter Kunststoffe oder das chemische Recycling von Wertstoffen, Metallen und seltenen Erden umorientieren wird. Auch dürften, so die Einschätzung des Marktforschungsinstituts, Unternehmen gerade in energieintensiven Sektoren der Branche gezwungen sein, verstärkt in Energieeffizienz und Dekarbonisierung zu investieren. Gegenüber vor allem asiatischen Mitwettbewerbern wird es europäischen Anbietern in Zukunft schwerfallen, über den Preis zu konkurrieren.
Die Regierung unterstützt Branchenunternehmen bei der Entwicklung zukunftstauglicher und innovativer Technologien und Produkte sowie der Dekarbonisierung und stärkt Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten chemischer Unternehmen. Wichtigstes Förderinstrument ist das Innovationsprogramm France 2030 mit einem Gesamtumfang von 54 Milliarden Euro. Auch die Start-up-Förderung sowie die Unterstützung innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen steht auf der Prioritätenliste der Regierung weit oben. Die öffentliche Investitionsbank Banque Publique d'Investissement (BPI) unterstützt Transformations- und Forschungsvorhaben mit zielgenauen Finanzierungsmöglichkeiten.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in Frankreich
Akteur/Projekt | Investitionssumme (in Mio. Euro) | Projektstand | Anmerkungen |
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Eastman/Anlage für Kunststoffrecycling in Saint-Jean-de-Folleville (Normandie) | 850 | Abstimmungsverfahren läuft | Inbetriebnahme Ende 2025 geplant |
Total/Umrüstung Raffinerie in Grandpuits für Produktion von Biotreibstoffen | 500 | Projekt im September 2020 vorgestellt | Inbetriebnahme 2024 geplant |
Loop Industries (Kanada), SK Geo Centric (Korea), Suez (Frankreich)/ Chemische Recyclinganlage für PET in Carling-Saint-Avold (Moselle): Kapazität 70.000 Tonnen pro Jahr | 450 | Projektankündigung Januar 2023 | Baubeginn 2025, Inbetriebnahme 2027 geplant |
Arkema, Umstellung auf klimafreundliche Produktion, Absenkung Klimagasausstoß um 46 Prozent gegenüber 2019 | 400 | Projekt im Juli 2022 vorgestellt | Fortlaufend bis 2030 |
Solvay/Produktionsanlage für Polyvinylidenfluorid (PVDF) in Tavaux | 300 | Projekt im Januar 2022 vorgestellt | Inbetriebnahme Ende 2023 |
Chemours/ Produktion von Ionomeren und Membranen für die Wasserstoffproduktion in Viller-Saint-Paul (Oise) | 186 | Projektankündigung Januar 2023 | Inbetriebnahme 2025 geplant |
Kem One/Umrüstung Elektrolyse in Fos-sur-Mer von Diaphragma- zu Membranverfahren | 100 | Baubeginn Anfang 2023 | Inbetriebnahmen 2024; Durchführung durch CAC (Chemnitz) |
Domo Chemicals/Installation einer grünen Wasserstoffproduktion in Saint-Fons (Rhône) | 100 | Fertigstellung 2027 | Durchführung durch Hynamics (Tochter EDF) |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023
Von Frauke Schmitz-Bauerdick
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Paris