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Pharmabranche schwenkt um auf Wirkstoffproduktion

Die Herstellung von Arzneimitteln ist Russlands wachstumsstärkster Industriezweig. Der Staat kurbelt die Nachfrage an und drängt auf eine höhere Inlandsproduktion von Wirkstoffen.

Von Gerit Schulze | Moskau

Die Dynamik in der russischen Arzneimittelproduktion ist ungebrochen. Der Ausstoß stieg im 1. Quartal 2021 um fast 41 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Mit einem Plus von 23 Prozent war die Branche bereits 2020 der wachstumsstärkste Industriezweig in Russland.

Impfstoffherstellung sorgt für hohe Zuwächse

Dazu beigetragen hat die expansive Produktion von Covid-19-Impfstoffen. Vier Vakzine aus russischen Forschungslabors sind inzwischen zur Anwendung im Land registriert. Besonders große Mengen entfallen auf den Impfstoff Sputnik-V, der von den Unternehmen R-Farm, Farmstandard, Generium und Biocad produziert wird. Ab Juli 2021 will auch Nanolak 5 Millionen Dosen Sputnik-V pro Monat herstellen. Gerofarm produziert den russischen Impfstoff EpiVacCorona.

Rund 17,8 Millionen Menschen in Russland wurden laut Webportal Gogov.ru bis zum 7. Juni 2021 mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Das sind 12 Prozent der Bevölkerung. Insgesamt wurden 31,2 Millionen Impfstoffe verabreicht. Im Land werden ausschließlich selbst entwickelte Vakzine verimpft. Laut Tageszeitung Vedomosti hatte die Regierung aus dem Reservefonds Finanzmittel zur Produktion von rund 40 Millionen Dosen bereitgestellt. Bis Jahresende 2021 soll die Herstellung von weiteren 30 Millionen Dosen finanziert werden.

Steigende Ausgaben für Pharmazeutika

Auch abseits vom Impfstoffboom wächst die Nachfrage nach Medikamenten. Laut Beratungsunternehmen DSM Group überschritten die Arzneimittelverkäufe 2020 erstmals die Grenze von 2 Billionen Rubel (rund 24,7 Milliarden Euro). Der nominale Zuwachs zum Vorjahr betrug 10 Prozent. Darin enthalten sind auch Nahrungsergänzungsmittel sowie arzneimittelnahe Erzeugnisse (Parapharmazeutika).

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Der Internethandel wird als Vertriebskanal immer wichtiger. Im 1. Quartal 2021 stiegen die Online-Umsätze der Apotheken im Vergleich zum Vorjahresquartal um ein Viertel auf 46,2 Milliarden Rubel (515 Millionen Euro, durchschnittlicher Wechselkurs der EZB für das 1. Quartal 2021: 1 Euro = 89,67 Rubel). Wie das Analyseinstitut RNC Pharma mitteilte, nahm dieser Vertriebsweg einen Anteil von 13 Prozent an den Gesamtumsätzen der Apotheken ein.

Seit April 2020 können in Russland rezeptfreie Medikamente über das Internet bestellt und von autorisierten Kurierdiensten ausgeliefert werden. Die Regierung will bis 1. Juli 2021 einen Gesetzesentwurf vorlegen, der auch den Onlineverkauf rezeptpflichtiger Medikamente ermöglichen soll. Experten rechnen damit, dass der E-Commerce-Anteil der Apotheken dann innerhalb von zwei Jahren bis zu 25 Prozent erreichen könnte.

Zahl der verkauften Verpackungen steigt kaum

Trotz der positiven Produktionsentwicklung und steigenden Umsätzen beruht das Marktwachstum vor allem auf höheren Preisen. Präparate aus einheimischer Produktion verteuerten sich 2020 durchschnittlich um fast 20 Prozent, importierte Medikamente um 8 Prozent.

Bezogen auf Verpackungen schrumpft der Umfang der Arzneimittelverkäufe. Laut DSM Group wurden 2020 in Russland 6,02 Milliarden Medikamentenschachteln verkauft, ein Jahr zuvor waren es noch 6,27 Milliarden.

Größere Packungsinhalte

Während die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel seit 2014 um über 50 Prozent gestiegen sind (2020: 10.800 Rubel), stagniert der Pro-Kopf-Verbrauch an Medikamentenverpackungen bei rund 40 Schachteln. Allerdings sind die Packungsinhalte größer geworden. Das größte Wachstum erzielen derzeit Verpackungen mit mehr als 50 Tabletten, Kapseln oder Dragées.

Der Anteil russischer Medikamente oder in Auftragsfertigung vor Ort produzierter ausländischer Präparate wächst kontinuierlich. Er betrug 2020 beim Umsatzwert 42 Prozent und beim physischen Absatz, gemessen in Verpackungen, 66 Prozent.

Neue Investitionen in Fertigungsanlagen

Dank staatlicher Unterstützung in Form von Zinssubventionen und Steuerermäßigungen gehen die Investitionen in neue Pharmawerke weiter. Ein Schwerpunkt liegt aktuell auf Präparaten zur Bekämpfung des Coronavirus. Der Fonds zur Industrieentwicklung (FRP) startete 2020 ein Sonderprogramm für „Maßnahmen gegen epidemiologische Erkrankungen“. Finanziert wird die Anschaffung von Produktionsausrüstungen, Medizintechnik und Medikamenten.

Das Unternehmen Nanolek hat angekündigt, sein Impfstoff-Portfolio mit Vakzinen gegen Pneumokokken, Humane Papillomviren, Gürtelrose und Covid-19 bis 2026 zu verdreifachen.

Ausfuhren sollen deutlich expandieren

AstraZeneca vereinbarte mit dem Moskauer Pharmaunternehmen R-Farm, seinen Covid-19-Impfstoff ab Juni 2021 auch in Russland herzustellen. Die Produktion soll komplett in den Export gehen.

Das entspricht dem Ziel der Regierung, die Ausfuhren von Pharmazeutika zu erhöhen. Im Entwurf für die Strategie 2030 ist ein Exportwert von jährlich rund 1,7 Milliarden Euro vorgesehen. Im Jahr 2019 hatte Russland Arzneimittel für 495 Millionen Euro im Ausland verkauft.

Um den Erfolg auf den Außenmärkten zu erhöhen, will die Regierung bis zu 80 Prozent der Kosten für die Zulassung von Medikamenten im Ausland übernehmen. Als Höchstgrenze sind 500 Millionen Rubel (5,6 Millionen Euro) geplant. Geförderte Hersteller sind demnach verpflichtet, ihre Exporte innerhalb von fünf Jahren zu verzehnfachen. 

Noch hohe Abhängigkeit bei Arzneistoffen

Darüber hinaus ist geplant, die Produktion von Wirkstoffen in Russland voranzutreiben. Nur 7 Prozent der im Land hergestellten Arzneimittel können mit einheimischen Wirkstoffen hergestellt werden, schätzt die DSM Group. Nach Angaben von RNC Pharma wurden 2020 fast 15.000 Tonnen Arzneistoffe im Wert von 2 Milliarden Euro importiert, überwiegend aus China und Indien. Mit der Strategie Pharma-2030 soll die Importabhängigkeit auf diesem Gebiet verringert werden. Viele aktuelle Investitionsprojekte zielen daher auf die Wirkstoffproduktion.

Neue Investitionsprojekte in Russlands Pharmaindustrie (Auswahl)

Projekt / Ort

Unternehmen

Zeitplan

Investition in Mio. Euro *)

Werk für innovative Arzneimittel zur Behandlung von Tumoren und HIV, Kardiologie- und Neurologiemittel / Industriepark Jesipowo, Moskauer Gebiet

Avexima

Baubeginn im 2. Quartal 2021 geplant

56,4

Produktion von Kardiologie-Präparaten / Tjumen

Pharmasyntez

Investitionsvereinbarung im Juni 2021 unterschrieben

45,1

Neue Produktionsanlage, u.a. für antivirale, entzündungshemmende und analgetische Mittel / Chrabrowo, Gebiet Kaliningrad

OTCPharm

2023

39,5

Verdoppelung der Produktion von Grippe-Impfstoffen / Rjasan

Nacimbio

2024

33,8

Produktion von Präparaten zur intravenösen Ernährung / Kaluga

Pharmasyntez

Investitionsvereinbarung im Juni 2021 unterschrieben

33,8

Produktion von Präparaten gegen seltene Krankheiten / Jaroslawl

Takeda Rossija

bis 2027

25,9

Lokalisierung von 20 Arzneimitteln / Moskau

Endopharm

Im Februar 2021 Offset-Vertrag mit Moskauer Stadtregierung mit 10 Jahren Laufzeit abgeschlossen

11,3

Neue Produktionsstätten für Biotech-Arzneimittel in Ufa, Perm und Tomsk

Nacimbio

bis 2025

k.A.

Kompletter Produktionszyklus zur Synthese von Wirkstoffen, gentechnisch veränderten Arzneimitteln und rekombinanten Impfstoffen / Podolsk, Moskauer Gebiet

Petrovax

bis 2025

k.A.

Aufbau einer Wirkstoff-Produktion für Krebspräparate / Sankt Petersburg (Puschkin)

Aktiwny komponent

Angekündigt im Frühjahr 2021

k.A.

*) Umgerechnet zum EZB-Wechselkurs vom 4. Juni 2021: 1 Euro = 88,69 RubelQuelle: Unternehmensangaben, Pressemeldungen, Recherchen von Germany Trade & Invest

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