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Russlands Wälder sollen CO2-Fußabdruck senken

Russland will bis 2060 klimaneutral werden und das CO2-Absorptionspotenzial seiner Wälder nutzen. Voraussetzung dafür ist die internationale Anerkennung der Methode.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

Klimaschutz ist in Russland mittlerweile Chefsache. Auf der Russian Energy Week Mitte Oktober 2021 bestätigte Präsident Wladimir Putin den Kurs seines Landes hin zu mehr Klimaschutz, der 2019 mit der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens eingeschlagen worden war. Um seinen CO2-Fußabdruck von rund 1,8 Milliarden Tonnen (Stand: 2019) zu senken, will Russland das Absorptionspotenzial seiner Wälder nutzen. Mit rund 640 Milliarden Bäumen verfügt das größte Flächenland der Erde über ein Fünftel der weltweiten Waldflächen. Hinzu kommen rund 90 Millionen Hektar brachliegendes Ackerland sowie ausgedehnte Moor- und Sumpflandschaften, die ebenfalls Kohlenstoff binden können.

Wälder sollen Kohlendioxidemissionen binden

Russlands boreale Wälder können pro Jahr bis zu 625 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (Stand: 2018) aufnehmen und damit die CO2-Nettobilanz des Landes um rund ein Drittel senken. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Viktoria Abramtschenko bezifferte im Juli 2021 die Aufnahmekapazität der heimischen Ökosysteme insgesamt sogar auf 2,5 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr.

Doch Experten zweifeln an den Daten. Zwischen 2016 und 2020 sei die Menge des absorbierten CO2 um 10 Prozent gesunken, berichtet Alexej Kokorin, Leiter der Klima- und Energieprogramme bei WWF Russland. Experten der Fakultät für Biologie der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) rechnen bis 2050 bedingt durch die Alterung der Wälder sowie die Auswirkungen von Bränden und Abholzungen gar mit einem Rückgang der Nettoaufnahme auf beinahe Null. Um das Absorptionsniveau zu erhalten, müssten die Wälder aktiv bewirtschaftet und aufgeforstet werden. Russland verfügt weltweit über das größte Aufforstungspotenzial.

Die Regierung will nicht nur den eigenen Kohlendioxidausstoß mit Hilfe der einheimischen Wälder senken, sondern mit dem Verkauf von Emissionszertifikaten bares Geld verdienen. Durch die CO2-Bindung in den Waldbeständen könne Russland bis zu 50 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr verdienen (bei einem Preis von 40 US$ pro Tonne CO2), berechnen Experten der Higher School of Economics (HSE). Diese Summe entspräche in etwa den jährlichen Einnahmen durch Gasexporte. Unter Federführung des Wissenschaftsministeriums wird das "Carbon Farming" in Wäldern, Gräsern und Sümpfen bereits getestet.

Neue Berechnungsmethode soll Absorptionspotenzial steigern

Das Umweltministerium führte Mitte März 2021 eine neue Methode zur Berechnung der Aufnahmefähigkeit von Wäldern ein. Die Änderungen betreffen vor allem die Definition „bewirtschafteter Wälder“. Darunter werden nunmehr bis dato nicht berücksichtigte Reservewälder, wie Bäume auf brachliegenden landwirtschaftlichen Flächen erfasst. Landesweit sind etwa 40 Prozent des Ackerlandes überwuchert. Der kumulative Effekt der Neuberechnung beläuft sich auf rund 450 Millionen Tonnen CO2. Damit würde die Aufnahmefähigkeit der russischen Wälder schlagartig auf rund 1,1 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr steigen.

Doch die in den letzten Jahren immer früher einsetzenden und länger andauernden Brände verwandeln Russlands Wälder von einem Nettoabsorber zu einem CO2-Emittenten. Allein die Waldbrände in der Republik Sacha (Jakutien) setzten im Sommer 2021 rund 800 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei, schätzt Alexander Tschernukulskij von der Russischen Akademie der Wissenschaften. Diese enormen Emissionen müssten ebenfalls in die Berechnungen zur Absorptionsfähigkeit eingehen, womit das potenzielle Absorptionspotenzial nivelliert würde. Alexej Jaroschenko, Forstfachmann von der Umweltschutzorganisation Greenpeace, befürchtet gar, dass die sibirische Taiga künftig mehr CO2 ausstoßen wird, als sie aufnehmen kann, wenn sich die Brände weiter in dem hohen Tempo ausbreiten wie in den letzten 20 Jahren.

Daneben befeuern die Waldbrände im Hohen Norden das schnellere Auftauen des Permafrosts. Durch das entweichende Methan verschärft sich der Klimawandel weiter.

Regierung will CO2-Absorptionsfähigkeit der Wälder anerkennen lassen

Russland möchte das Potenzial zur CO2-Bindung seiner Wälder auf internationaler Ebene anerkannt wissen. Die Regierung kündigte an, auf dem Klimagipfel COP 26 in Glasgow Anfang November 2021 auf die Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit russischer Wälder bei der Berechnung der CO2-Emissionen zu drängen. Dies würde den Handlungsspielraum beim Klimaschutz enorm erweitern und eine wichtige Einnahmequelle für den Staatshaushalt eröffnen.

Zudem will die Regierung ihren wichtigsten Handelspartner, die Europäische Union (EU), davon überzeugen, den Waldbestand auch bei der Berechnung des angekündigten CO2-Grenzausgleichs (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) zu berücksichtigen.

Grundvoraussetzung für eine Anerkennung der Absorptionsfähigkeit der Wälder ist allerdings die Transparenz im Hinblick auf die genaue Größe der Flächen, auf Messstandards und Berichterstattung sowie auf die Überwachung, Überprüfung und Zertifizierung der Daten. Experten melden beispielsweise Zweifel an der Methodik der im Jahr 2020 abgeschlossenen Neuvermessung der Wälder durch die föderale Agentur für Forstwirtschaft Rosleschos an.

Unternehmen forsten auf, um Emissionen zu kompensieren

Hersteller von Produkten mit einem hohen Schadstoffausstoß wie Metalle, Zement oder Düngemittel nutzen die Wälder als potenzielle CO2-Speicher. Einerseits wollen Firmen damit die Zahlungen des CO2-Grenzausgleichs beim Export ihrer Produkte in die Europäische Union (EU) senken. Zudem wird der Umweltschutz ein immer wichtigeres Kriterium bei der Finanzierung. Nachhaltige Projekte erhalten auf westlichen Kapitalmärkten leichteren Zugang zu zinsgünstigeren grünen Anleihen (Green Bonds).

Russlands größter Ölkonzern Rosneft entwickelt ein Programm zur Aufforstung von Wäldern auf ausgebeuteten Lagerstätten. Der Ölkonzern Tatneft will bis 2030 rund ein Viertel seiner Treibhausgasemissionen durch Aufforstungsmaßnahmen kompensieren. Der Bergbaukonzern Polymetall investiert in die Wiederaufforstung, um seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren.

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