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Subventionen päppeln Russlands Schiffbau auf
Russland erhöht die Subventionen für den einheimischen Schiffbau. Leasingprogramme und Abwrackprämien für Reedereien sollen die Auftragsbücher der Werften füllen.
04.10.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Der Schiffbau gehört seit einigen Jahren zu den Industriezweigen, die besonders im Fokus der Wirtschaftspolitik stehen. Mit der Entwicklungsstrategie bis 2035 hat die russische Regierung den Rahmen für die Branche gesetzt. Bis dahin sollen die Werften ihr Produktionsvolumen mehr als verdoppeln. Durch massive Modernisierung der Anlagen will das Industrieministerium die Produktivität verbessern. Der Anteil lokaler Wertschöpfung bei zivilen Schiffsbauten, der bislang erst rund 30 Prozent erreicht, soll auf 75 Prozent steigen.
Das Ministerium für Industrie und Handel plant, bis 2035 über 1.000 zivile Schiffe im Land zu bauen. Ein Drittel davon kann mit staatlichen Subventionen rechnen. Die nötigen Gesamtinvestitionen schätzt die Behörde auf 64 Milliarden Euro. Derzeit befinden sich etwa 400 Schiffe in verschiedenen Phasen der Realisierung.
Binnenschiffe sollen mehr Fracht und Passagiere befördern
Die neuen Schiffe werden gebraucht, denn Russland will mehr Güter und Passagiere auf seinen Wasserwegen befördern. Das bekräftigte Vize-Transportminister Alexander Poschiwai im September 2021 auf der Schiffbaumesse Neva in Sankt Petersburg. Nach seinen Angaben werden bislang nur 2 Prozent der Frachtmenge auf den Binnenschifffahrtswegen transportiert. In den USA liege der Anteil bei 11 Prozent, in China bei 8 Prozent. Daran will sich das Land orientieren. Große Infrastrukturprogramme wie der Bau von Schleusensystemen und Fahrrinnenvertiefungen sollen den Schiffsverkehr attraktiver machen. Eine aktuelle Analyse des Marktforschers Infoline geht davon aus, dass Russlands Binnenschifffahrt bis 2030 etwa 4.000 neue Wasserfahrzeuge benötigt.
Das wäre ein enormes Konjunkturprogramm für die einheimische Werftenindustrie. Laut Poschiwai müsste die Flotte grundlegend erneuert werden. Das Durchschnittsalter der Flussschiffe liegt bei über 40 Jahren. Poschiwais Amtskollege Oleg Rjasanzew vom Ministerium für Industrie und Handel erklärte auf der Messe, dass Russland beim Neubau von Schiffen auch auf alternative Antriebsarten auf Basis von Flüssiggas oder Wasserstoff sowie auf Elektroantriebe setzt. Außerdem sollen autonom fahrende Schiffe entwickelt werden. Dafür hat das russische IT-Unternehmen Sitronics-KT bei der Messe Neva eigene Technologieentwicklungen vorgestellt.
Geld aus dem Wohlstandsfonds für die Werften
Das Industrie- und Handelsministerium rechnet damit, dass zwischen 2021 und 2026 in Russland 102 große Schiffe gebaut werden, darunter Eisbrecher, Offshore-Plattformen, Tanker und Trawler. Die größten Projekte werden in Sankt Petersburg und in der neuen Großwerft Swesda im Fernen Osten realisiert.
Geplante große Schiffsneubauten in Russland (2021 bis 2026)
Schiffsart | Projektname | Anzahl | Werft, Standort |
---|---|---|---|
Atomeisbrecher | 22220 | 3 | Baltijski sawod, Sankt Petersburg |
Eisfeste Ölbohrinsel für die Karasee | LSP A | 1 | Kaspijskaja Energija (KNRG), Astrachan |
Eisfeste selbstbewegende Plattform für die Erkundung der Arktisregion | LSP 00903 | 1 | Admiralitejskie werfi, Sankt Petersburg |
Fang- und Gefriertrawler | ST-192RFC | 10 | Admiralitejskie werfi, Sankt Petersburg |
Gefriertrawler | 5670WSD | 1 | Schiffswerft Jantar, Kaliningrad |
Gefriertrawler | 170701 | 10 | Sewernaja werf, Sankt Petersburg |
Langleinen-Fischereischiff | ST 155-L (МТ1112XL) | 4 | Sewernaja werf, Sankt Petersburg |
Krabbenfangschiff | 5712LS/P | 20 | Onego Shipyard, Petrosawodsk |
LNG-Tanker Aframax (Tragfähigkeit 114.000 t) | 114K | 11 | Schiffswerft Swesda, Bolschoi Kamen |
LNG-Tanker MR (Tragfähigkeit 51.000 t) | MR | 3 | Schiffswerft Swesda, Bolschoi Kamen |
Shuttle-Tanker (Tragfähigkeit 69.000 t) | AST69K | 1 | Schiffswerft Swesda, Bolschoi Kamen |
Shuttle-Tanker (Tragfähigkeit 42.000 t) | AST42K | 9 | Schiffswerft Swesda, Bolschoi Kamen |
LNG-Tanker für das Projekt Arctic LNG 2 (Tragfähigkeit 172.000 cbm) | - | 15 | Schiffswerft Swesda, Bolschoi Kamen |
Eisbrecher und Versorgungsschiff | IBSV10022 | 4 | Schiffswerft Swesda, Bolschoi Kamen |
Passagierschiff | А45-90.2 | 2 | Sredne-Newski Schiffswerft, Sankt Petersburg |
Havarie- und Rettungsschiff | MPSV12 | 1 | Newski Schiffswerft, Schlisselburg |
Auto- und Eisenbahnfähre der Eisklasse Arc4 | CNF19M | 2 | Newski Schiffswerft, Schlisselburg |
Fracht- und Passagierfähre | PV22 | 1 | Newski Schiffswerft, Schlisselburg |
Flusskreuzfahrtschiff | PV300VD | 1 | Lotos-Schiffswerft, Astrachan |
Auto- und Frachtfähre der Eisklasse Arc5 | CNF11CPD (00300) | 2 | Amurski Schiffswerft, Komsomolsk-na-Amure |
Leasing zielt vor allem auf einheimische Schiffe
Die ambitionierten Pläne unterstützt der Staat mit großzügigen Förderprogrammen. Industriepolitiker Rjasanzew verwies auf das Schiffsleasing, für das im Zeitraum 2023 bis 2028 jedes Jahr 5 Milliarden Rubel vorgesehen sind - also insgesamt 30 Milliarden Rubel. Zwischen 2020 und 2021 flossen bereits fast 20 Milliarden Rubel. Das Industrieministerium findet das zu wenig und verhandelt deshalb aktuell mit dem Finanzministerium über zusätzliche 100 Milliarden Rubel (1,2 Milliarden Euro, Wechselkurs der EZB am 27. September 2021: 1 Euro = 85,00 Rubel) aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds. Bis 2030 könnte dadurch der Bau von mehr als 300 Schiffen gefördert werden.
Außerdem stellt das Industrieministerium jährlich 3,5 Milliarden Rubel bereit, mit denen die Kreditzinsen zum Kauf neuer Schiffe subventioniert werden. Damit sollen 118 Schiffe beschafft werden. Daneben läuft ein Abwrackprogramm, das derzeit mit 500 Millionen Rubel pro Jahr ausgestattet ist, ab 2024 mit 1 Milliarde Rubel. Reedereien, die alte Schiffe gegen neue tauschen, bekommen bis zu 10 Prozent des Kaufpreises erstattet.
Voraussetzung für die Subventionen ist, dass die Schiffe aus einheimischer Produktion stammen. Dafür hat Moskau ein Punktesystem entwickelt, mit dem der Lokalisierungsgrad eines Wasserfahrzeuges bestimmt wird.
Zu den wichtigsten Auftraggebern für den russischen Schiffbau gehört die Staatliche Transportleasing-Gesellschaft GTLK. Am 1. September 2021 hatte das Unternehmen 180 Schiffe in seinem Bestand, davon 143 aus russischer Produktion. Der Fokus liegt auf Massengutfrachtern, Tankern, Schleppkähnen und Passagierschiffen. Aktuelle Aufträge umfassen unter anderem Tragflächenboote vom Typ Waldai, Schwimmbagger, Frachter und Passagierschiffe, darunter das Modell Tschaika mit LNG-Antrieb.
GTLK investiert auch in den Ausbau der Produktionskapazitäten des Schiffbaus. Im Fokus stehen dabei die Herstellung von Armaturen, Kabeln, Verbindungselementen und anderen Komponenten für die Öl- und Gasförderung im arktischen Schelf. Denn das Industrieministerium stellt im Zeitraum 2021 bis 2025 rund 57 Milliarden Rubel an Subventionen für den Bau von Flüssiggastankern zur Verfügung. Damit sollen auf der Werft Swesda im Fernen Osten mindestens 18 Wasserfahrzeuge gebaut werden. Der Schiffbaubetrieb kündigte auf der Messe an, demnächst einen Vertrag für zehn eisbrechende Tanker zu unterzeichnen, die am Ölförderprojekt Vostok Oil eingesetzt werden.
Daneben finanziert die Leasinggesellschaft GTLK die Modernisierung der Schiffswerft Schatai in Jakutien. Der Schiffbaubetrieb soll künftig in der Lage sein, zehn Flussschiffe pro Jahr für den Verkehr auf Sibiriens Strömen zu bauen, sowie weitere sechs Einheiten zu modernisieren und zwei abzuwracken.
Höhere Förderquote für Elektroantriebe
Wie Boris Kapakow, Abteilungsleiter für den Schiffbau beim russischen Industrieministerium, in Sankt Petersburg mitteilte, arbeitet sein Ressort an einem Sonderprogramm für Schiffe mit Elektroantrieb. Diese sollen höhere Förderquoten bekommen. Ein erster Elektrokatamaran vom Typ Ecocruiser sei bereits an die Verkehrsbetriebe in Moskau übergeben worden. Ähnliche Fahrzeuge könnten in Sankt Petersburg, Kasan und Nischni Nowgorod zum Einsatz kommen.
Höhere Zuschüsse von bis zu 30 Prozent sind auch für kleine Fischfangschiffe vorgesehen. Hier rechnet Kapakow in den nächsten Jahren mit über 20 Neubauten.