Türkische Kfz-Industrie in voller Fahrt

Die türkische Produktion von Pkw und Nutzfahrzeugen (Nfz) ist im 1. Halbjahr 2021 in allen Segmenten mit Ausnahme von Bussen gestiegen. Der Busabsatz litt unter der gesunkenen Nachfrage im öffentlichen Personennahverkehr infolge der Coronapandemie. Die Hersteller erwarten jedoch einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage in der 2. Jahreshälfte 2021. Dies soll auch durch fortschreitende Impfungen in wichtigen europäischen Absatzländern begünstigt werden, so der General Manager von Anadolu Isuzu, ein führender Hersteller schwerer Nutzfahrzeuge in der Türkei. Die Kundenanfragen hätten bereits zugenommen und es kämen mehr Ausschreibungen auf den Markt.

Exportanstieg erwartet

In der Türkei wird eine hohe Anzahl an Fahrzeugen für den Export gefertigt. Dabei ist die Europäische Union der wichtigste Absatzmarkt, aus der Deutschland hervorsticht. Zuletzt hatte die Nachfrage aus dem Ausland coronabedingt nachgelassen. Der Anteil der Ausfuhren an der Produktion betrug 2019 bei Pkw 85 Prozent und im ersten Halbjahr 2021 nur rund 71 Prozent. Im Segment der Nutzfahrzeuge waren es 90 Prozent beziehungsweise 74 Prozent. 

Die Exportnachfrage zog im 1. Halbjahr 2021 wieder an. Der positive Trend dürfte sich fortsetzen: Die Kfz-Industrie erwartet einen weiteren Anstieg durch einen Konjunkturaufschwung in Europa.

Die Ausfuhren der Kfz-Industrie auf US-Dollar-Basis (US$) stiegen dem Verband der türkischen Kfz-Industrie OSD zufolge von Januar bis Juli 2021 um 27 Prozent auf 16,7 Milliarden US$. Der mengenmäßige Absatz von 512.320 Fahrzeugen entsprach einem Anstieg von 7 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Dabei legten Pkw um 6,6 Prozent auf 5,4 Milliarden US$ zu. Quantitativ ist die Fahrzeugmenge jedoch mit 322.874 Pkw um 3 Prozent gesunken.

Inlandsmarkt nimmt Tempo auf

Der Inlandsabsatz von Fahrzeugen legte von Januar bis Juni 2021 mengenmäßig um 57 Prozent zu. Der Autoabsatz stieg um 52 Prozent. Der Verkauf von Nutzfahrzeugen legte im 1. Halbjahr 2021 um 67 Prozent zu. Bevorzugt wurden sogenannte „Vans“ gekauft, die 78 Prozent des gesamten Nfz-Segments ausmachten.

Die Regierung verstärkt den Druck auf die Zentralbank, den Leitzins zu senken, was sich positiv auf die Inlandsnachfrage von Fahrzeugen auswirken würde. Günstige Kredite hatten im Sommer 2020 die Nachfrage nach Pkw und Nutzfahrzeugen belebt. Im November 2020 hob die türkische Zentralbank den Leitzins an und Kredite wurden wieder teurer.

Logistiker nutzen mehr Straßentransporte

Infolge der Coronapandemie wurden viele internationale Warentransporte auf die Straße verlagert. Entsprechend stark stieg die Nachfrage türkischer Logistikunternehmen, die im Export tätig sind, was einen Anstieg des Inlandsabsatzes von Nutzfahrzeugen des mittleren und schweren Segments hervorrief.

Sattelfahrzeuge machen 68 Prozent des Umsatzes von schweren Nutzfahrzeugen aus, erklärte der stellvertretende Generaldirektor von Ford Trucks, Serhan Turfan, im Juli gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. In der Vergangenheit hätte diese Quote bei 60 bis 62 Prozent gelegen. Er rechnet mit Erneuerungskäufen. Die meisten Neukäufe seien bereits zum Austausch alter Fahrzeuge erfolgt.

Steuersenkung beim Pkw-Neukauf

Der Kauf ausgewählter Pkw wurde durch eine Änderung bei der türkischen Sonderverbrauchssteuer ÖTV (Özel Tüketim Vergis) zum 12. August 2021 billiger. Die Steuervergünstigungen dürften die Nachfrage weiter antreiben. Die türkische Regierung hatte im Amtsblatt die Erhöhung der Bemessungsgrundlagen für Pkw angekündigt, die von rabattierten Sonderverbrauchssteuersätzen profitieren. Dadurch sinken die Preise ausgewählter Fahrzeugsegmente, abhängig von Motorleistung und Nettokaufpreis. Auf die Summe nach Sondersteuer muss der Käufer außerdem 18 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen.

Preissenkung bis zu 17 Prozent

Die Autopreise können durch die Änderungen um insgesamt 3,33 bis 16,67 Prozent sinken. Die Neuregelung gilt gleichermaßen für lokal produzierte und importierte Fahrzeuge.

Der niedrigste Steuersatz von 45 Prozent gilt nun bis zu einem Nettopreis von 92.000 türkischen Lira (TL), vorher 85.000 TL. Von der ÖTV-Regelung profitieren vor allem Käufer von Pkw mit einer Motorleistung bis 1,6 Liter und einem Nettopreis zwischen 130.000 und 150.000 türkischen Lira (15.267 bis 17.638 US$, umgerechnet zum Wechselkurs am 16. August 2021: 1 US$ = 8,5 TL).

Der Preis eines importierten Golf 1.0 TSI, das Golf-Einstiegsmodell in der Türkei, reduziert sich beispielsweise um 16,7 Prozent auf 28.339 US$ (240.999 TL; Netto-Listenpreis 136.158 TL). Der Neupreis inklusive Steuern eines Fiat Egea 1.4 Fire, der günstigste in der Türkei herstellte Pkw, sinkt um 3,33 Prozent auf umgerechnet 17.945 US$ (154.569 TL; Netto-Listenpreis: 90.339 TL).

Regierung ändert Sondersteuer ÖTV häufig

Die Steuern bei einem Pkw-Neukauf sind hoch und die Regierung ändert die ÖTV häufig. Diese allein kann, abhängig von Preis und Motorleistung, zwischen 45 und 220 Prozent betragen. Die Sondersteuer gilt analog für Hybridfahrzeuge. Pkw mit einem reinen Elektromotor haben deutlich niedrigere ÖTV-Sätze (3 bis 15 Prozent).

Fiat Egea bleibt Verkaufsschlager

Das meistverkaufte Fahrzeugmodell in der Türkei ist laut dem Fachverband der Vertriebsfirmen ODD mit Abstand der Fiat Egea (Absatz 2020: 79.556 Stück). Auf der Rangliste der beliebtesten Pkw folgten 2020 Renault Clio (46.192 Stück), Renault Megane (39.917 Stück), Toyota Corolla (32.958 Stück) und VW Passat (22.452 Stück).

Zulieferindustrie zieht an

Der türkische Export von Kfz-Teilen expandierte im 1. Halbjahr 2021 um 50 Prozent. Gleichzeitig legte die Nachfrage nach importierten Kfz-Teilen um 47 Prozent zu, davon profitierten auch deutsche Zulieferer.