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Wirtschaftsumfeld | China | Digitale Geschäftspraxis

Mit „digitalem Bauchgefühl“ zum geeigneten Geschäftspartner

Wie sich Geschäftspartner in China mit Open Source Intelligence überprüfen lassen, verrät Michael Keuper, Managing Director von Indicium Technologies im Gespräch mit GTAI.

Von Corinne Abele | Shanghai

Michael Keuper, Indicium Michael-Keuper-Indicium | © Michael Keuper, Indicium

GTAI: Herr Keuper, mit dem früheren BND-Präsidenten Dr. August Hanning haben Sie 2019 das  deutsch-schweizerische Start-up Indicium Technologies AG gegründet. Seit 2020 können Sie mit Open Source Intelligence (OSINT) auch chinesische Geschäftspartner einer ersten Prüfung unterziehen. Wie funktioniert OSINT?

Keuper: Bei OSINT geht es um Erkenntnisse aus öffentlichen Quellen. Früher erwarb man sich diese etwa durch lokale Zeitungslektüre. Heute sind Informationen digital breiter verfügbar und schneller zu sammeln. Maschinelles Lernen hilft, aus diesen großen Datenmengen Informationen zu destillieren. Dies geschieht mit Hilfe kleiner Programme, sogenannter Crawler, die Webseiten durchforsten, Informationen extrahieren und zusammenführen.

GTAI: Das A und O für den Erfolg von OSINT-Projekten bilden zugängliche und zuverlässige Daten verschiedener Quellen. Wie ist die Situation in China, welche Open Sources spielen eine Rolle?

Keuper: In China ist bereits eine normale Qualitätsprüfung schwierig. Wir arbeiten nur mit Daten aus offiziellen Quellen wie Handelsregistereinträgen, Steuer-Ratings oder Einträgen über Gerichtsverfahren. Die Subjektivität der Regulatoren - ob das offizielle Steuer-Rating richtig ist - können wir jedoch nicht überprüfen. Dabei ist die hohe Veränderungsgeschwindigkeit von Datensystemen in China eine besondere Herausforderung.

Auch weichen die im Rahmen des Sozialkreditsystems für Unternehmen und Einzelpersonen erfassten Datenkategorien regional voneinander ab, Vergleiche sind daher problematisch. Selbst die chinesische Regierung hat die verschiedenen Informationsquellen bislang noch nicht komplett zusammengeführt. Am Ball zu bleiben, ist eine Herausforderung. Uns ist wichtig, dass wir für jede Anfrage die Daten neu abrufen und damit hochaktuell sind.

GTAI: Generell gilt China als intransparent. Wie können Sie helfen, zuverlässige Geschäftspartner zu finden?

Keuper: Es wird schon viel veröffentlicht, man muss nur wissen, welche Quellen es gibt, wo man was findet und wie man das Sprachproblem überwindet. Unser Produkt schlägt hier eine digitale Brücke. Es hilft dabei, sich die vorliegenden Fakten anzuschauen und in wenigen Minuten eine erste Meinung über Lieferanten und Handelsrisiken zu bilden. Mittelständlern ist diese Möglichkeit häufig nicht bekannt - daher verlassen sie sich auf ihr Bauchgefühl. Wir ermöglichen ein „digitales Bauchgefühl“, das klaren Regeln folgt.

Auch bei der Suche nach spezifischen Produktanbietern kann OSINT helfen. Denn der Geschäftszweck jedes Unternehmens, Firmenkapital und Standort sind im chinesischen Handelsregister eingetragen und zugänglich. Gemäß dem datenbasierten Ranking können dann mit den Top-Firmen innerhalb kürzester Zeit weitere Sondierungsgespräche geführt werden.

GTAI: Gerade in China hängen Geschäftserfolge häufig von schnellem Entscheiden und Handeln ab. Gibt es Best-Practice-Beispiele für den Einsatz von OSINT?

Keuper: Ein gutes Beispiel ist die Beschaffung von Covid-19-Schutzmasken. Eine Firma zu finden, die schon lange Masken produziert, geht mit unserer Software deutlich schneller. Innerhalb eines halben Tages erstellt sie eine Shortlist von Unternehmen, die dann weiter überprüft werden. Die vielen „Bauchladen-Geschäfte“ fallen so von Anfang an raus. Ein Land wie Israel setzt derartige Technologien gezielt für solche Fälle ein.

GTAI: Kleinere Firmen schrecken oft vor teuren Ausgaben für Marktforschung oder Sorgfaltspflichten zurück. Haben Sie mittelständische Kunden?

Keuper: Ja, haben wir. Der Preis ist nicht das Problem, wir sind im niedrigen dreistelligen Bereich und extrem wettbewerbsfähig. Unsere Herausforderung ist eher, wie wir Mittelständler auf die neuen Möglichkeiten aufmerksam machen. Vielleicht wissen sie auch nicht, wie die Daten zu lesen und zu interpretieren sind. Wir stehen daher auch mit Dienstleistern in Kontakt, die dabei unterstützen können.

GTAI: OSINT kann viel, aber nicht alles. Wo sehen Sie Stärken, wo Schwächen?

Keuper: Die klare Stärke von OSINT ist die Geschwindigkeit, mit der eine Vielfalt von Informationen in kurzer Zeit abgerufen werden kann. Hinzu kommt die Vorinterpretation dieser Daten durch maschinelles Lernen, was die Entscheidungsfindung enorm beschleunigen kann. Dennoch ist OSINT nur so gut wie die Datenquellen, die es nutzt. Wir ziehen daher nur offizielle Quellen heran – mehr geht nicht. Wichtig ist uns, dass wir nur eine Bewertungskomponente liefern, aber keine abschließende Bewertung.

GTAI: China geht häufig restriktiv mit Datentransfer außer Landes um, vor allem wenn es um personenbezogene und wichtige Daten geht. Sind Sie davon betroffen?

Keuper: Informationen und Daten bleiben bei unserer Anwendung in China, wir schauen nur drauf. Wir bemühen uns um Genehmigung für externe Datennutzung, was teilweise abgelehnt wird. Technologisch kooperieren wir mit einem lokalen Partner. Generell bekommen Informationen erst durch Drittnutzung stärkeres Gewicht – was teilweise im Sinne der chinesischen Regierung ist. So hat ein schlechtes Steuer-Rating nur einen „abschreckenden“ Effekt, wenn man es weiß.

GTAI: OSINT-Automatisierung ist eine junge „Disziplin“ bezogen auf den Umgang mit Geschäftsrisiken in China. Welche weiteren Anwendungsfelder sehen Sie?

Keuper: Zum einen wird mit dem steigenden Einfluss des Sozialkreditsystems für Unternehmen in China für diese auch die Transparenz nach innen immer wichtiger: was machen etwa Tochterfirmen und Joint Ventures? Hier kann OSINT Hilfe leisten.

Zum anderen bietet die Regulierung von Lieferketten künftig Einsatzmöglichkeiten. Für Firmen wird es immer schwieriger zu behaupten, man habe davon keine Kenntnis gehabt. So ist leicht festzustellen, ob eine Tochterfirma oder ein Zulieferer Probleme mit der Einhaltung des Arbeitsgesetzes gehabt hat. Den Standard muss jedoch der Gesetzgeber vorgeben - warum nicht ein verpflichtendes Online-Screening von Zulieferern? Dazu sind keine Inspektoren mehr nötig, das geht rein digital.

GTAI: Herr Keuper, vielen Dank für das Gespräch.

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