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Rechtsbericht EU Brexit

Öffentliche Aufträge post-Brexit

Das Handels- und Kooperationsabkommen EU-Vereinigtes Königreich (VK) geht in seinen Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen über die Bestimmungen des WTO-Rechts hinaus.

Von Karl Martin Fischer | Bonn

Die Bestimmungen des neuen europäisch-britischen Freihandelsabkommens (das Abkommen) zu Auftragsvergaben der öffentlichen Hand finden sich in den Vorschriften des Abkommens (Artikel 276 ff) sowie in Anhang 25. Sie sind eng mit den Regeln des Government Procurement Agreement (GPA) der WTO verknüpft. Das GPA ist ein plurilaterales Abkommen unter dem Dach der WTO. Sowohl die EU als auch die britische Seite sind diesem Abkommen beigetreten.

Ein wichtiger Hinweis vorab: Für Vergabeverfahren, die bis Ende 2020 eingeleitet wurden, gelten bis zu deren Abschluss noch die Regeln des europäischen Vergaberechts. Dies regeln die Artikel 75 ff. des Austrittsabkommens vom 12. November 2019 (2019/C 384 I/01). Die folgenden Bestimmungen gelten also nur für Vergabeverfahren, die nach dem Ende der Übergangsphase eingeleitet werden.

Ausgangspunkt ist das Government Procurement Agreement der WTO

Wie viele andere WTO Regelwerke besteht auch das GPA zum einen aus einem Teil mit materiellen Regelungen, zum anderen aus Anhängen, in denen die Vertragsparteien den konkreten Anwendungsbereich dieser Regelungen festlegen.

Die wichtigsten materiellen Regelungen finden sich vor allem in den Artikeln IV (allgemeines Diskriminierungsverbot; bei elektronischer Vergabe: Sicherstellung, dass die Software kompatibel mit weitverbreiteter Software ist; keine über die bilateralen Ursprungsregeln hinausgehenden Ursprungserfordernisse für Waren und Dienstleistungen), Artikeln VI und VII (möglichst weite Veröffentlichung von die Vergabe betreffenden Regelungen sowie konkreter Vergabeverfahren), Artikel VIII (Verbot unnötiger Teilnahmebedingungen), Artikel XI (Gebot angemessener Fristen), Artikel XV (Gebot der Fairness, Unparteilichkeit und Vertraulichkeit), Artikel XVI (Transparenz hinsichtlich der Entscheidung) und Artikel XVIII (Gebot des effektiven Rechtsschutzes).

Der Anwendungsbereich der Regelungen des GPA ergibt sich aus den Anhängen, die die Vertragsparteien bei der WTO hinterlegen. In diesen Anhängen erklären die Parteien, welche öffentlichen Auftraggeber aus ihrem Gebiet konkret an die Regeln des GPA gebunden sein sollen (Anhänge 1 bis 3). Außerdem legen sie fest, für die Beschaffung welcher Güter und Dienstleistungen die Regelungen gelten (Anhänge 4 bis 6). 

Das Abkommen geht über das GPA hinaus

Zweck der Regelungen des Abkommens zur Vergabe öffentlicher Aufträge ist gemäß Artikel 276 die Gewährleistung erweiterter Gelegenheiten zur Teilnahme an öffentlichen Beschaffungen sowie die Verbesserung der Transparenz solcher Verfahren. Erreicht wird dies zunächst dadurch, dass nahezu alle Vorschriften des GPA auch auf das Verhältnis EU-VK für anwendbar erklärt (siehe Abschnitt A des Anhangs 25) und sodann Ergänzungen vorgenommen werden.

Der Anwendungsbereich

Hinsichtlich des Anwendungsbereiches, der sich ja zunächst aus den Anhängen zum GPA ergibt, sieht das Abkommen Erweiterungen vor. Diese sind ebenfalls in Anhang 25 enthalten, und zwar in Abschnitt B.1 für die EU und in Abschnitt B.2 für das VK. Als weitere Beschaffungsstellen, für die das Regelwerk gelten soll und die nicht im GPA enthalten sind, werden Betreiber von Gas- und Fernwärmenetzen genannt, sofern der Auftragswert 400.000 SZR (SZR =  Sonderziehungsrecht; 1 SZR = 1,19 EUR (Stand 11. Februar 2021)) für Waren und Dienstleistungen, bzw. 5 Mio SZR für Bauleistungen überschreitet. Außerdem werden bestimmte Dienstleistungen erfasst, die nicht im britischen Anhang des GPA gelistet sind. Hierzu zählen insbesondere Hotel- und Restaurantdienstleistungen (CPC 641, 642 und 643) und Bildungsleistungen (CPC 92), sofern der Auftragswert, je nach ausschreibender Institution, mindestens GBP 663.540 bzw. GBP 884.720 beträgt, sowie Telekommunikationsdienstleistungen sowie einige weitere unternehmensbezogene Dienstleistungen.

Materielle Regelungen

Soweit möglich sollen Beschaffungen elektronisch abgewickelt werden, Bekanntmachungen und Vergabebekanntmachungen müssen kostenlos elektronisch zugänglich sein, Vergabestellen müssen in der Lage sein, elektronische Rechnungen zu verarbeiten (Artikel 278 und 279). Für viele Vergabeverfahren müssen die Unternehmen bestimmte Erfahrungen nachweisen um teilnehmen zu können. Hierbei darf nicht verlangt werden, dass diese Erfahrungen im Gebiet der ausschreibenden Vertragspartei (EU / Mitgliedstaat oder VK) gemacht wurden (Artikel 281). Entscheidet sich die beschaffende Stelle für ein beschränktes Verfahren, muss sie sicherstellen, dass genügend Angebote eingeholt werden um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten (Artikel 283). Wenn eine beschaffende Stelle ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis erhält, darf sie nachprüfen, ob dieser durch Subventionen erreicht wurde (Artikel 284). Die ausschreibenden Stellen müssen ermächtigt sein, ökologische, arbeitsbezogene und soziale Erwägungen in ihre Vergabeentscheidung mit einzubeziehen. Allerdings muss dies mit den Regelungen des Abkommens zur öffentlichen Beschaffung vereinbar und in der Ausschreibung ausdrücklich angekündigt sein (Artikel 285).    

Artikel 286 sieht Verbesserungen bei der Überprüfung von Vergabeentscheidungen vor. So müssen die Angehörigen der Überprüfungsgremien die Garantie haben, nicht während der Laufzeit ihres Mandats gegen ihren Willen abberufen zu werden. Außerdem muss mindestens ein Mitglied die Befähigung zum Richteramt oder eine vergleichbare Qualifikation haben. Zahlreiche weitere ergänzen ausdrücklich das GPA und sollen effektiveren Rechtsschutz ermöglichen.

Erweitertes Diskriminierungsverbot

Eine Besonderheit enthalten die Artikel 287 und 288: hier gilt das allgemeine Diskriminierungsverbot (Gebot der Inländerbehandlung) auch für Vergaben, die nicht von den Regelungen des Abkommens erfasst sind. Dies kann beispielsweise relevant werden für Beschaffungen, die unterhalb der Schwellenwerte sind.

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