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Wirtschaftsumfeld | Finnland | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten

Arbeitsmarkt

Immer mehr Unternehmen in Finnland haben Probleme bei der Einstellung von Fachkräften. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird im Land großgeschrieben.

Von Niklas Becker | Helsinki

Die rasche Erholung der finnischen Wirtschaft im Jahresverlauf 2021 hat sich auch auf die heimische Arbeitslosenquote ausgewirkt. Zum Jahresende 2021 erreichte diese ein ähnliches Niveau wie 2019 (November 2021: 6,8 Prozent). Im Zuge der Coronakrise war Finnlands Arbeitslosenquote 2020 angestiegen. In der Altersgruppe der 15- bis 74-Jährigen lag sie laut Eurostat bei 7,8 Prozent. Zwischen 2015 und 2019 war die Zahl der Erwerbslosen aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung stetig zurückgegangen und erreichte 2019 ein Niveau von 6,7 Prozent.

Regierungsziel könnte trotz Corona erreicht werden

Die seit Dezember 2019 amtierende finnische Regierung unter Ministerpräsidentin Sanna Marin hat sich bei Amtseinführung zum Ziel gesetzt, die Beschäftigungsquote bis 2023 auf 75 Prozent zu erhöhen (gemessen an der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen). Zu diesem Zeitpunkt lag die Beschäftigung nach Zahlen von Eurostat bei 73,3 Prozent. In den folgenden Monaten erfolgte im Zuge der Coronakrise dann allerdings ein Rückgang der Beschäftigungsquote und die Regierung verschob ihr Ziel auf Mitte der 2020er Jahre. Im November 2021 lag die Quote laut finnischem Statistikamt bei 72,2 Prozent.

Bei der Betrachtung der Beschäftigungsquote gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass die statistische Methode zum Jahresbeginn 2021 umgestellt wurde und die neuen Zahlen um rund 0,9 Prozentpunkte niedriger ausfallen. Damit würde die Quote nach dem alten Verfahren (für das das Regierungsziel ausgegeben wurde) bei 73,1 Prozent liegen. Verschiedenen Prognosen zufolge wird die finnische Beschäftigungsquote 2022 und 2023 weiter zulegen. 

Die positiven Entwicklungen dürften allerdings weniger mit den Reformen der Regierung, sondern vielmehr mit der guten wirtschaftlichen Erholung zusammenhängen. Denn viele der geplanten Arbeitsmarktreformen wie beispielsweise eine bessere Unterstützung bei der Arbeitsuche bei gleichzeitiger Verschärfung der Pflichten der Erwerbslosen wurden noch nicht umgesetzt. So sollen sich Arbeitsuchende ab Mai 2022 im Monat um mindestens vier Stellen bewerben, um nicht sanktioniert zu werden.  

Allgemeine Arbeitsmarktdaten (2020)

Bevölkerung (in Mio.)

5,5

Erwerbspersonen (Bevölkerung älter als 15 und jünger als 65 Jahre, in Mio.)

3,4

Erwerbstätige (in Mio.)

2,5

Arbeitslosenquote, offizielle (in %, nach ILO-Definition)

7,8

Analphabetenquote (in %) *)

k.A.

Hochschulabschluss (Anteil an der Bevölkerung über 15 Jahren), davon

23,6

  Bachelor

12,2

  Master

10,3

  Doktorgrad

1,1

Durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit (in Stunden)

36,5

*) In Finnland werden aufgrund der geringen Zahl keine Analphabetendaten erhoben. Schätzungen zufolge verfügen jedoch rund 11 Prozent der Erwachsenen nur über schwache Lesefähigkeiten.Quelle: StatFin (Finnisches Statistikamt), Finnisches Ministerium der Finanzen, Eurostat

Fachkräftemangel behindert Wirtschaftswachstum

Trotz einer vergleichsweise hohen Arbeitslosenquote klagen immer mehr Betriebe über einen Mangel an Mitarbeitern. Das zeigt eine Umfrage der finnischen Handelskammer (Keskuskauppakamarin): Fast 75 Prozent der Unternehmen berichten, dass ihnen Fachkräfte fehlen. 68 Prozent geben zudem an, dass der Arbeitskräftemangel ihr Wachstum und ihre Geschäftstätigkeit eingeschränkt hat. 

Im Herbst 2021 blieben Eurostat zufolge rund 56.600 Stellen in Finnland unbesetzt. Die Zahl könnte in Zukunft weiter steigen. Wie der finnische Verband der Technologieindustrien (Teknologiateollisuus) schätzt, benötigt die Technologiebranche bis 2030 rund 130.000 neue Mitarbeiter. Etwa die Hälfte dieses Bedarfs ist auf neu zu schaffende Stellen zurückzuführen. Derzeit beschäftigt die Branche rund 317.000 Mitarbeiter.

Das nordische Land bietet Betrieben gut ausgebildete, oft hoch qualifizierte Arbeitnehmer, die sich durch Zuverlässigkeit und Eigenständigkeit auszeichnen. 2020 verfügten laut Eurostat 39,8 Prozent der Bevölkerung über einen tertiären Bildungsabschluss. Damit rangiert das Land auf Platz vier in der Europäischen Union (EU). Die Schulbildung gilt im internationalen Vergleich als hervorragend. So belegte Finnland im weltweiten PISA-Ranking 2018 den zehnten Platz. Im europäischen Vergleich lag es nach Estland auf dem zweiten Platz. Im "Digital Economy and Society Index 2021" der EU-Kommission dominiert das Land die Kategorie "Human Capital". 

Familienfreundlichkeit auch bei Entscheidungsträgern wichtig

Auf der Suche nach Fachkräften müssen Unternehmen in Finnland attraktive Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten bieten oder überdurchschnittlich bezahlen. Das finnische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft betreibt auch auf Englisch eine Homepage mit vielen Informationen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer rund um das Thema Personalsuche. Private Personalberater kommen vor allem bei der Suche nach speziellen Fach- oder Führungskräften infrage.

Bei der Personalsuche im deutsch-finnischen Kontext ist es wichtig, auf die Unterschiede in der Arbeits- und Führungskultur zu achten. Laut Marcus Honkanen, Gründungspartner der deutsch-finnischen Personalberatung Nordic Minds, arbeiten Finnen und Deutsche trotz vieler kultureller und verhaltensbezogener Unterschiede grundsätzlich gut zusammen.

Wesentliche Unterschiede sieht der Experte hingegen beim Thema Hierarchie. "In Deutschland wird Respekt oft durch Titel und Formalitäten erworben, angefangen bei der Kleidung und dem Parkplatz des Managements vor dem Büro. In Finnland hingegen werden alle Personen mehr oder weniger als gleichwertig angesehen. Respekt wird durch Leistungen und Dinge verdient, die man getan hat, und dadurch, welchen Einfluss man als Person hat", berichtet Honkanen. 

Auch bei der Aufteilung von Arbeits-, Privat- und Familienleben gibt es laut dem Experten - auch in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter - noch einige Unterschiede. "Die Familienorientierung spielt in Finnland eine größere Rolle als in Deutschland, vor allem bei den Männern", sagt Honkanen. So sei es auch unter männlichen Geschäftsführern und Führungskräften üblich, Elternzeit zu nehmen oder die Möglichkeit zu haben, von zu Hause aus zu arbeiten, um Beruf und Familie zu vereinbaren.

Viele Arbeitgeber sind generell familienfreundlich und bieten entsprechende Unterstützung und Zusatzleistungen an. Andernfalls können sie laut Honkanen bei der Anwerbung von Talenten nicht mithalten. Zur Unterstützung für Familien bietet die öffentliche Hand umfassende Leistungen durch Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen, damit beide Elternteile Vollzeit arbeiten können.

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