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Branchen | Hongkong | Hochbau

Hongkong verkündet ambitioniertes Städtebauprogramm

An der Grenze zu Shenzhen soll eine Metropole für bis zu 2,5 Millionen Menschen entstehen. Eine weitere Stadt für 1 Million Bewohner befindet sich noch in der Pipeline.

Von Roland Rohde | Hongkong

In Hongkong herrscht eine unvorstellbare Wohnungsnot. Die Grundstückspreise und Mieten sind etwa drei- bis fünfmal so hoch wie in deutschen Großstädten, bei nahezu gleichem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Jedoch können im Gegensatz zu etwa Singapur weniger als 50 Prozent der Bevölkerung in öffentlich geförderten Apartments unterkommen. Als Folge müssen selbst Familien der Mittelschicht zu viert oder fünft mit weniger als 60 Quadratmetern auskommen. Die Wartezeit für eine staatliche Wohnung beträgt viele Jahre.

Hongkongs Wohnungsmarkt im Überblick (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent) 1)

Indikator

2011

2021

Veränderung2

Bevölkerung (in Millionen)3

7,1

7,4

4,6

Haushalte (in Millionen)3

2,4

2,7

13,9

Bestand an Wohnungen (in Millionen), davon

2,6

2,9

13,3

  Öffentlich

1,1

1,3

11,9

  Privat

1,4

1,6

14,5

Anteil der Bevölkerung in öffentlichen Wohnungen (in Prozent)4

47,0

45,0

-4,3

Mietpreis öffentliche Wohnung (US$ pro qm)5

5,9

9,5

60,9

Mietpreis Privatwohnung (US$ pro qm)5

36,8

51,4

39,7

Kaufpreis Privatwohnung (US$ pro qm)4, 5

10.684

23.574

120,7

1) jeweils Ende März; 2) auf Basis der ungerundeten Werte; 3) Stand zur Jahresmitte; 4) 2010 beziehungsweise 2020; 5) auf Hong Kong Island, bezogen auf die Nettofläche sind die Miet-/Kaufpreise etwa 20 Prozent höherQuelle: Transport and Housing Bureau; Statistikamt

Trendwende im öffentlichen Wohnungsbau

Das Problem besteht seit Jahrzehnten, doch hat die Regierung bislang wenig daran geändert. Aber der Wind hat sich gedreht. Die politische Führung aus Beijing gibt in der Hongkonger Politik nun stärker die Richtung vor und drängt auf eine Lösung des Wohnungsproblems, um die hohe soziale Unzufriedenheit zu verringern.

Anfang Oktober 2021 kündigte die Regierungschefin der Sonderverwaltungsregion (SVR), Carrie Lam, in ihrer jährlichen Regierungsansprache überraschend ein Großprojekt an: In den dünner besiedelten New Territories an der Grenze zu dem auf dem chinesischen Festland liegenden Shenzhen soll die sogenannte Northern Metropolis entstehen. Der Raum zwischen den bereits bestehenden Stadtteilen und Siedlungen soll aufgefüllt werden. Die Gesamtmetropole könnte künftig Platz für bis zu 2,5 Millionen Einwohner und 600.000 Gewerbetreibende bieten.

Bei der Northern Metropolis rechnen Experten mit einer Investitionssumme von mehr als 100 Milliarden US-Dollar.

In den nächsten 20 bis 25 Jahren sollen insgesamt über eine halbe Million neue Apartments entstehen. Zudem ist eine enge Anbindung an das Verkehrsnetz der SVR sowie der Volksrepublik vorgesehen. Insgesamt sieben Grenzübergänge wird es künftig geben. Dazu müssen bestehende Bahnlinien erweitert oder neu gebaut werden. Das bislang am weitesten entwickelte Projekt ist der Northern Link mit einem Investitionsvolumen von 8 Milliarden US-Dollar (US$). Auf welche Summe sich das Gesamtvorhaben der neuen Metropole belaufen wird, ist noch nicht klar. Es dürfte sich vermutlich um eine Summe jenseits von 100 Milliarden US$ handeln.

Lantau Vision Tomorrow noch nicht vom Tisch

Interessanterweise wurde ein weiteres riesiges Städtebauprojekt, die Lantau Vision Tomorrow, nicht ad acta gelegt. Das Vorhaben war der Öffentlichkeit im Jahr 2018 vorgestellt worden. Auf einer künstlich geschaffenen Insel wurde eine Stadt mit bis zu 400.000 Wohnungen für eine Million Einwohner geplant. Der Plan war auf heftige Kritik gestoßen, da die Aufschüttung der Landfläche mit hohen Summen verbunden und zudem ökologisch fragwürdig ist.

Die Northern Metropolis hat demgegenüber den Vorteil, dass vorhandene und größtenteils brachliegende Fläche genutzt wird. Bei einer Fahrt durch die nördlichen New Territories trifft man auf viele verwilderte Grundstücke, die als Abstellplatz für Reifen oder verrostete Container dienen. Aufgrund des Landrechts war es bislang schwierig, solche Flächen zu enteignen. Das Problem scheint nun mithilfe Beijings gelöst zu sein.

Da die Aufschüttungen wegfallen, dürfte die Nord-Metropole auch geringere Bau- und Entwicklungskosten verursachen. Schließlich setzt ihre Lage an der Grenze zu Shenzhen ein starkes politisches Signal: Hongkong und das chinesische Festland wachsen enger zusammen. Dies entspricht voll und ganz der Initiative des Großraums der sogenannten Greater Bay Area.

Megaprojekte Northern Metropolis und Lantau Vision Tomorrow im Überblick

Indikator

Northern Metropolis

Lantau Vision Tomorrow

Lage

An der Grenze zu Shenzhen

Zwischen Hong Kong Island und Lantau Island, nahe den zentralen Geschäftsvierteln

Derzeitige Bebauung

Es existieren bereits mehrere Vorstädte und Siedlungen mit 390.000 Wohnungen

Nicht vorhanden

Plan

Bau von über 500.000 Wohnungen

Aufschüttung einer künstlichen Insel; Bau von 260.000 bis zu 400.000 Wohnungen

Ziel

Metropole für 2,5 Millionen Einwohner und 600.000 Gewerbetreibende

Stadt für 1 Million Einwohner

Infrastruktur

Zusätzliche Grenzübergänge nach China; Anbindung an die Hongkong-Macau-Zhuhai-Brücke; Anbindung an Hongkonger S/U-Bahnsystem  

Anbindung an Hongkonger U-Bahnsystem; Brücken für Bus-/Autoverkehr

Planungszeitraum

Über 2 Jahrzehnte

Über 2 Jahrzehnte

Kosten

Über 100 Milliarden US$

100 bis 150 Milliarden US$

Umsetzung

Realisierung sehr hoch, Projekt wird von Beijing unterstützt

Liegt auf "Prioritätenliste" an 2. Stelle; ggf. Streichung oder Verkleinerung möglich

Probleme

Ungeklärte Landrechtsfragen bzw. Enteignungen notwendig, Grenzschließungen auch künftig möglich

Umweltschutzbedenken, sehr teuer, nicht populär

Quelle: Hongkonger Regierungserklärungen; South China Morning Post; Civil Engineering and Development Department

Northern Metropolis weit von zentralen Geschäftsvierteln entfernt

Sollte nur eines der beiden Städtevorhaben realisiert werden, dann dürfte sich die Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Northern Metropolis entscheiden. Jedoch liegt das Gebiet weit von den zentralen Geschäftsvierteln Hongkongs entfernt. Zudem bietet die Nähe zu Shenzhen nur dann Vorteile, wenn die Grenzen offen sind. Doch 2020 und im bisherigen Verlauf des Jahres 2021 waren sie pandemiebedingt nahezu durchgehend dicht. Die Lebensplanung unzähliger Hongkonger ging in die Brüche. Viele lebten nämlich vor der Coronapandemie in Shenzhen, arbeiteten aber in der SVR. Auch umgekehrte Fälle gab es zu Haufe. Hunderttausende Pendler und Schüler passierten täglich die Grenzen. Ob man sich je wieder auf ein solches Modell einlassen wird, bleibt fraglich.

Für ausländische Firmen dürften sich umfangreiche Geschäftschancen ergeben.

Ausländische Unternehmen in den Bereichen der Städte- und Verkehrsplanung sowie Gebäude- und Bahntechnik oder Anbieter von Bau- und Tunnelbohrmaschinen müssen solche Überlegungen allerdings nicht groß kümmern. Die Northern Metropolis dürfte letztendlich umgesetzt werden. Hongkong ist auf ausländische Expertise angewiesen, sodass mit umfangreichen Geschäftsmöglichkeiten zu rechnen ist.

Offenes Ausschreibungswesen von Vorteil

Bei den Rohbauten werden zumeist Hongkonger und chinesische Firmen bevorzugt. Anders sieht es bei der Aufzugs-, Sicherheits-, Brandschutz-, Energiespar- oder Verkehrstechnik aus. Auch bei öffentlichen Wohnbauprojekten setzt die SVR auf Qualität und Langlebigkeit. Im Gegensatz zu China ist Hongkong dem internationalen Übereinkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen, dem sogenannten Government Procurement Act, beigetreten.

Demzufolge müssen Projekte ab einem gewissen Auftragswert öffentlich ausgeschrieben werden. Ausschreibungen gelten in der ehemaligen britischen Kolonie als überwiegend offen und fair. Korruption spielt hingegen eine geringe Rolle. Alle staatlichen Beschaffungen werden über das Government Logistics Department abgewickelt. Dort können Firmen sich online als Zulieferer registrieren lassen. Weitere Informationen zu öffentlichen Beschaffungen liefert die Finanzbehörde. Dort ist des Weiteren ein Überblick der öffentlichen Ausschreibungen einsehbar.

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