Marokko will die lokale Produktion von Baustoffen und -materialien vorantreiben. Gegenwärtig leidet das Auftragsgeschäft stark unter der Kostenentwicklung.
Marokkos Bausektor kämpft derzeit mit widrigen Rahmenbedingungen. Nach einem einigermaßen zufriedenstellenden Vorjahr verlief das Jahr 2022 auch für die marokkanischen Produzenten von Baustoffen sehr mäßig. In erster Linie verhinderte die importierte Inflation eine Fortsetzung der Vorjahresdynamik. Ähnlich verhalten sehen die Vorzeichen für 2023 aus.
Die lokalen Zementhersteller bestätigen diesen Trend: Nach Absatzsteigerungen von knapp 15 Prozent im Vorjahr erzielten sie laut Direction des Études et des Prévisions Financières (DEPF) 2022 ein Minus von mehr als 10 Prozent. Und die Negativentwicklung verfolgt sie auch ins Folgejahr: Der Januar 2023 schloss mit einem um rund 6 Prozent niedrigeren Ergebnis ab als im Vorjahr.
Die im Haushalt beschlossenen öffentlichen Investitionen und die erwartete Realisierung von Projekten im Infrastrukturbereich lassen die Hoffnungen der gesamten Branche vor allem auf dem öffentlichen Sektor ruhen. Der Dachverband FMC (Fédération des Industries des Matériaux de Constructions) bremst indes die Erwartungshaltung für 2023. Auch wenn allgemein sei das Nachfrageniveau des Vor-Coronajahres 2019 im Großen und Ganzen wieder erreicht worden sei: Durch die Folgen des Krieges in der Ukraine könne mit einem Wachstum frühestens im zweiten Halbjahr 2023 gerechnet werden. Erst dann könnten von der steigenden Nachfrage sowohl die lokale Fertigung als auch die Importe profitieren.
Kosteneffekt mit unangenehmen Folgen
Durch die gestiegenen Rohstoffpreise sind die Herstellungskosten der gesamten Baubranche in die Höhe geschnellt. Von Holz bis Metall und Farbe stiegen die Preise überdurchschnittlich, beklagt die FMC. Auch Betonstahl ist stark betroffen. Diese Entwicklung könnte sich allgemein noch eine Weile fortsetzen und weitere, unangenehme Folgen mit sich bringen. Im Königreich haben Kostensteigerungen meist einen raschen Dominoeffekt, der zügig dazu führen könnte, dass der Start von Projekten verschoben, beziehungsweise diese völlig neu verhandelt werden muss.
Plan: Schlummerndes Potenzial lokalen Industrie ausnutzen
Die Bedeutung der lokalen Fertigung steigt. Das Industrieministerium versucht bereits seit 2016, ein lokales Ökosystem für die Baustoffindustrie aufzubauen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Segmente Keramik, Marmor, Stahl und Zement. Die ambitionierten Ziele: Schaffung von 300 Millionen US$ an neuer industrieller Wertschöpfung sowie 28.000 zusätzlicher dauerhafter Arbeitsplätze und die Generierung eines Umsatzwachstums um rund 1 Milliarde US-Dollar (US$).
Die marokkanische Regierung hat im Rahmen ihrer Strategie der Importsubstitution das Segment Baustoffe und -materialien als besonders attraktiv identifiziert. Das Handelsbilanzdefizit der Branche soll um knapp 500 Millionen US$ verringert werden. Dabei könnten steigende Branchenexporte 350 Millionen US$ und Importsubstitutionen durch den Aufbau lokaler Produktion 150 Millionen US$ ausmachen.
Längerfristig ist von einem weitaus höheren Volumen die Rede: Einfuhren im Wert von rund 2 Milliarden US$ könnten durch den Ausbau der lokalen Fertigung eingespart werden. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "La filière des matériaux de construction : Performances et capacités de développement 2022". Diese wurde vom Office des Changes, das unter Aufsicht des marokkanischen Finanzministeriums steht, in Auftrag gegeben.
Importe bleiben essenziell
Trotz zunehmender lokaler Produktion des Zuliefersektors geht die FMC davon aus, dass die Branchenimporte nicht an Bedeutung verlieren werden. Deutsche Lieferanten sollten in Nischensegmenten nach Geschäftschancen Ausschau halten. Beispielsweise könnten sich in Zukunft energiesparende Baumaterialien als einer dieser Bereiche herausstellen. Im Rahmen ihrer Stratégie Nationale de l´Efficacité Énergétique 2030 will die Regierung den Energieverbrauch im Gebäudebereich im Zeitraum 2020 bis 2030 um 14 Prozent reduzieren.
Zement dominiert die lokale Fertigung
Offiziell verfügt die lokale Baustoffindustrie über rund 750 eingetragene Betriebe, die zusammen mehr oder weniger 200.000 registrierte Arbeiter direkt oder indirekt beschäftigen. Der lokale Markt wird maßgeblich von Zement geprägt, der laut FMC im Jahr 2021 einen Umsatzanteil von knapp 50 Prozent hatte. Die Branche wird von wenigen Akteuren dominiert, die regional in Kartellen operieren.
Marokko verfügt über eine nennenswerte Stahlindustrie - darüber hinaus über etwa 80 Ziegeleien, zahlreiche Aluminiumfabriken, Marmorfabriken und Sanitärkeramikbetriebe. Marokko verfügt über eine nennenswerte Stahlindustrie - darüber hinaus über etwa 80 Ziegeleien, zahlreiche Aluminiumfabriken, Marmorfabriken und Sanitärkeramikbetriebe. Sand, Zuschlagstoffe, Stahl und Ton werden auch als Rohstoffe für die Herstellung elementarer Bauprodukte verwendet.
Materialien, bei denen der Importanteil mit etwa 50 Prozent relativ hoch ist, sind Spezialzemente, Holz, Glas und Marmor. Durch die wachsende Verbreitung von Fertighäusern gewinnen Transportbeton sowie homogene Betonblöcke an Bedeutung. Bei modularen Gebäuden besteht großer Bedarf. Importe von Baumaterialien kommen im Regelfall aus Europa. Lieferländer waren laut Office des Changes im Jahr 2021 Spanien mit einem Importanteil von etwa einem Viertel sowie Frankreich, Italien, Türkei und China (jeweils um die 10 Prozent).
Der Zementsektor ist im Gegensatz zu anderen Baustoffsegmenten ziemlich stark aufgestellt. Im Jahr 2022 wurden 12,5 Millionen Tonnen - gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang von knapp 1,5 Millionen Tonnen - in Marokko produziert. Davon exportierten marokkanische Zementhersteller rund 1 Million Tonnen.
Allerdings gelten die Herstellungspreise in Marokko als außerordentlich hoch. Mehr als die Hälfte der marokkanischen Zementproduktion stammt vom Hersteller Lafarge/Holcim, der über sieben Standorte im Königreich verfügt. Die andere Hälfte teilen sich die Nummer 2, Ciment du Maroc (Heidelberg Cement mit Mehrheitsbeteiligung), Ciment de l’Atlas sowie Asment Temara (Cimpor Gruppe) auf.
Stand: April 2023
Von Michael Sauermost
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Casablanca