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Rechtsbericht Brasilien Coronavirus

Brasilien: Coronavirus und Verträge

Die COVID-19-Pandemie hat in Brasilien weitreichende wirtschaftliche Folgen und beeinträchtigt insbesondere auch laufende Vertragsbeziehungen.

Von Jan Sebisch | Bonn

Einleitung

Die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus (COVID-19) beeinträchtigt die globale Wirtschaft massiv und erschwert Unternehmen die tägliche Arbeit.

In diesem Rahmen ist in rechtlicher Hinsicht für die Unternehmen eine der zentralen Fragen, wie ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf Verträge aussehen, die sie aufgrund der COVID-19-Pandemie möglicherweise nur teilweise oder gegebenenfalls gar nicht mehr erfüllen können.

Das brasilianische Recht beinhaltet verschiedene Rechtsinstitute, die die Nichterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen unter Umständen rechtfertigen beziehungsweise die betroffene Vertragspartei von einer etwaigen Haftung befreien können. In diesem Zusammenhang gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass die Anwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften stets eine Frage des konkreten Einzelfalls ist.

Höhere Gewalt-Klausel in Verträgen

Im brasilianischen Recht gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit (Art. 421 brasilianisches Zivilgesetzbuch: „liberdade de contratar“), das neben der Abschlussfreiheit auch die Gestaltungsfreiheit von Verträgen beinhaltet. Die Gestaltungsfreiheit wird in Art. 425 des brasilianischen Zivilgesetzbuches sogar ausdrücklich erwähnt und findet ihre Grenzen in den zwingenden Regelungen des Schuldrechts (direito das obrigações), der sozialen Funktion des Vertrages (Art. 421 brasilianisches Zivilgesetzbuch) und dem Prinzip von Treu und Glauben (Art. 422 brasilianisches Zivilgesetzbuch). Mithin besteht für Vertragsparteien die Möglichkeit auch atypische Verträge zu schließen, wenn sie dabei die allgemeinen Regelungen des Zivilgesetzbuches beachten.

Ausdruck der Gestaltungsfreiheit ist unter anderem, dass brasilianische Verträge oftmals eine Klausel über „höhere Gewalt“ enthalten. Der Rechtsbegriff der „höheren Gewalt“ ist Bestandteil vieler Verträge weltweit. In der Regel identifiziert der Begriff unvorhersehbare Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegen und die Erfüllung der vertraglichen Pflichten unmöglich machen und befreit im Rahmen einer entsprechenden Klausel, die betroffene Vertragspartei von ihrer Haftung.

Im Gegensatz zu vielen anderen Rechtsordnungen erkennt das brasilianische Zivilgesetzbuch den Begriff der „höheren Gewalt“ an (siehe: Art. 393 brasilianisches Zivilgesetzbuch). Das brasilianische Recht unterteilt den Begriff in zwei Kategorien: „höhere Gewalt“ (força maior) und „zufällige Ereignisse“ (caso fortuito). Von der „höheren Gewalt“ sind Ereignisse umfasst, die ihren Ursprung in der Natur haben zum Beispiel Überschwemmungen oder Erdbeben. „Zufällige Ereignisse“ sind Ereignisse, die ihren Ursprung in einer menschlichen Handlung haben zum Beispiel Kriege oder Streiks. In beiden Fällen muss das Ereignis unvorhersehbar oder schwer vorhersehbar sein. Ferner dürfen sich die Auswirkungen des Ereignisses nicht vermeiden lassen haben. Die von dem Ereignis betroffene Vertragspartei kann für die aus dem Ereignis resultierenden Verluste der anderen Vertragspartei nicht haftbar gemacht werden, es sei denn, die Haftung ist ausdrücklich festgelegt worden.

Extreme Verschiebung des Gleichgewichts der Leistungen

Das brasilianische Recht regelt in drei Vorschriften (Art. 478, 479, 480 brasilianisches Zivilgesetzbuch) die richterliche Korrektur von Verträgen, die sich nachträglich als für eine Vertragspartei extrem belastend herausstellen (onerosidade excessiva). In der Regel sind hiervon Dauerschuldverhältnisse betroffen oder Austauschverträge, die nicht unmittelbar nach Vertragsschluss erfüllt werden.

Als vorrangiges Instrument für Verträge, die sich im Nachhinein als für eine Vertragspartei extrem belastend erweisen, sieht das brasilianische Recht die Vertragsauflösung gemäß Art. 478 brasilianisches Zivilgesetzbuch vor. Hinsichtlich dessen gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass das Gesetz in Art. 479 des brasilianischen Zivilgesetzbuches eine Verfahrensweise zur Verfügung stellt, die zur Vertragsanpassung führen kann. Die beklagte Vertragspartei beziehungsweise die Vertragspartei, die sich einer Auflösungsklage der belastenden Vertragspartei gegenübersieht, kann die Auflösung des Vertrages abwenden, indem sie eine Vertragsanpassung vorschlägt, die das wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewichtig zwischen Leistung und Gegenleistung, das die Parteien bei Vertragsschluss ausgehandelt haben, annähernd wiederherstellt. Teilweise wird in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass ein entsprechender Vertragsanpassungsvorschlag auch von Seiten des Klägers zum Zeitpunkt der Erhebung der Auflösungsklage erfolgen kann.

Die Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung beziehungsweise der Vertragsauflösung sind in Art. 478 brasilianisches Zivilgesetzbuch geregelt. Das Ereignis, das zur extremen Verschiebung des Gleichgewichts der Leistungen geführt hat, muss außergewöhnlich und unvorhersehbar gewesen sein sowie im Erfüllungszeitpunkt zu einer Sachlage führen, die sich erheblich von derjenigen unterscheidet, die bei Vertragsschluss bestand. Als Resultat dessen muss die Leistungsverpflichtung für eine Vertragspartei extrem belastend geworden sein, wodurch für die andere Vertragspartei zugleich ein extremer Vorteil entstanden ist.

Der Anwendungsbereich des Art. 478 brasilianisches Zivilgesetzbuch erstreckt sich nicht auf sogenannte aleatorische Verträge (contratos aleatórios), bei denen die Voraussetzungen der Leistungserbringung vom zufälligem Eintritt künftiger Ereignisse abhängen (zum Beispiel Lebensversicherungen).

Der Art. 480 brasilianisches Zivilgesetzbuch bezieht sich auf einseitig verpflichtende Verträge und ist daher in der Regel für den kommerziellen Bereich von eher geringer Bedeutung. 


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