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Rechtsbericht | Islamische Staaten | Rechtsordnung

Islamisches Recht und die Scharia (I)

Was sind die Rechtsquellen, was der Anwendungsbereich der Scharia? Nachstehend ein Überblick zur Bedeutung und Relevanz für ausgewählte Rechtsgebiete (Bericht in zwei Teilen; Teil II).

Von Jakob Kemmer | Bonn

Einleitung

Seit Mitte August 2021 kontrolliert die radikalislamische Bewegung der Taliban wieder weite Teile Afghanistans. Die Mitglieder der Gruppe haben angekündigt, zu einem „islamischen System“ zurückkehren zu wollen und die „Scharia“ wiedereinzuführen. Beim Wort Scharia schrecken viele westliche und europäische Beobachter auf, ist es doch nach wie vor sehr negativ konnotiert. Oftmals wird Scharia gleichgesetzt mit einem unmenschlichen Rechtssystem, das im Namen Gottes Ungläubige tötet, Ehebrecherinnen steinigt und Dieben die Hände amputiert. 

Doch was versteckt sich wirklich hinter diesem Begriff? Wörtlich aus dem Arabischen übersetzt, beschreibt Scharia grundsätzlich erst einmal den Pfad in der Wüste, der zur Wasserquelle führt. Die Scharia ist danach zuallererst ein Wegweiser, der den Menschen zu Gott, das heißt seiner Quelle führen soll. Sie beinhaltet insgesamt zwei zu trennende Bereiche. Neben der religiösen Praxis, ist das auch das Zusammenleben der Menschen.

Aus aktuellem Anlass stellt sich die Frage, wie genau Letzteres durch die Scharia geregelt und beeinflusst wird. 

Rechtsquellen und Dogmatik

Die Scharia ist kein real existierendes Gesetzeswerk, das als rechtliche Grundlage einer Verfassung oder als Gesetz eines Staates in Frage käme. Vielmehr ist sie eine Art Mustervorstellung vom göttlichen Gesetz, das alle religiösen und rechtlichen Normen des Islams, einschließlich der Lehre über die Methoden ihrer Auffindung und Interpretation beinhaltet. Das reicht von Speisevorschriften bis hin zu Normen des Vertrags-, Wirtschafts-, Familien- oder Strafrechts.

Es hat im Laufe der Geschichte einige Versuche gegeben, die Scharia zu kodifizieren. Da sich aber nie ein wirklich einheitliches Verständnis ermitteln ließ, scheiterten bis heute alle Versuche, ein universelles, schriftliches Gesetzbuch nach den Vorschriften der Scharia zu verfassen.

Dennoch haben sich drei Hauptquellen zur Rechtsermittlung im Sinne der Scharia herausgebildet. Erstens finden sich im Koran circa ein Dutzend Verse mit rechtlichem Gehalt, die als islamische Rechtserkenntnisquelle herangezogen werden können. Zweitens gilt die sogenannte Sunna, das heißt die vom Propheten Mohammed überlieferten Worte und Taten, als Maßstab für das Verhalten der Muslime und für die als richtig erachtete Rechtspraxis. Und drittens wird zur Ermittlung des „richtigen Rechts“ auf die verschiedenen Rechtsschulen innerhalb des Islam zurückgegriffen. Dazu zählen vor allem die vier bekanntesten sunnitischen (hanafitische, malikitische, schafitische und hanbalitische Schule), sowie die zwei wichtigsten schiitischen Schulen (Dschafarija, Zaidija). Der in diesen Rechtsschulen herausgebildete Gelehrtenkonsens wird dann oftmals mit aus europäischen Rechtskreisen bekannten Methoden wie Analogie oder Umkehrschluss verbunden.

Anwendungsbereich

Die Geltung des islamischen Rechts und der Scharia knüpft grundsätzlich an die Religionszugehörigkeit der Person und nicht an ein staatliches Hoheitsgebiet an. Verbindlich ist es daher in erster Linie nur für Muslime, nicht aber für Angehörige anderer Religionen. Gegenüber anderen Religionen kennt der Islam allerdings keine wirkliche Gleichberechtigung, in islamischen Staaten ist daher auch von Nichtmuslimen die Oberherrschaft des islamischen Rechts anzuerkennen.

Vor diesem Hintergrund hat sich allerdings mittlerweile auch ein teilweiser Schutz von Angehörigen anderer Religionen, sogenannter Dhimmis etabliert, zum Beispiel bezüglich ihrer eigenen, freien Religionsausübung. Ein zusätzlicher Sonderstatus gilt dann vor allem für Nichtmuslime aus nicht islamischen Ländern, die sich vorübergehend auf islamischem Territorium aufhalten. Um grenzüberschreitende Handelsbeziehungen zu ermöglichen, genießen diese deshalb eine Schutzgarantie (Aman) für Person und Vermögen.

Auf interreligiöse Rechtsbeziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen kommt zumindest immer dann islamisches Recht zur Anwendung, wenn diese in islamischem Gebiet entstanden sind und dort auch geltend gemacht werden.

Internationales Privatrecht

Auch die Vorschriften des deutschen beziehungsweise des europäischen Internationalen Privatrechts (IPR) können zur Anwendung der Scharia gelangen. Denn das IPR regelt lediglich, welches Recht zur Anwendung kommt, wenn ein Sachverhalt Bezug zum islamischen Recht aufweist und eine ausdrückliche Rechtswahl nicht getroffen wurde.

Und das am Gerichtsort, zum Beispiel in Deutschland, geltende Sachrecht hält nicht unbedingt immer die beste Lösung parat. Das deutsche beziehungsweise europäische IPR kennt als Anknüpfungspunkt zur Ermittlung des anwendbaren, materiellen Rechts beispielsweise den gewöhnlichen Aufenthalt, die Staatsangehörigkeit oder auch den Handlungsort. Dahinter verbirgt sich der Gedanke der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen im Privatrechtsbereich. Auch das IPR des jeweils anderen Staates spielt natürlich eine Rolle bei der Suche nach dem anzuwendenden Recht.

Kommt das IPR im Einzelfall tatsächlich zur Anwendung Islamischen Rechts und der Scharia, so setzt der sogenannte Ordre-public-Vorbehalt noch eine letzte Grenze der Kontrolle. Solche Normen finden sich in verschiedenen IPR-Gesetzen, wie zum Beispiel in Art. 6 EGBGB, Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 12 Rom III-VO oder auch Art. 35 EuErbVO. Unter dem Ordre public versteht man die Gesamtheit aller inländischen Wertvorstellungen. Diese sind dann verletzt, wenn das konkrete Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts bei hinreichendem Inlandsbezug mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist.

Im Bereich des Vertrags- und Wirtschaftsrechts ist die Anwendung islamischen Rechts (z.B. Zinsverbot o.ä.) oft unproblematisch, da dies in den meisten Fällen auch in Deutschland oder Europa zulässig ist. Problematisch ist eine Anwendung eher im Erb- und Familienrecht, zum Beispiel bei Kinderehen oder Polygamie.

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