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Rechtsbericht Niederlande Coronavirus

Niederlande: Coronavirus und Verträge

Die Niederlande und Deutschland sind wirtschaftlich eng verbunden. Vertragsbeziehungen folgen häufig niederländischem Recht. Was passiert, wenn die Vertragserfüllung in Frage steht?

Von Karl Martin Fischer | Bonn

Einleitung

Auch die Niederlande sind von dem Coronavirus COVID-19 betroffen, und die Regierung handelt, um die Bevölkerung zu schützen. Einige Beschränkungen haben erhebliche Störungen der wirtschaftlichen Betätigung verursacht. Störungen in deutsch-niederländischen Vertragsbeziehungen können natürlich auch aus in Deutschland oder anderen Ländern geltenden Beschränkungen folgen. Die Erbringung von Leistungen kann unmöglich oder deutlich schwieriger werden. Dieser Bericht erläutert, wie das niederländische Recht mit diesem Thema umgeht.

Die Regelung im bürgerlichen Recht: Artikel 6:75

Wenn die Erbringung einer Leistung durch einen äußeren Umstand unmöglich oder deutlich schwieriger wird, spricht man oft von "höherer Gewalt", im Niederländischen gibt es den Begriff "Overmacht". Im Burgerlijk Wetboek (im Folgenden: BW), dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch, findet sich die Regelung hierzu in Artikel 6:75 BW. Dort geht es vor allem um die Frage des Verschuldens. Konkret: ein Leistungsmangel kann dem Schuldner der Leistung nicht zugerechnet werden, wenn er a) unverschuldet ist, also außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegt, und b) weder ein Gesetz, ein sonstiger Rechtsakt oder eine Vereinbarung, noch eine Verkehrsanschauung existieren, die eine solche Zurechnung vornehmen.   

Wenn zum Beispiel eine Lieferung aus dem Ausland über den normalen Transportweg nicht mehr, über einen alternativen Transportweg aber durchaus noch möglich ist, wird in vielen Fällen Verschulden vorliegen, wenn der Leistungsschuldner diesen alternativen Weg nicht wählt, denn die Entscheidung über den Transportweg liegt im Verantwortungsbereich des Leistenden. Anders formuliert: wenn die Leistung erschwert, aber noch möglich ist, wird eine Berufung auf höhere Gewalt in aller Regel nicht möglich sein. Entsprechendes gilt, wenn die Ereignisse, die zur Unmöglichkeit der Leistung führen, bei Vertragsschluss schon vorhersehbar waren. 

Die Beweislast für das Vorliegen der höheren Gewalt trägt der Schuldner der Leistung.

Was folgt aus dem Vorliegen der Voraussetzungen des Artikel 6:75? Zunächst ist der Schuldner der Leistung für die Nichterfüllung nicht verantwortlich, er kann also nicht erfolgreich auf Erfüllung oder Verzugsschaden in Anspruch genommen werden. Allerdings kann es sein, dass der Leistungsschuldner Aufwand spart. So kann es im Einzelfall doch einen Anspruch auf Schadenersatz geben, der allerdings auf die ersparten Aufwendungen beschränkt ist, siehe Artikel 6:78 BW. Nicht ausdrücklich geregelt, aber fast immer ratsam ist eine möglichst zeitige Mitteilung der höheren Gewalt an die andere Partei.

Weiterhin kann im Einzelfall die Regelung des Artikel 6:265 BW relevant werden: wenn eine Partei ihre Verpflichtung nicht erfüllt, kann die andere Partei den Vertrag ganz oder teilweise beenden. Dieser Tatbestand dürfte häufig erfüllt sein. Denn es genügt, dass die Pflicht nicht erfüllt wird - ein Verschulden muss der Nichterfüllung nicht zugrunde liegen. Etwas weniger einschneidend ist die Aussetzung („Opschorting“) der vertraglichen Gegenleistung, wenn die Leistung der anderen Partei - vorübergehend - unmöglich wird. Das Vertragsverhältnis als solches wird in diesem Fall aufrechterhalten, und möglicherweise können die Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt noch ausgetauscht werden.

Oft ist die höhere Gewalt auch vertraglich geregelt

Wer mit durch den Coronavirus verursachten Problemen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zu tun hat, sollte den betroffenen Vertrag zunächst genau lesen. Denn es steht den Parteien frei, sich vertraglich auf eine vom Gesetz abweichende Regelung der höheren Gewalt zu einigen. Der Begriff kann erweitert, eingeschränkt oder auch näher spezifiziert werden. Viele Verträge enthalten eine Aufzählung von Ereignissen, auf die die Definition der höheren Gewalt zutrifft, häufig werden Epidemien dort ausdrücklich genannt sein. Ist dies nicht der Fall, wird es nahezu immer darauf ankommen, ob eine Epidemie von einem Auffangtatbestand (wie zum Beispiel „act of God“) erfasst wird.

Wenn höhere Gewalt im Sinne einer vertraglichen „force majeure“ – Klausel vorliegt, muss es eine Kausalverbindung zwischen dieser höheren Gewalt und der Unmöglichkeit oder, je nach der individuellen Klausel, vielleicht auch nur erheblichen Erschwerung der Erbringung der geschuldeten Leistung geben. Wenn also das Leistungshindernis auf der höheren Gewalt beruht, dann sehen die entsprechenden Vertragsklauseln in aller Regel vor, dass eine Mitteilung der - eigentlich - leistungspflichtigen Partei an die andere Partei erfolgen muss. In manchen Verträgen ist eventuell eine Frist für diese Mitteilung enthalten, beispielsweise „innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden des Hinderungsgrundes“ oder ähnlich.

Ist die Mitteilung erfolgt und liegen auch die anderen Voraussetzungen vor, folgt daraus in den meisten Fällen eine Befreiung von der Leistungspflicht und auch eine Befreiung von einer Haftung auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug. Wenn die Beeinträchtigung nur zeitweise besteht, und das wird im Hinblick auf viele Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus häufig der Fall sein, dann gelten die genannten Befreiungen nur so lange, wie die Beeinträchtigung besteht. Fällt sie weg, muss der Leistungsschuldner den Leistungsgläubiger darüber informieren. Manche Klauseln regeln eine Verpflichtung zur Neuverhandlung der Leistungspflichten. In anderen Fällen kann die Beeinträchtigung dazu führen, dass bestimmte Leistungen dauerhaft nicht mehr sinnvoll erbracht werden können. Dann kann eine Kündigungsmöglichkeit vorgesehen sein, falls nicht, kann möglicherweise Artikel 6:265 BW relevant werden (siehe oben).

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