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Rechtsbericht Indien Coronavirus

Indien: Coronavirus und Verträge

Die Coronavirus-Pandemie kann im Geschäftsverkehr mit Indien zu Fragen führen wie: Kann ich mich für den Fall, dass Verträge nicht erfüllt werden können, auf höhere Gewalt berufen?

Von Julia Merle | Bonn

Einleitung

Die Anzahl der Corona-Fälle nimmt in Indien täglich zu. Die landesweit verhängte Ausgangssperre ist bereits bis zum 3. Mai 2020 verlängert worden.

Nicht zuletzt in internationalen Lieferketten zeigen sich Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Die Frage stellt sich, ob sich betroffene Unternehmen in der gegenwärtigen Situation auf „höhere Gewalt“ berufen können und so eventuell im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen nicht dafür haften.

Bei bestehenden grenzüberschreitenden deutsch-indischen Verträgen sollte zunächst geprüft werden, welchem Recht diese im Einzelfall unterliegen (Rechtswahlklausel?). Indien ist kein Vertragsstaat des UN-Kaufrechts.


Prüfung des Vertrages: Force Majeure-Klausel vereinbart?

In Indien als Common Law-Staat sind die vertraglichen Regelungen des Einzelfalls von besonderer Bedeutung.  

Bei einer üblicherweise vereinbarten Force Majeure-Klausel handelt es sich um eine ausdrückliche Bestimmung über die Umstände, in denen man von der Vertragserfüllung befreit oder diese zeitweise ausgesetzt wird. Wenn die Erfüllung durch ein Ereignis außerhalb der Kontrolle der Parteien – etwa Überschwemmung, Feuer oder Terrorakt – verhindert wird, können eine oder beide Parteien von der Haftung befreit sein.

Die individuelle Klausel sollte untersucht werden: Was wird dort unter „höherer Gewalt“ verstanden? Welche Ereignisse außerhalb des Einflussbereichs der Parteien sind aufgeführt, z.B. Epidemien? Ist die Klausel offen formuliert oder werden die Ereignisse abschließend genannt?

Zudem ist Kausalität zwischen Ereignis und Nichterfüllung erforderlich.

Die konkreten vereinbarten Rechtsfolgen können etwa von der vollständigen Haftungsbefreiung oder Befreiung von der Leistung, über Nichtigkeit des Vertrages, Anpassung des Leistungsumfangs bis hin zu lediglich einer Suspendierung für die Dauer des Vorliegens höherer Gewalt reichen.

Eventuell stellt die Klausel weitere Voraussetzungen auf: So kann die sich auf höhere Gewalt berufende Partei die Folgen der Nichterfüllung zu mindern oder Mitteilungspflichten („force majeure notice“) zu erfüllen haben. Sie kann zur Anwendung der gebotenen Sorgfalt verpflichtet sein.

Die Partei, die sich auf höhere Gewalt berufen möchte, hat das Vorliegen von Umständen nachzuweisen, die dazu führen.


Wie regelt das indische Recht die „höhere Gewalt“?

Wurde keine vertragliche Regelung getroffen, hat die aus dem englischen Recht stammende richterrechtliche „Doctrine of Frustration“ besondere Relevanz. 

Das Vertragsgesetz (Indian Contract Act, 1872; CA) sieht in Sec. 56 Abs. 2 CA vor, dass ein Vertrag über eine Handlung, die nach Vertragsschluss unmöglich oder aufgrund eines Ereignisses, das der Schuldner nicht verhindern konnte, rechtswidrig wird, nichtig wird, wenn die Handlung unmöglich oder rechtswidrig wird.

Voraussetzungen für Sec. 56 CA sind das Bestehen eines wirksamen Vertrages, der noch zu erfüllen ist, und eine nach Vertragsschluss eintretende rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Erfüllung. Die Vorschrift betrifft Fälle, in denen ein Ereignis außerhalb des Machtbereichs der Parteien die Grundlage des Vertrags zerstört.

Laut Rechtsprechung zur frustration of contract können dadurch Verträge beendet werden, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis die Erfüllung unmöglich macht oder den ursprünglichen Grund einer Partei für den Vertragsschluss grundlegend verändert. Die Vertragserfüllung wird aufgrund der veränderten Umstände unmöglich, die Parteien sind nicht für das Ereignis verantwortlich und, da sie nicht versprochen haben, Unmögliches zu leisten, von der weiteren Erfüllung befreit.

Wirtschaftliche Unmöglichkeit bzw. Schwierigkeiten allein genügen nicht, um Unmöglichkeit der Erfüllung zu begründen oder frustration zu bejahen. Die Rechtsdoktrin wird stets restriktiv ausgelegt.

Besteht eine Vertragsklausel, kommt Sec. 32 CA in Betracht: Bedingte Verträge darüber, etwas (nicht) zu tun, wenn ein ungewisses Ereignis in der Zukunft eintritt, können nicht durchgesetzt werden bis zum Eintritt des Ereignisses. Solche Verträge werden nichtig, wird das Ereignis unmöglich.


Kann der Ausbruch des Coronavirus einen Fall von force majeure begründen?

Eine pauschale Antwort hierauf ist nicht möglich, die Umstände des konkreten Falles sind entscheidend. Indische Gerichte stellten höhere Gewalt bislang abhängig von der Situation dar.

Die indische Regierung hat aber inzwischen für Spezialfälle Einstufungen vorgenommen: 

In einem Office Memorandum (OM) des Finanzministeriums vom 19. Februar 2020 (No. F.18/4/2020-PPD) hinsichtlich seines Handbuches zur Güterbeschaffung („Manual for Procurement of Goods, 2017“) heißt es, da Zweifel daran entstanden seien, ob die Störung von Lieferketten durch die Ausbreitung des Coronavirus unter die Force Majeure-Klausel falle, dass in dieser Hinsicht klargestellt werde, dass diese als Naturkatastrophe angesehen werden solle und force majeure geltend gemacht werden könne, wo immer dies als angemessen erachtet werde.

Auch das Ministerium für neue und erneuerbare Energie (MNRE) veröffentlichte am 20. März 2020 ein OM (No. 283/18/2020-GRID SOLAR): Bei bestimmten Projekten kann sich, wer vertragliche Fristen wegen der Unterbrechung von Lieferketten durch die Coronavirus-Ausbreitung nicht einhalten kann, zur Fristverlängerung auf die Force Majeure-Klausel berufen. Mit OM vom 17. April 2020 stufte das MNRE den gegenwärtigen Lockdown als Force Majeure-Ereignis ein. 

Die Mitteilungen sind nicht auf alle Verträge anwendbar.

 

Ausblick

Generell sollten unter anderem frühzeitig Nachweise gesammelt sowie etwaigen Mitteilungspflichten gegenüber dem Vertragspartner nachgekommen werden.

Bei der Gestaltung künftiger Verträge bietet sich eine präzise, beispielsweise Pandemien und Epidemien enthaltende Force Majeure-Klausel an.


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