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Recht
Rechtsbericht USA Produzentenhaftung
New York (gtai) - Die Einrede der Unzuständigkeit des US-amerikanischen Gerichts für den nicht in den USA ansässigen Beklagten kann zur erfolgreichen Verteidigung einer Produkthaftungsklage führen. Hier hat sich in letzter Zeit eine herstellerfreundliche Tendenz in der US-Rechtsprechung entwickelt. Aber auch bei der Zustellung des Urteils gibt es interessante Möglichkeiten.
17.07.2014
Für den Kläger ist die Erhebung einer Klage gegen den Hersteller kaum mit Risiken verbunden, selbst falls er den Prozess verlieren sollte. Er läuft nur in seltenen Fällen das Risiko, die Anwaltskosten der anderen Partei zu tragen. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass das beklagte Unternehmen verpflichtet ist, seine Anwaltskosten zu tragen, auch, wenn es sich erfolgreich vor Gericht verteidigen kann.
Die amerikanischen Gerichte erheben eine geringe Pauschalgerichtsgebühr, die nicht dem Streitwert nach gestaffelt ist.
Eigene Anwälte werden oftmals auf Erfolgsbasis ("contingency fee") tätig, so dass der Kläger nur dann Anwaltsgebühren zu zahlen hat, wenn er den Prozess gewinnt oder es zumindest zu einem Vergleich kommt. Die Gerichtskosten sind streitwertunabhängig und durchgehend niedrig, was nach amerikanischem Verständnis den Zugang zu den Gerichten erleichtern soll, sich im Vergleich zu Deutschland jedoch einseitig zu Gunsten der amerikanischen Klägerseite auswirkt.
Das amerikanische Gerichtssystem ist für Außenstehende kompliziert. Einzelstaatliche Gerichte und Bundesgerichte sind parallel zuständig, die Rollen des Richters und des Rechtsanwalts sind mit ihren Funktionen in unserem kontinentaleuropäischen Rechtskreis nur eingeschränkt vergleichbar.
Entsprechendes gilt für die Beweisermittlung zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung (pretrial discovery). Die pretrial discovery verdient besondere Beachtung, weil die Ermittlungsmethoden, die Vorlageverlangen und die in diesem Zeitraum durch Anwälte durchgeführten Vernehmungen erheblich über das nach deutschem Recht Übliche hinausgehen und äußerst zeit- und kostenintensiv sind.
Im discovery Verfahren können jede Partei und sogar außenstehende dritte Personen fast schrankenlos gezwungen werden, alle auch nur potentiell prozessrelevanten Unterlagen vorzulegen, wenn die Gegenseite dies verlangt. Dies ermöglicht dem Kläger beispielsweise, verklagte Unternehmen zur Herausgabe von Konstruktionsunterlagen zu zwingen. Die Vorlagepflicht beklagter Unternehmen erstreckt sich dabei auch auf Kontoauszüge, Bilanzen, E-Mails, postalischen Geschäftsverkehr, hausinterne Vermerke oder Protokolle. Für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen gibt es kein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht. In der Praxis wird die pretrial discovery oftmals zu so genannten fishing expeditions missbraucht, um Geschäftsgeheimnisse der anderen Partei aufzudecken oder um überhaupt erst zu bestimmen, ob ein Anspruch besteht und inwieweit er auf Beweise gestützt werden kann.
Die Bundesrepublik Deutschland und die USA haben das Haager Beweisübereinkommen (HBÜ) vom 18. März 1970 ratifiziert (Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen, BGBl. II 1977 II. S. 1472ff.). Nach dem deutschen Vorbehalt zu Art. 23 HBÜ ist jedes Landesjustizministerium befugt, die Erledigung von Rechtshilfeersuchen abzulehnen, die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den USA unter der Bezeichnung "pretrial discovery of documents" bekannt ist. Der Umfang der Rechtshilfe im Hinblick auf das Ersuchen um Urkundenvorlage liegt damit im Ermessen der deutschen Justizbehörden.
Unabhängig hiervon sollten sich Unternehmen bewusst sein, welche Unterlagen gegebenenfalls dem Zugriffsbereich einer discovery-Anordnung unterfallen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nach verbreiteter US-Rechtsprechung von Klägern durchgeführte pretrial discovery-Maßnahmen in Deutschland nicht im Rahmen des Haager Beweisübereinkommens durchgeführt werden müssen, jedenfalls nicht, solange das Gericht noch nicht über die Zuständigkeit (personal jurisdiction) entschieden hat (Fishel v. BASF Group, 175 F.R.D. 525 (S.D. Iowa 1997)).
Ein nicht in den USA ansässiger Beklagter, der in einem bestimmten Bundesstaat verklagt wird, kann unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich vorbringen, dass das angerufene Gericht nicht zuständig (personal jurisdiction) ist.
Obgleich in der Vergangenheit viele US-Gerichte ihre Zuständigkeit bei einem nicht in den USA ansässigen Beklagten auf Grund der Stream of Commerce Theory angenommen haben, ist in der letzten Zeit ein unternehmerfreundlicher Trend zu verzeichnen. Der US-Supreme Court hat hierbei in den Entscheidungen J.McIntyre Machinery Ltd. vs. Nicastro und Goodyear Dunlop Tyres Operations S.A. vs. Brown et ux die Purposeful Availment Theory angewandt.
Nach der Stream of Commerce Theory kann ein ausländisches Unternehmen vor einem US-Gericht verklagt werden, wenn das ausländische Unternehmen seine Produkte auf den US-Markt gebracht hat. Dies nimmt ein Gericht an, wenn der Verkäufer die Kenntnisse hatte oder die Kenntnis hätte haben müssen, dass das in Streit stehende Produkt aufgrund des Einleitens in den Handelsstrom in einen US-Bundesstaat gelangen konnte.
Nach der Purposeful Availment Theory soll ein Unternehmen vor einem US-Gericht aufgrund eines fehlerhaften Produktes nur verklagt werden können, wenn es nennenswerte Maßnahmen getroffen hat, um gerade in den USA eine Geschäftstätigkeit aufzunehmen. Nach Ansicht des US-Supreme Courts sei die Tatsache des Einleitens in den Handelsstrom für die Zuständigkeitsbestimmung irrelevant.
Trotz allem kann hierin lediglich eine Tendenz gesehen werden. Ein ähnlich gelagerter Fall kann anders entschieden werden. Dennoch sollte dem Unternehmen bewusst sein, dass ihm eine Theorie zur Verfügung steht, mit der es die Zuständigkeit eines US-Gerichts angreifen kann.
Sofern ein in den USA verurteiltes, deutsches Unternehmen in den USA Vermögen z.B. Immobilien, Kontoguthaben, Beteiligungen an Tochterunternehmen hat, können die US-Gläubiger in das in den USA belegene Vermögen vollstrecken. Sofern das Unternehmen eine Tochtergesellschaft in den USA unterhält, wird der Tochtergesellschaft das Urteil zugestellt. Andernfalls muss dem deutschen Unternehmen das Urteil zunächst in Deutschland zugestellt werden. Die Zustellung eines ausländischen Urteils an einen deutschen Beklagten bestimmt sich nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen. Ob ein deutscher Beklagter sich gegen eine Zustellung wehren kann, ist fraglich. Zwar kann ein deutsches Gericht die Zustellung eines gerichtlichen Schriftstückes einer ausländischen Behörde verweigern, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit welcher eine in Deutschland ansässige Klägerin beantragt hatte, die Zustellung einer Klage eines vor einem kalifornischen Gericht anhängigen Gerichtsverfahrens als verfassungswidrig zu erklären. Weder die Verurteilung zu einem Strafschadensersatz (punitive damages) noch hohe Anwaltskosten verstießen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats. Vielmehr sei dies eine Folge der unternehmerischen Entscheidung für eine grenzüberschreitende Teilnahme am Wirtschaftsleben. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts kann unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20130109_2bvr280512.html.
Die Vollstreckung eines US-Urteils gegen einen deutschen Beklagten in dessen Vermögen in Deutschland setzt die Anerkennung sowie die Erklärung der Vollstreckbarkeit durch ein deutsches Gericht voraus. Das Anerkennungsverfahren bestimmt sich mangels bilateralen Abkommen zur Anerkennung von Gerichtsurteilen nach §§ 328, 722, 723 ZPO. Danach muss das Gericht zuständig gewesen und die Klage muss ordnungsgemäß zugestellt worden sein. Ein deutsches Gericht kann die Anerkennung des Urteils wegen eines Verstoßes gegen den ordere public (§ 328 Nr. 4 ZPO) verweigern. Im Hinblick auf die punitive damages kann ein hoher Strafschadensersatz gegen das Verbot der mehrfachen Bestrafung sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
Es muss sich zudem aus den Urteilsgründen eindeutig ergeben, für welche Zwecke die punitive damages bestimmt sind. Lässt sich dies aus den Urteilsgründen nicht entnehmen, kann ein deutsches Gericht die Anerkennung des Urteils verweigern. Allerdings kann ein deutsches Gericht eine Teilerkennung des Urteils aussprechen, wenn der kompensatorische Schadensersatz getrennt von dem Strafschadensersatz beurteilt wurde, das Urteil demnach teilbar ist. In diesem Fall kann die Anerkennung des Urteils auf den Teil des kompensatorischen Strafschadensersatzes und Schmerzensgeld beschränkt werden. Vergleiche hierzu das BGH-Urteil aus dem Jahr 1992 (BGHZ, 118, 312, 340 ff.).
Hinweis: Dieser Artikel, Bestandteil der aus dem Vertrieb genommenen gtai-Publikation "Produkthaftung - USA" (Autor: Alexander von Hopffgarten), wurde inhaltlich überprüft und - soweit dies erforderlich war - im Bereich Recht der Germany Trade & Invest von Verena Eike aktualisiert. Diese Artikel zur Rechtslage in USA stehen in unserer Rechtsdatenbank http://www.gtai.de/recht für Sie zum Abruf bereit:
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