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Die neue Fassung der ICC-Schiedsgerichtsordnung tritt am 1. Januar 2021 in Kraft und beinhaltet einige interessante Neuerungen.
02.11.2020
Von Dmitry Marenkov | Bonn
Am 6. Oktober 2020 hat der Internationale Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer (ICC) die neue Fassung der ICC-Schiedsgerichtsordnung (ICC Rules of Arbitration 2021) veröffentlicht. Diese wird auf alle ICC-Schiedsverfahren Anwendung finden, die nach dem 1. Januar 2021 eingeleitet werden, unabhängig davon, wann die entsprechende Schiedsvereinbarung zustande gekommen ist. Unternehmen, die in ihren Verträgen ICC-Schiedsklauseln vereinbart haben oder dies beabsichtigen, sollten sich daher mit den Neuerungen vertraut machen.
Die ICC ist eine der renommiertesten Schiedsinstitutionen der Welt. Im Jahre 2019 wurden 869 neue Schiedsfälle bei der ICC registriert, an denen Unternehmen aus 147 Staaten und Schiedsrichter aus 89 Rechtsordnungen teilnehmen (darunter 97 deutsche Parteien und 87 deutsche Schiedsrichter). Insgesamt hat der ICC-Schiedsgerichtshof in seiner fast 100-jährigen Geschichte über 25.000 Schiedsverfahren administriert.
Die Mitte 2020 durchgeführte GTAI-Umfrage zur Verwendung von Schiedsklauseln in internationalen Verträgen bestätigte, dass Unternehmensjuristen und Rechtsberater in Deutschland und dem deutschsprachigen Raum am häufigsten Schiedsklauseln zu Gunsten der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit vereinbaren. Auch die 2018 durchgeführte Studie der University of London identifizierte die ICC als die international bevorzugteste Schiedsinstitution.
Die bisher letzte Fassung der ICC-Schiedsgerichtsordnung (ICC-SchO) trat am 1. März 2017 in Kraft. Das Regelwerk enthält Bestimmungen zur Einleitung und zum Ablauf des Verfahrens, zur Bildung des Schiedsgerichts, zum Erlass des Schiedsspruchs und zu anderen Aspekten von Schiedsverfahren. Zu den Besonderheiten der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit gehören die Formulierung eines sog. Schiedsauftrags (Terms of Reference, Art. 23 ICC-SchO) nach Übergabe der Fallakte an das Schiedsgericht und die Prüfung des Schiedsspruchs durch den Schiedsgerichtshof unter Wahrung der Entscheidungsfreiheit des Schiedsgerichts (Scrutiny, Art. 34 ICC-SchO).
Die neue Fassung der ICC-SchO liegt vorerst nur in englischer Sprache vor. Eine Übersetzung ins Deutsche und weitere Sprachen ist in Vorbereitung. Auch das Merkblatt für die Parteien und das Schiedsgericht über die Durchführung des Schiedsverfahrens nach der ICC-SchO (aktueller Stand: 1. Januar 2019) soll an die neue Fassung angepasst werden.
Die ICC reagiert auf die in den letzten Jahren gewachsene Zahl von Mehrparteienverfahren (rund ein Drittel aller 2019 eingeleiteten ICC-Verfahren) mit neuen Bestimmungen. Artikel 7 ICC-SchO zur Einbeziehung zusätzlicher Parteien wird um Absatz 5 ergänzt, wonach die Einbeziehung einer zusätzlichen Partei im Laufe des Schiedsverfahrens bei entsprechender Entscheidung des Schiedsgerichts möglich ist. Artikel 10 n.F. ICC-SchO präzisiert, wann zwei oder mehrere Schiedsverfahren in einem einzigen Schiedsverfahren verbunden werden können.
Parteien, die Dienstleistungen eines Prozessfinanzierers (Third Party Funding) in Anspruch nehmen, müssen dies gemäß dem neuen Art. 11 Abs. 7 ICC-SchO im Interesse der Transparenz dem ICC-Sekretariat, dem Schiedsgericht und der Gegenseite offenlegen.
Gemäß dem neu eingefügten Art. 17 Abs. 2 ICC-SchO ist das Schiedsgericht nach schriftlicher Anhörung aller Parteien im Interesse der Integrität des Verfahrens befugt, die nach Bildung des Schiedsgerichts neu hinzugekommenen Parteivertreter abzulehnen, wenn dies ansonsten zu Interessenkonflikten führen würde.
Der neu eingefügte Art. 12 Abs. 9 ICC-SchO erlaubt es dem ICC-Schiedsgerichtshof, sich in Ausnahmefällen über die Vereinbarung der Parteien hinsichtlich der Bildung des Schiedsgerichts hinwegzusetzen und alle Schiedsrichter selbst zu ernennen, wenn ansonsten aufgrund der fehlenden Gleichbehandlung und Fairness die Gültigkeit und Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches wesentlich gefährdet wäre.
Das beschleunigte Verfahren (Expedited Procedure) fand seit 2017 gemäß Art. 30 ICC-SchO in Verbindung mit Anhang VI als opt-out-Lösung immer dann automatisch Anwendung, wenn der Streitwert weniger als zwei Millionen US-Dollar betrug. In 36% der im Jahre 2019 eingeleiteten ICC-Schiedsverfahren lag der Streitwert unter diesem Schwellenwert. Das beschleunigte Verfahren findet vor einem Einzelschiedsrichter statt, es bedarf keines Schiedsauftrages gemäß Art. 23 ICC-SchO, der Schiedsspruch muss binnen sechs Monaten nach der Durchführung der Verfahrensmanagementkonferenz erlassen werden. Ab 2021 wird der Schwellenwert für die automatische Anwendung der Regeln des beschleunigten Verfahrens von zwei auf drei Millionen US-Dollar erhöht. Diese Erhöhung hat Auswirkungen auf ICC-Schiedsklauseln, die ab dem 1. Januar 2021 abgeschlossen werden. Den Parteien bleibt es weiterhin unbenommen, die Anwendung des beschleunigten Verfahrens auszuschließen (opt-out).
Artikel 26 ICC-SchO stellt jetzt ausdrücklich klar, dass das Schiedsgericht nach Anhörung der Parteien und unter Berücksichtigung der Umstände entscheiden kann, dass die mündliche Verhandlung auch per Videokonferenz, per Telefon oder mit Hilfe anderer Kommunikationsmittel durchgeführt werden kann.
Für Schiedsverfahren, die auf Grundlage eines zwischenstaatlichen Abkommens eingeleitet werden, stellt Art. 13 Abs. 6 ICC-SchO jetzt klar, dass mangels einer abweichenden Parteivereinbarung keiner der Schiedsrichter die Nationalität einer der Parteien haben darf. Ferner legt Art. 29 Abs. 6 c) ICC-SchO fest, dass Eilschiedsrichterverfahren (Emergency Arbitrator) in diesem Bereich keine Anwendung finden.
- GTAI-Special zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, einschließlich Interview mit dem Generalsekretär von ICC Germany Oliver Wieck
- Informationen von ICC Germany zur ICC-Schiedsgerichtsbarkeit