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PolenSchiedsgerichtsbarkeit
Recht
Rechtsmeldung Polen Schiedsgerichtsbarkeit
15.01.2015
(gtai) Am 1.1.2015 ist die neue Fassung der Schiedsordnung des Schiedsgerichts der Polnischen Wirtschaftskammer (Sąd Arbitrażowy przy Krajowej Izbie Gospodarczej; gängige Abkürzung: SAKIG) in Kraft getreten. Die Neufassung bezweckt die Berücksichtigung der neuen Trends in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hinsichtlich der Erhöhung der Zeit- und Kosteneffizienz von Schiedsverfahren. Die Schiedsordnung ist in polnischer und englischer Fassung im Internet abrufbar.
Die neue Fassung der Schiedsordnung (Regulamin arbitrażowy) regelt in §§ 9, 10 erstmals die Verbindung von Schiedsverfahren (poln.: Połączenie postępowań / engl.: Consolidation of Proceedings) und die Einbeziehung zusätzlicher Parteien (poln.: Przystąpienie do postępowania osoby trzeciej w charakterze strony / engl.: Joinder of Additional Party). Die Verbindung von Verfahren ist demnach zulässig, wenn die Schiedsverfahren auf Grundlage derselben Schiedsvereinbarung eingeleitet wurden oder die Streitgegenstände vergleichbar sind bzw. im Zusammenhang stehen (§ 9.1.), soweit das Schiedsgericht in allen Verfahren identisch konstituiert ist. Eine Verfahrensverbindung ist auch dann möglich, wenn an den Schiedsverfahren unterschiedliche Parteien beteiligt sind. Voraussetzung dafür ist, dass alle Parteien zustimmen und die Zusammensetzung des Schiedsgerichts in allen Verfahren identisch ist.
Das Schiedsgericht der Polnischen Wirtschaftskammer führt weiterhin eine Schiedsrichterliste (Lista arbitrów) mit derzeit 245 Namen, darunter sechs Praktiker aus Deutschland. Die Schiedsrichterkandidaten können nach Nationalität, Sprachen und Spezialisierung recherchiert werden. Die Parteien können die Schiedsrichter (Arbitrzy) auch von außerhalb der Schiedsrichterliste benennen. Ein Einzelschiedsrichter sowie der/die Vorsitzende des Dreier-Schiedsgerichts müssen jedoch grundsätzlich von der Schiedsrichterliste benannt werden (§ 16.3. Schiedsordnung 2015). Eine Ausnahme davon gilt, wenn alle Parteien bzw. die parteiernannten Schiedsrichter dies gemeinsam und übereinstimmend beim 14 Personen umfassenden Schiedsrat (poln.: Rada Arbitrażowa / engl.: Arbitral Council) beantragen.
Gemäß der neuen Regelung in § 21.3. Schiedsordnung 2015 kann der Schiedsrat anordnen, dass im Falle der Nichtbeteiligung eines Schiedsrichters die beiden anderen Schiedsrichter das Schiedsverfahren fortführen und den Schiedsspruch erlassen.
Das Schiedsgericht ist jetzt gemäß § 30 auf begründeten Antrag einer Partei zur Anordnung von vorläufigen Maßnahmen (poln.: Zabezpieczenie roszczenia lub dowodu / engl.: Interim Relief to Secure Claim or Evidence) berechtigt. Zuvor ist der anderen Partei die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen; Ex-Parte-Maßnahmen sind somit nicht möglich.
Man hat davon abgesehen, in der neuen Schiedsordnung die Figur des Eilschiedsrichters (Emergency Arbitrator) mit Befugnis zum Erlass von vorläufigen oder sichernden Maßnahmen im Zeitraum zwischen der Entstehung der Streitigkeit und der Konstituierung des Schiedsgerichts einzuführen. Entsprechende Regelungen hatten in den vergangenen Jahren einige renommierte internationale Schiedsinstitutionen eingeführt (z.B. ICC, LCIA, SCC; siehe z.B. GTAI-Rechtsnews 8/2014).
Zur Gewährleistung eines effizienten Verfahrens soll das Schiedsgericht zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Zeitplan (poln.: Harmonogram postępowania / engl.: Schedule of Proceedings) mit Fristen für Schriftsätze und die Einreichung von Beweismitteln sowie dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und der voraussichtlichen Beendigung des Verfahrens erstellen. Hierzu kann eine organisatorische Verhandlung (poln.: Posiedzenie organizacyjne / engl.: Organizational Session) in Person oder im Wege einer Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden, § 31 Schiedsordnung.
Der Schiedsspruch (poln.: Wyrok / engl.: Award) ist grundsätzlich gemäß § 40.2. Schiedsordnung innerhalb von neun Monaten seit der Einleitung des Schiedsverfahrens und innerhalb von 30 Tagen seit der Beendigung des Schiedsverfahrens zu erlassen. In komplexen Fällen kann diese Frist vom Generalsekretär (Sekretarz Generalny Sądu) verlängert werden.
Beibehalten wurde die Default-Regelung der vorherigen Fassung der Schiedsordnung von 2007, wonach mangels abweichender Parteivereinbarung die Verfahrenssprache Polnisch und der Schiedsort Warschau ist (§ 13.1. und § 14.1. Schiedsordnung 2015). Sofern diese Optionen nicht dem Wunsch des deutschen Unternehmers entsprechen, ist bereits bei der Gestaltung der vertraglichen Schiedsklausel an eine ausdrückliche Regelung der Verfahrenssprache und des Schiedsortes zu denken.
Der neue § 51 Schiedsordnung bestimmt, dass angemessene Kosten (poln.: uzasadnione koszty zastępstwa prawnego / engl.: justified costs of legal representation and other justified costs) der obsiegenden Partei durch die unterlegene Partei zu ersetzen sind. Eine bezifferte Beschränkung der erstattungsfähigen Kosten existiert nicht mehr.
Neben der neuen Fassung der Schiedsordnung ist seit dem 1.1.2015 auch eine neue Fassung der Mediationsordnung (Regulamin mediacyjny, polnisch / englisch) zu beachten.
Das 1950 gegründete Schiedsgericht der Polnischen Wirtschaftskammer ist die älteste Schiedsinstitution in Polen und administriert jährlich rund 350-400 Fälle. Rund ein Viertel der SAKIG-Schiedsverfahren haben internationalen Charakter.