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Rechtsbericht Schweiz Coronavirus

Schweiz: Coronavirus und Verträge

Das Vertragsrecht der Schweiz ist als „neutrales“ Recht bei internationalen Verträgen eine beliebte Option. Wie regelt es Leistungsstörungen durch höhere Gewalt?

Von Karl Martin Fischer | Bonn

Einleitung

In der Schweiz galt vom 16. März bis 18. Juni die „außerordentliche Lage“. Dies brachte erhebliche Einschränkungen des gesellschaftlichen und geschäftlichen Lebens mit sich. Aber auch die seit dem 19. Juni geltende "besondere Lage" führt zu Einschränkungen. Die Erfüllung vieler vertraglich geschuldeter Leistungen wird damit schwer oder sogar unmöglich. Wie geht das schweizerische Recht mit dieser Situation um?

Die Antwort auf diese Frage kann nicht nur für Sachverhalte relevant sein, die direkt mit der Schweiz in Verbindung stehen, zum Beispiel durch einen schweizerischen Vertragspartner. Denn das Recht der Schweiz ist beliebt als neutrales Recht, auf das man sich oft einigt, wenn weder das Recht des einen noch das des anderen Vertragspartners konsensfähig ist.

Was sagt der Vertrag?

Das schweizerische Vertragsrecht hat eigene Regelungen für den Fall der Unmöglichkeit oder Verzögerung der Leistungserbringung. Aber es erlaubt auch individuelle vertragliche Vereinbarungen. Solche Vereinbarungen werden oft als „force majeure“ - Klauseln bezeichnet und finden sich in Verträgen.

Nicht selten finden sich in solchen Klauseln konkrete Definitionen des Begriffs der höheren Gewalt, oft sogar mit konkreten Beispielen versehen. Epidemien und Pandemien finden sich in einigen dieser Aufzählungen, was die Auslegung wesentlich vereinfacht. Wenn sie nicht ausdrücklich genannt sind, müssen generellere Begriffe gefunden werden, unter die dann subsumiert werden muss.

Immer erforderlich ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem konkreten Ereignis und der Unmöglichkeit der Erfüllung der Leistungsverpflichtung.

Falls es keine vertragliche Regelung gibt - was regeln die schweizerischen Gesetze?

Dauerhafte Unmöglichkeit

Zunächst gibt es die Regelung in Artikel 119 des schweizerischen Obligationenrechts („OR“). Wenn eine Leistung dauerhaft unmöglich wird, und zwar durch nachvertragliche Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, dann gilt die Forderung als erloschen. Daraus folgt, dass die Parteien von der Pflicht zur Leistung befreit werden, und bei auf Gegenseitigkeit beruhenden Verträgen muss die eventuell schon erbrachte Gegenleistung zurückgegeben werden.

Letzteres gilt allerdings nicht, wenn Nutzen und Gefahr vor der Erfüllung - also zum Beispiel schon mit Abschluss des Vertrages - auf den Gläubiger übergehen. Wichtigstes Beispiel hierfür ist die gesetzliche Regelung des Kaufvertrages in Artikel 185 OR, außerdem kann eine solche Vereinbarung auch in Verträgen, unter Umständen mit Verweisen auf die Incoterms, enthalten sein. Etwas anderes gilt außerdem bei Dauerschuldverhältnissen, bei denen sich gegenüberstehende Leistungen und Gegenleistungen bereits erbracht wurden: In diesem Fall gilt die Regelung nur für die aktuelle Leistung. Schließlich erlischt der Erfüllungsanspruch auch dann nicht, wenn der Schuldner beim Eintritt der Unmöglichkeit bereits im Verzug war. 

Ob die aktuelle Situation im Zusammenhang mit Covid-19 dazu führt, dass eine Leistung unmöglich wird, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Wenn beispielsweise behördliche Anordnungen konkrete, vertraglich geschuldete Tätigkeiten verbieten, dürfte Vieles dafür sprechen, dass ein Fall von Unmöglichkeit vorliegt.

In vielen Fällen wird die Unmöglichkeit aber nicht endgültig, sondern nur vorübergehend sein. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach. Bei Fixtermingeschäften wird häufig dauerhafte Unmöglichkeit vorliegen, weil die geschuldete Leistung an einen Termin gebunden ist und nicht nachgeholt werden kann. Ansonsten wird die Leistung häufig nur vorübergehend unmöglich sein. 

Vorübergehende Unmöglichkeit

Ist eine Leistung nur vorübergehend unmöglich, bleibt der Schuldner an den Vertrag gebunden. Dann kann die eine Partei der anderen Partei eine angemessene Nachfrist zur Erfüllung setzen (Artikel 107 OR), wenn die andere Partei mit ihrer Leistung im Verzug ist - es sei denn, es liegt einer der Ausnahmetatbestände des Artikel 108 OR vor. Zu ermitteln, welche Frist „angemessen“ ist, dürfte derzeit wohl sehr schwierig sein. Dies gilt auch dann, wenn man sich bei der Fristsetzung an den behördlichen Anordnungen (für die Schweiz zum Beispiel Aufhebung der „außerordentlichen Lage“) orientiert, denn sicherlich müssen viele - oft internationale - Lieferketten oder Kreisläufe zunächst wieder in Gang kommen. In vielen Fällen wird es sich anbieten, das Gespräch mit dem Vertragspartner zu suchen.

Wenn die Nachfrist ergebnislos verstrichen ist, können Gläubiger der Leistung wahlweise

  • nach wie vor die Erfüllung verlangen und gleichzeitig Schadenersatz nach Artikel 103 OR für die Verspätung fordern, oder
  • am Vertrag festhalten, aber auf die Erfüllung verzichten und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, oder
  • vom Vertrag zurücktreten und Ersatz des Vertrauensschadens verlangen.

Wichtig: In den beiden letztgenannten Fällen müssen Gläubiger ihren Schuldnern unverzüglich Mitteilung von ihrer Entscheidung machen.

Das Wahlrecht besteht unabhängig von einem eventuellen Verschulden des Schuldners der verspäteten Leistung, ebenso der Rücktritt vom Vertrag (dritte Option). Der Schadensersatzanspruch nach Artikel 103 OR (erste Option) besteht hingegen nicht, wenn der Schuldner nachweisen kann, dass ihn am Verzug kein Verschulden trifft. Auch die Ansprüche auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (zweite Option) sowie auf Ersatz des Vertrauensschadens (dritte Option) bestehen nach herrschender Meinung nicht, wenn der Schuldner nachweist, dass ihn kein Schuld an der Verzögerung trifft. Und die Einschränkungen durch das Coronavirus dürften in vielen Fällen den Leistungsschuldnern einen solchen Beweis ermöglichen.

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