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Rechtsbericht Vereinigtes Königreich Coronavirus

Vereinigtes Königreich: Coronavirus und Verträge

Im deutsch-britischen Geschäftsverkehr sind zahlreiche Verträge geschlossen worden, für die englisches Recht gilt. Was passiert, wenn die Vertragserfüllung beeinträchtigt wird?

Von Karl Martin Fischer | Bonn

Einleitung

Großbritannien wurde vergleichsweise spät, aber sehr heftig von dem Coronavirus betroffen. Die britische Regierung hat mit erheblichen Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens reagiert, die erst zum Sommer hin allmählich wieder gelockert werden. Die Durchführung vieler Verträge wurde - und wird - durch solche Maßnahmen beeinträchtigt. Folglich dürften viele Vertragsbeziehungen gestört werden, ganz sicher auch solche mit einer internationalen Komponente. Die Erbringung von Leistungen kann unmöglich oder deutlich schwieriger werden. Dieser Bericht gibt wichtige Hinweise und behandelt dabei ausschließlich das englische Recht. Die Abweichungen zum schottischen Recht sind allerdings so gering, dass dieser Bericht auch für Verträge, für die schottisches Recht gilt, wichtige Anhaltspunkte geben kann.      

In Verträgen gibt es häufig „force majeure“ - Klauseln

Wer mit durch den Coronavirus verursachten Problemen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zu tun hat, sollte den betroffenen Vertrag zunächst genau lesen. In vielen Verträgen, denen das englische Recht zugrunde liegt, finden sich so genannte „force majeure“-Klauseln. Solche Klauseln regeln, was passiert, wenn die Erfüllung eines Vertrages durch höhere Gewalt beeinträchtigt wird, also durch Ereignisse, die sich der Kontrolle der Parteien entziehen.

Der genaue Inhalt ist natürlich von Vertrag zu Vertrag verschieden, einige Regelungen sind aber besonders häufig. Gute Anhaltspunkte bietet zum Beispiel die Musterklausel der Internationalen Handelskammer („ICC Force Majeure Clause 2020“), deren Geltung vertraglich vereinbart werden kann. Dort sind zusätzlich zu einer genaueren Definition der höheren Gewalt konkrete Beispiele enthalten, die als höhere Gewalt gelten sollen. Eine Epidemie ist in dieser Aufzählung ausdrücklich enthalten. Wenn eine Epidemie oder Pandemie nicht ausdrücklich erwähnt ist, kann sie trotzdem von der Klausel erfasst sein. Sie kann nämlich allgemeinere Begriffe enthalten, die dann allerdings ausgelegt werden müssen. Insbesondere hier kann es also theoretisch zu Meinungsverschiedenheiten kommen.

Wenn höhere Gewalt im Sinne einer „force majeure“–Klausel vorliegt, muss es eine Kausalverbindung zwischen dieser höheren Gewalt und der Unmöglichkeit oder, je nach der individuellen Klausel, vielleicht auch nur erheblichen Erschwerung der Erbringung der geschuldeten Leistung geben. Wenn also das Leistungshindernis auf der höheren Gewalt beruht, dann sieht die ICC-Musterklausel vor, dass eine Mitteilung der – eigentlich – leistungspflichtigen Partei an die andere Partei erfolgen muss. In manchen Verträgen ist eventuell eine Frist für diese Mitteilung enthalten, beispielsweise „innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden des Hinderungsgrundes“ oder ähnlich.

Ist die Mitteilung erfolgt und liegen auch die anderen Voraussetzungen vor, folgt daraus in den meisten Fällen eine Befreiung von der Leistungspflicht und auch eine Befreiung von einer Haftung auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug. Wenn die Beeinträchtigung nur zeitweise besteht, und das wird im Hinblick auf viele Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus häufig der Fall sein, dann gelten die genannten Befreiungen nur so lange, wie die Beeinträchtigung besteht. Fällt sie weg, muss der Leistungsschuldner den Leistungsgläubiger darüber informieren.    

In manchen Fällen kann die Beeinträchtigung dazu führen, dass bestimmte Leistungen dauerhaft nicht mehr sinnvoll erbracht werden können. Dann haben – nach der ICC-Klausel – beide Parteien das Recht, den Vertrag zu kündigen. Andere Klauseln können andere Rechtsfolgen vorsehen: möglicherweise wird nur die Haftung für den Verzugsschaden ausgesetzt, während die Hauptleistungspflicht bestehen bleibt. Oder es gibt ausführliche Regelungen von Schadensminderungspflichten einer oder beider Parteien. Eine gründliche Lektüre der Klausel ist dringend empfohlen.

„Frustration of Contract“ - kann das Richterrecht helfen?

Möglicherweise gibt es keine „force majeure“-Klausel in dem Vertrag, oder eine Epidemie ist von der konkreten Klausel nicht erfasst. Eine gesetzliche Regelung des gesamten Rechts der Leistungsstörungen gibt es ebenfalls nicht im englischen Recht. Allerdings gibt es die richterrechtliche Rechtsfigur der „Frustration of Contract“.

Eine „Frustration“ setzt voraus, dass sich die Erfüllung des Vertrages durch nach Vertragsschluss eingetretene Faktoren als dauerhaft unmöglich herausstellt, oder dass sich wegen nachträglicher äußerer Umstände der Charakter des Vertrages grundlegend verändert. Solche Faktoren oder Umstände können tatsächlicher oder auch rechtlicher Natur sein. Allerdings müssen die Faktoren oder Umstände außerhalb des Verantwortungsbereichs der Parteien liegen. Sie dürfen außerdem bei Vertragsschluss nicht bekannt oder voraussehbar gewesen sein.

In manchen Fällen im Zusammenhang mit dem Coronavirus kann eine Prüfung dieses Rechtsgrundsatzes in Betracht kommen. Zu bedenken ist aber immer, dass die Gerichte das Institut der „Frustration“ sehr eng auslegen - eine bloße Erschwerung der geschuldeten Leistung oder eine Erhöhung der Kosten beim Leistungserbringer reichen nicht aus. Insofern sind die Voraussetzungen für die „Frustration“ in aller Regel wesentlich enger also diejenigen der „force majeure“. Dafür sind die Folgen in aller Regel gravierender:    

Wenn sich eine Partei erfolgreich auf „Frustration“ beruft, dann erlischt die Verpflichtung zur Erbringung der Leistung, und der Vertrag wird in aller Regel aufgelöst. Eventuell schon erbrachte Leistungen können grundsätzlich zurückgefordert werden.

GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

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