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Rechtsbericht │ Kasachstan │ Coronavirus

Kasachstan: Coronavirus und Verträge

Das Oberste Gericht Kasachstans hat am 6. Mai 2020 Erläuterungen zu den Auswirkungen des am 15. März 2020 verhängten Notstandes auf Verträge erlassen.

Von Dmitry Marenkov | Bonn

Einleitung

Am 15. März 2020 ordnete der Präsident Kasachstans im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie den Notstand an. Dies umfasst ein Ein- und Ausreiseverbot, die Einführung einer Quarantäne, Auflagen für die Arbeit von Einkaufszentren etc. Die aktuelle Situation kann zu Problemen bei der Vertragsabwicklung führen. Am 6. Mai 2020 hat das Oberste Gericht Kasachstans Erläuterungen zu Auswirkungen dieser Notstandslage auf die Haftung aus vertraglichen Verpflichtungen und die Verjährungsfristen erlassen.

Klauseln im Vertrag beachten

Meist beinhalten grenzüberschreitende Verträge eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln zählen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege, Terroranschläge etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung auf. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Für die Praxis ist künftig eine ausführliche vertragliche Regelung von derartigen Situationen zu empfehlen.

Geltung des kasachischen Rechts

Normen des kasachischen Rechts finden dann auf deutsch-kasachische Verträge Anwendung, wenn der Vertrag eine Rechtswahlklausel zugunsten des kasachischen Rechts enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Kollisionsrechts (Internationales Privatrecht) zur Geltung des kasachischen Rechts führen. Dies ist insbesondere bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Kasachstan nach Deutschland vorsehen, der Fall. Zu beachten ist, dass Kasachstan dem UN-Kaufrechtsübereinkommen (CISG) bislang nicht beigetreten ist. Das bedeutet, dass bei Geltung des kasachischen Rechts die Vorschriften des kasachischen Zivilgesetzbuches (ZGB) zu beachten sind.

Regelungen des kasachischen Rechts

Gemäß Art. 359 Abs. 2 ZGB (russisch / englisch) haftet eine Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, für Nicht- oder Schlechterfüllung ihrer Verpflichtungen, sofern sie nicht Beweis dafür erbringt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist. Als Beispiele führt die Norm Naturkatastrophen und Kriege an. Die Vorschrift stellt ferner fest, dass das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt nicht zu solchen Umständen zu zählen ist.

Gemäß Art. 182 Abs. 1 Ziffer 1 ZGB führen Umstände höherer Gewalt zur Hemmung der Verjährungsfrist. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter. Dabei verlängert sich die verbliebene Verjährungsfrist auf sechs Monate.

Erläuterungen des Obersten Gerichts

Gemäß den Erläuterungen des Obersten Gerichts vom 6. Mai 2020 sind unter außerordentlichen Umständen solche außergewöhnlichen und dringenden Umstände zu verstehen, die offensichtlich außerhalb der gewöhnlichen und normalen Ordnung liegen. Diese sind unabwendbar, wenn sie unvermeidbar sind und unabhängig vom Willen der Mehrheit der Teilnehmer des Rechtsverkehrs eingetreten sind, also jeder Teilnehmer, der eine ähnliche Tätigkeit ausübt, objektiv das Eintreten eines solchen Umstandes oder seiner Folgen nicht vermeiden konnte. Das Oberste Gericht folgert daraus, dass die Anordnung und Geltung des Notstandes alle Kriterien der höheren Gewalt erfüllt. Da es sich bei dem Notstand um eine allgemein bekannte Tatsache handelt, ist eine gesonderte Anrufung von Gerichten zwecks Bestätigung des Umstandes höherer Gewalt nicht notwendig.

Sofern die Nichterfüllung nur durch Umstände höherer Gewalt, d.h. temporäre Maßnahmen und Beschränkungen im Rahmen des Notstandes, verursacht wurde, kommt es zu einer Befreiung von Schadensersatzansprüchen und Vertragsstrafen.

Pflichtverletzungen und Unmöglichkeit infolge von Umständen höherer Gewalt führen nach Auffassung des Obersten Gerichts zu einer entsprechenden Anpassung (Verlängerung) der vertraglichen Pflichten. Es steht den Parteien zu, das Vertragsverhältnis gemäß Kapitel 24 (Art. 401 bis 405) ZGB einseitig unter Einhaltung einer einmonatigen Frist zu kündigen.

Das Oberste Gericht empfiehlt Unternehmern, sich zwecks Reduzierung von negativen Folgen für die Wirtschaft an die Regeln der Geschäftsethik zu halten und Streitigkeiten nach Möglichkeit einvernehmlich beizulegen.

Prozessuale Fristen, z.B. zur Einlegung von Rechtsmitteln, können angesichts des Notstandes gemäß Art. 126 Zivilprozessordnung verlängert werden.

Bescheinigung über Umstände höherer Gewalt

Die Auslandshandelskammer Kasachstans, die bei der Nationalen Unternehmerkammer besteht, ist befugt, Bescheinigungen zur Bestätigung des Vorliegens der Umstände höherer Gewalt auszustellen. Während der COVID19-Pandemie erfolgt die Ausstellung solcher Bescheinigungen gebührenfrei innerhalb von fünf Werktagen. Eine solche Bescheinigung kann vor Gericht als Beweis verwendet werden, garantiert jedoch keine Haftungsbefreiung. Bei Schließungen infolge von behördlichen Anordnungen oder Einreiseverboten wird empfohlen, den Geschäftspartner um Aufschub, Stundung, Ratenzahlung bzw. Nichtberechnung von Vertragsstrafen zu bitten.

In folgenden Situationen wurde die Ausstellung einer Bescheinigung abgelehnt:

▪ Pflichtverletzung erfolgte vor Verhängung des Notstandes;

▪ Fehlen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und den Verboten im Rahmen des Notstandes;

▪ gesunkene Nachfrage auf Produkte und Dienstleistungen bei Fehlen eines Verbots, der entsprechenden Tätigkeit nachzugehen;

▪ Währungsschwankungen.

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