Rechtsbericht Rumänien Coronavirus
Rumänien: Coronavirus und Verträge
In Rumänien werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um das Coronavirus einzudämmen. Diese Maßnahmen wirken sich auch auf das Vertragsrecht aus.
21.04.2020
Von Marcelina Nowak | Bonn
Einleitung
Am 16. März 2020 wurde in Rumänien der Notstand durch das Präsidialdekret Nr. 195 vom 16. März 2020 ausgerufen. Einen Monat später wurde der Ausnahmezustand um 30 Tage bis zum 14. Mai 2020 durch das Präsidialdekret Nr. 240 vom 15. April 2020 verlängert. Dieser Ausnahmezustand lähmt die bestehenden Vertragsbeziehungen. Die Rechtzeitigkeit der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen wird für die Parteien immer schwieriger. Nachfolgend erhalten Sie einen Überblick über die Rechtsinstitute, die eine mögliche Lösung darstellen können.
"Höhere Gewalt" gesetzlich geregelt
Im rumänischen Zivilgesetzbuch ist „höhere Gewalt“ (forța majoră ) ausdrücklich im Artikel 1.351 definiert. Dort heißt es im Absatz 2: „Höhere Gewalt ist jedes äußere, unvorhersehbare, absolut unbesiegbare und unvermeidbare Ereignis“. Alle Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ vorliegen. Einen Katalog mit Beispielsfällen enthält das Gesetz nicht. Gemäß Absatz 1 entfällt die Haftung, wenn der Schaden durch höhere Gewalt oder ein zufälliges Ereignis verursacht wird, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder die Parteien nichts anderes vereinbart haben.
Nur das reine Vorliegen des Ereignisses „höhere Gewalt“ reicht nicht aus. Vielmehr müssen noch andere Merkmale erfüllt sein. Das eingetretene Ereignis muss eine direkte Auswirkung auf die Vertragserfüllung haben, es war im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar und konnte von der Vertragspartei nicht erwartet werden. Wenn man sich als Vertragspartei auf „höhere Gewalt“ berufen möchte, muss man alle genannten Umstände nachweisen.
Ob der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie als „höhere Gewalt“ gewertet werden kann, muss immer im Einzelfall überprüft werden. Es muss genau nachgewiesen werden, wie sich die Pandemie auf die Vertragserfüllung auswirkt.
Zertifikate über "höhere Gewalt" als möglicher Beweis
Wie oben schon gesagt muss diejenige Partei, die sich auf „höhere Gewalt“ beruft, die Umstände auch beweisen. Eine Hilfe könnte das Zertifikat der rumänischen Industrie- und Handelskammer sein. Um dieses Zertifikat zu erhalten, muss ein Antrag bei der örtlich zuständigen IHK gestellt werden. Diese bescheinigt dann nach einer Prüfung aller eingereichten Unterlagen, ob das Vorliegen von "höherer Gewalt" den vorgelegten Vertrag beeinflusst hat. Dafür wird eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer erhoben.
In manchen Verträgen wird dieser Nachweis als erforderlich angesehen. Ob aber das Zertifikat einen unwiderlegbaren Beweis darstellt, bleibt abzuwarten. Dabei kommt es auf die Gerichtspraxis an.
In der Präsentation der Flash-Umfrage zum Thema „Auswirkungen des Coronavirus-Ausbruchs auf Unternehmen in Rumänien“ der AHK Rumänien können Sie auf Seite 13 sehen, dass viele Unternehmen keine Kenntnis von so einem Zertifikat haben.
Notstandsbescheinigung des Wirtschaftsministeriums als Beweis
Einen weiteren Nachweis für das Ereignis "höhere Gewalt" in Form einer Notstandsbescheinigung kann man beim rumänischen Wirtschaftsministerium beantragen. Geregelt ist sie in der Verordnung 791/2020 über die Erteilung von Notstandsbescheinigungen an Unternehmen, deren Tätigkeit im Rahmen des SARS-CoV-2 betroffen ist und dem Präsidialdekret Nr. 195 vom 16. März 2020. Diese Bescheinigung können aber nur kleinere und mittlere Unternehmen beantragen. Andere Unternehmen müssen sich auf andere Beweise berufen.
Dringlichkeitsverordnung über „höhere Gewalt“ für KMU
Zum Schutze von kleinen und mittleren Unternehmen hat die rumänische Regierung spezielle Regelungen über höhere Gewalt verabschiedet. Geregelt sind sie in der Dringlichkeitsverordnung Nr. 29 vom 21. März 2020. Dort werden im Artikel X Absatz 1) die einschlägigen Anwendungsfälle höherer Gewalt aufgezählt. Diese betreffen den laufenden Betrieb. Wie zum Beispiel die Verschiebung der Zahlungen an Versorgungsunternehmen (Strom, Erdgas, Wasser, Telefon und Internet) sowie Mietzahlungen für alle Niederlassungen (Hauptsitz und Nebensitz). Im Absatz 2) werden weitere Anwendungsfälle genannt. Hier kann „höhere Gewalt“ erst nach dem Versuch einer Neuverhandlung des Vertrages gegen eine Vertragspartei geltend gemacht werden, sofern sie mit Unterlagen (einschließlich elektronischer Übermittlung) nachgewiesen wurde. Die Verträge müssen an den Ausnahmezustand angepasst werden. Im Absatz 3) wird eine Vermutung aufgestellt, dass höhere Gewalt vorliegt, wenn durch eine behördliche Anordnung Maßnahmen geschaffen werden, die zur Verhütung und Bekämpfung der Pandemie erforderlich sind, und beispielsweise die Tätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen beeinträchtigen. Die Vermutung kann von den Parteien durch jeden Beweis widerlegt werden.
Letztes Mittel: Wegfall der Geschäftsgrundlage
Artikel 1.271 des rumänischen Zivilgesetzbuches regelt den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wenn das Berufen auf höhere Gewalt scheitern sollte, kann man versuchen dieses Rechtsinstitut anzuwenden.
Danach kann sich eine Vertragspartei auf die wesentliche Änderung der Umstände des Vertrages berufen. Diese Vertragsanpassung kann erfolgen:
- wenn die Änderung der Umstände nach Vertragsschluss eingetreten ist;
- das Ausmaß für den Schuldner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar war;
- der Schuldner die Verantwortung für ein solches Risiko nicht übernommen hat:
- der Schuldner versucht nach Treu und Glauben und innerhalb einer angemessenen Frist vor Gericht in fairer und angemessener Weise den Vertrag anzupassen (Artikel 1.271 Ansatz 3).
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