Branchen | Russland | Industrieproduktion & Bauwirtschaft
Tscheljabinsk setzt auf Infrastruktur und geringere Emissionen
Die Industriebetriebe der Uralregion realisieren neue Vorhaben. Die Regierung investiert in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und will die Umweltbelastung senken.
25.01.2022
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Das Gebiet Tscheljabinsk ist eines der wichtigsten Industriezentren Russlands. In den ersten drei Quartalen 2021 stieg die Industrieproduktion um 9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bei der verarbeitenden Industrie betrug das Plus 8,5 Prozent. Auch die günstige Lage der Region am Ural zwischen Europa und Asien macht Tscheljabinsk zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort. Deutsche Firmen wie die Baustoffkonzerne Knauf und Dyckerhoff, der Technologiekonzern Siemens, der Haushaltschemiehersteller Henkel sowie die der Anlagenbauer SMS Group mit einer Servicegesellschaft sind bereits in der Uralregion vertreten.
Wichtige Kennzahlen zum Gebiet Tscheljabinsk (2020)
Fläche | 87.900 km2 |
Bevölkerung (2021) | 3.442.810 |
Hauptstadt/wichtige Städte | Tscheljabinsk / Karabasch, Kyschtym, Magnitogorsk, Miass, Zlatoust |
Bruttoregionalprodukt (2019) | 21,3 Mrd. Euro |
Bruttoanlageinvestitionen (2019) | 4,4 Mrd. Euro (+7% gegenüber dem Vorjahr) |
Durchschnittslohn | 475,68 Euro |
Industrieproduktion | - 0,9% im Vergleich zum Vorjahr |
Baugewerbe | 2.2 Mio. m2 (+ 2% gegenüber dem Vorjahr) |
Einzelhandelsumsatz | 7,2 Mrd. Euro (+ 8,9% gegenüber dem Vorjahr) |
Verkehrsinfrastruktur | Internationale Flughäfen Tscheljabinsk und Magnitogorsk, Eisenbahntrassen, Autobahnen |
Wichtige Branchen | Metallerzeugung und -bearbeitung, Maschinenbau, Nahrungsmittelindustrie, Chemieindustrie, Nukleartechnik |
Industrieparks | 7 Industriecluster mit 70 Residenten |
Einfuhr | 2.438 Mio. US$ (-19,2% gegenüber dem Vorjahr); Wichtigste Importwaren: Mineralprodukte, Maschinen, Ausrüstungen und Apparate, Metalle, Transportmittel |
Ausfuhr | 4.188 Mio. US$ (-3,1% gegenüber dem Vorjahr); Wichtigste Exportwaren: Metalle, Maschinen, Ausrüstungen und Apparate |
Außenhandel mit Deutschland | Außenhandelsumsatz: 267 Mio. US$, davon 53,6 Mio. US$ Export und 214 Mio. US$ Import |
Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat; Portal Ru-Stat |
Industrieparks sollen neue Residenten anlocken
Neben der Metallurgie als wichtigstem Wirtschaftszweig ist die verarbeitende Industrie ein führender Treiber der Entwicklung. Im Fokus steht die Be- und Verarbeitung von Metall. In den drei Industrieparks MMK-METIZ, Stankomasch und Malaja Sosnowka sind aktuell 48 Residenten angesiedelt. Fünf weitere Industrieparks sind derzeit im Entwicklungsstadium. In weiteren sieben Industrieclustern sind mehr als 70 Betriebe ansässig, die jährlich Produkte im Wert von rund 235 Millionen Euro herstellen. Mit dem Lkw-Hersteller Ural als Ankerbetrieb will die Regierung in Miass einen neuen Automobilcluster gründen.
Aktuell werden mehrere Projekte geplant und umgesetzt. Das Unternehmen Konar unterzeichnete mit dem Gaskonzern Novatek auf der Industriemesse Innoprom im Juli 2021 eine Vereinbarung zur Fertigung von Pumpenaggregaten zur Bekämpfung von Bränden auf Offshore-Öl- und Gasanlagen mit Hilfe von Meerwasser. Die koreanischen Unternehmen Daechang Motors und die Edison Motors Company (gehört zu Giken Mobility) loten bei der Gebietsregierung die Chancen für ein Projekt zur Produktion von Ausrüstung für Elektrobusse, leichte Nutzfahrzeuge sowie Landtechnik aus. Das Unternehmen Investchimagro errichtet für rund 100 Millionen Euro ein Werk zur Herstellung von Mineraldünger in Werchnyj Ufalej.
Städte- und Infrastrukturbau kurbelt Bauwirtschaft an
Tscheljabinsk soll an den Transportkorridor Europa - Westchina angeschlossen werden, der aktuell gebaut wird. Präsident Wladimir Putin ordnete die Verlängerung der Fernstraße M12 Moskau - Kasan nach Tscheljabinsk und Tjumen an. Die föderale Straßenbaubehörde Rosawtodor beginnt 2022 mit der Umsetzung des rund 3,1 Milliarden Euro teuren Infrastrukturgroßprojekts.
Der Smog der Kfz-Abgase beeinträchtigt die Lebensqualität in Tscheljabinsk. Die Millionenstadt setzt deshalb auf den Bau einer integrierten U-Bahn und Straßenbahn zur Entlastung des städtischen Nahverkehrs. Bis 2024 soll ein Netz aus drei Linien fertiggestellt werden. Dazu müssen zwei unterirdische Stationen errichtet, 7,2 Kilometer Tunnel gebohrt und 3,9 Kilometer oberirdische Straßenbahngleise verlegt sowie zwei neue Haltestationen gebaut werden. Die Kosten belaufen sich auf rund 540 Millionen Euro. Infrastrukturdarlehen mit günstigen Zinskonditionen sollen das Projekt finanzieren.
Zusätzlich entwickelt Tscheljabinsk sein Netz von Oberleitungsbussen weiter. Das Unternehmen Sinara Gorodskyje Transportnyje Rescheniya erhielt eine Konzession über 15 Jahre zum Betrieb im Stadtgebiet der Gebietshauptstadt. Für rund 135 Millionen Euro werden 168 Oberleitungsbusse beschafft, das Oberleitungsnetz modernisiert, zwei Busdepots erweitert und neue Umspannwerke errichtet.
Der angekündigte Bau einer Hochgeschwindigkeitszugstrecke zwischen den Uralmetropolen Jekaterinburg und Tscheljabinsk bis 2025 ist hingegen vorerst vom Tisch. Das Unternehmen Uralskaja Skorostnaja Magistral berichtete zuletzt von Schwierigkeiten bei der Finanzierung der rund 3,8 Milliarden Euro teuren Trasse.
Das Magnitogorsker Metallurgiekombinat (MMK) setzt ein 7,8 Milliarden Euro teures Programm zur Stadtverschönerung und zur Verbesserung der Umweltsituation in Magnitogorsk um. Bis 2025 sollen auf einer 400 Hektar großen Fläche moderne Bildungs-, Sport- und Freizeit- sowie medizinische Einrichtungen entstehen. Außerdem wird eine neue Uferpromenade gebaut. Den Auftrag für dieses Stadtentwicklungsprojekt mit dem Namen "Pritjaschenie" gewann die deutsche Planungsgesellschaft Obermeyer.
Aktuelle Projekte der Bauwirtschaft im Gebiet Tscheljabinsk
Vorhaben | Investitionssumme (in Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
Verlängerung der Autobahn M-12 Moskau - Kasan bis Tscheljabinsk und Tomsk | 250 | Absichtserklärung unterzeichnet; geplante Inbetriebnahme: 2024 | Föderale Straßenbaubehörde Rosawtodor |
Modernisierung des Oberleitungsbusnetzes, Erweiterung von Busdepots, Bau neuer Umspannwerke / Tscheljabinsk | 135,3 | Geplante Fertigstellung: 2023 - 2025 | Sinara-Gorodskije transportnyje reschenija, auf Konzessionsbasis |
Sanierung des Abwassersystems / Tscheljabinsk | 70 | Absichtserklärung unterzeichnet | |
Modernisierung des Flughafens: Sanierung der Start- und Landebahn, Erweiterung des Vorfelds, Aufbau einer Enteisungsanlage, Modernisierung der Funktechnik und Beleuchtungssysteme / Magnitogorsk | 62,3 | Im Bau; geplante Fertigstellung: 2024 | Retrans (gehört zur Renova Holding); Bauherr: Verwaltung der Zivilflughäfen (AGAA) |
Bau mehrerer Sportanlagen, darunter der RMK-Arena / Tscheljabinsk | 58,8 | Projektierungsphase; geplante Fertigstellung: 2023 | |
Bau eines Chirurgiezentrums in der Gebietskinderklinik / Tscheljabinsk | 45,5 | Geplante Fertigstellung: 2023 |
Regierung drängt auf Senkung der Schadstoffemissionen
Rauchende Fabrikschlote, kontaminierte Gewässer und Abraumhalden - vor allem die Schwerindustrie im Ural verursacht schwere Umweltschäden. Die Metallurgiekombinate der Region stoßen so viele Schadstoffe aus, dass Tscheljabinsk im Jahr 2020 im Rating der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung in Russland den ersten Platz belegte.
Die Gebietsregierung reagiert. Seit 2019 beteiligt sich Tscheljabinsk aktiv an der Umsetzung des nationalen Projekts "Ökologie". Bis 2024 sollen die Schadstoffemissionen im Vergleich zu 2018 um 20 Prozent sinken. Gouverneur Alexej Teksler erhöhte für Magnitogorsk die Vorgabe auf 22 Prozent und für Tscheljabinsk sogar auf 31 Prozent.
Seit 2020 hat Tscheljabinsk zudem Emissionsquoten eingeführt. Beim Überschreiten festgelegter Grenzwerte können Unternehmen verpflichtet werden, den Ausstoß von Schadstoffen zu drosseln. Zwischenzeitlich hat die Regierung rund 50 Abkommen mit großen Industrieunternehmen geschlossen, um den Schadstoffausstoß zu senken und die Umweltbelastung zu minimieren.
Fortum will die Schadstoffemissionen des Wärmekraftwerks TEZ-2 in Tscheljabinsk bis 2023 um mindestens 20 Prozent reduzieren. Der Einsatz von Erdgas soll ausgeweitet, die Kohleverbrennung dagegen schrittweise eingestellt werden. Um seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, verkaufte der finnische Energiekonzern das Wärmekraftwerk Argaschskaja für 23,5 Millionen Euro an die staatliche Atomholding Rosatom.