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Wirtschaftsumfeld | Russland | Investitionsklima

Gesundheitstests gefährden Geschäftsklima

Ein neues Gesetz verpflichtet ausländische Geschäftsleute in Russland, sich strengen Gesundheitschecks zu unterziehen. Deutsche Manager sind entsetzt über die Anforderungen.

Von Gerit Schulze | Moskau

Fingerabdrücke, Röntgenaufnahmen, pikante Fragen des Amtsarztes - das müssen deutsche Manager seit Ende 2021 über sich ergehen lassen, wenn sie in Russland arbeiten wollen. Kaum eine Rechtsverordnung hat in den letzten Jahren für so viel Unmut in der ausländischen Business-Community geführt wie das Föderale Gesetz Nr. 274-FS, das seit 29. Dezember 2021 gilt. Dieses verpflichtet Ausländer, die für mehr als 30 Kalendertage zu Arbeitszwecken nach Russland einreisen, zu regelmäßigen aufwändigen Gesundheitschecks. Bei anderen Einreisezwecken gilt die Verpflichtung ab 90 Kalendertagen.

Selbst hochbezahlte Spezialisten müssen regelmäßig zum Arzt

Davon betroffen sind auch hochqualifizierte Spezialisten (HQS), also überdurchschnittlich gut bezahlte ausländische Staatsbürger, die bisher bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen und bei der Registrierung Vorteile genossen. "Dass hier ein schlecht durchdachtes Gesetz trotz frühzeitig geäußerter Bedenken seitens der AHK und anderer Wirtschaftsverbände auf den Weg gebracht worden ist, hat das Investitionsklima eindeutig beschädigt“, sagt Matthias Schepp, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Wenn die Dinge so bleiben, drohe eine Abwanderung von Managern im großen Stil. Der Schaden für den Wissenschafts- und Studierendenaustausch sei ebenfalls beträchtlich, so der Delegierte der deutschen Wirtschaft in Russland.

Die medizinischen Untersuchungen müssen auch die in Russland lebenden Angehörigen von ausländischen Beschäftigten durchlaufen. 

Für Unverständnis sorgen vor allem die Häufigkeit der medizinischen Untersuchungen, einschließlich der Röntgenaufnahmen, und der organisatorische Aufwand. Zunächst war unklar, ob die Tests nicht im Abstand von drei Monaten absolviert werden müssen. Das russische Gesundheitsministerium informierte jedoch am 26. Januar 2022 darüber, dass betroffene Personen nur einmal pro Jahr zum behördlichen Gesundheitscheck verpflichtet sind. Gemäß Anordnung Nr. 1079n vom 19. November 2021 müssen die medizinischen Dokumente innerhalb von drei Monaten bei den regionalen Behörden des Innenministeriums eingereicht werden.

Welche Prozeduren sind bei den Medizintests vorgesehen?

Blut und Urinprobe

Röntgenaufnahmen oder Computertomographie

Nasen und Rachenabstriche

Untersuchungen beim Lungen, Haut- und Infektionsarzt, beim Suchtmediziner, Allgemeinmediziner und Psychiater

Tests auf Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Lepra, Syphilis, HIV und Covid-19

Quelle: AHK Russland

Welche Kliniken führen die Gesundheitstests durch?

Die Gesundheitschecks führen spezielle staatliche Kliniken durch. Für die Stadt Moskau ist das Migrationszentrum Sacharowo zuständig, das sich 70 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt im südlichen Umland befindet. Dort können alle Untersuchungen zentral erfolgen. Einzelne Tests sind auch in Moskau möglich, unter anderem in den Filialen des Zentrums für Dermatovenerologie und Kosmetologie. Die AHK veröffentlichte am 1. Februar 2022 eine Liste der erlaubten Einrichtungen in Moskau, die um mehrere Privatkliniken erweitert wurde.

Liste der Kliniken mit Befugnis für die Medizintests in Russland

Sankt Petersburg und Leningrader Gebiet

Gebiet Nowosibirsk

Jekaterinburg und Gebiet Swerdlowsk

Gebiet Nischni Nowgorod

Quelle: AHK Russland

Lange Schlangen und wenig Diskretion

Deutsche Unternehmer, die bereits im Migrationszentrum Sacharowo waren, berichten von langen Schlangen und schlechter Organisation bei den Medizintests. Bis die erhoffte Bescheinigung ausgestellt wird, sind mehrere Stationen zu durchlaufen: Zahlung der Gebühr am Bankschalter, Prüfung der Unterlagen, Ausstellung von Laufzetteln, medizinische Untersuchungen.

"Ich war in gut zwei Stunden durch“, erzählt Alexander Wagner, Chief Administrative Officer bei Rehau in Russland. "Der zeitaufwändigste und unangenehmste Part ist das enge Schlangestehen direkt am Eingang. Das Gebäude ist überfüllt und überheizt, in diesem Teil gibt es keine Toiletten. Vertraulichkeit ist nirgends gewährleistet, die Türen zu den Arztzimmern stehen teilweise offen. Bei einigen Stationen werden mehrere Personen gleichzeitig hereingebeten."

Ohne Russischkenntnisse oder russischsprachigen Begleiter dürfte es schwierig sein, immer die richtige Station zu finden und alle Formulare korrekt auszufüllen.

Fingerabdrücke und Fotos im zweiten Schritt

Wenn die Medizintests absolviert wurden, nehmen Dienststellen des Innenministeriums von den betroffenen Ausländern Fingerabdrücke ab und fertigen via Gesichtsscan biometrische Fotos an. Deutsche Unternehmen weisen darauf hin, dass das nur möglich ist, wenn eine notariell beglaubigte Übersetzung des Reisepasses und das Original vorgelegt werden. Welche Ämter dafür genau zuständig sind, ist nach Auskunft der AHK Russland noch nicht geregelt.

Die ausgestellten Gesundheitsgutachten müssen in der zuständigen lokalen Migrationsbehörde persönlich abgegeben werden. Die AHK Russland will erreichen, dass das künftig auch mit einer Vollmacht durch dritte Personen möglich ist.

Was passiert, wenn ich die Testergebnisse, Fotos und Fingerabdrücke nicht oder zu spät einreiche?

Eine beantragte oder vorhandene Arbeitsgenehmigung kann ihre Gültigkeit verlieren.

Die Aufenthaltsdauer des Ausländers kann verkürzt werden.

Der Ausländer kann abgeschoben werden.

Gegen den Ausländer kann eine Einreisesperre verhängt werden.

Quelle: AHK Russland

Ausnahmen von der Testpflicht

Die AHK Moskau betont, dass Ausländer, die sich weniger als 30 Kalendertage in Russland aufhalten, keine Medizintests machen müssen. Das habe das Innenministerium der Kammer bestätigt.

Für Inhaber einer vorübergehenden ("Rasreschenije na wremennoje proschiwanije“) oder ständigen Wohnsitzerlaubnis ("Wid na schitelstwo“) ist der Medizintest nur einmalig für den Erhalt dieser Bescheinigung nötig.

Wer ist von den Medizintests ausgenommen?

Kinder unter 6 Jahren

Belarussische Staatsangehörige

Amtsträger internationaler, regierungsgebundener Organisationen

Ausländer, die sich zu Arbeitszwecken weniger als 30 Kalendertage in Russland aufhalten (zum Beispiel Techniker und Monteure)

Ausländer, die sich zu Nicht-Arbeitszwecken weniger als 90 Kalendertage in Russland aufhalten

Ausländer, die ihre Arbeitserlaubnis vor dem 31. Oktober 2021 erhalten haben und seit dem 29. Dezember 2021 nicht erneut nach Russland eingereist sind – bis zum Erhalt der nächsten Arbeitserlaubnis oder bis zur nächsten Wiedereinreise nach Russland

Quelle: AHK Russland

Verfahren etwas einfacher in Sankt Petersburg

In Sankt Petersburg und dem Leningrader Gebiet ist das Prozedere etwas einfacher. Dort können Ausländer beim Einheitlichen Dokumentenzentrum nahe des Moskauer Bahnhofs alle Tests und medizinischen Untersuchungen vornehmen lassen und die Ergebnisse später einreichen. Außerdem nimmt das Zentrum Fingerabdrücke und erstellt die Fotos. Dafür sind aber zwei Besuche notwendig. Die medizinischen Untersuchungen in dem Zentrum kosten bei fünf Tagen Bearbeitungszeit 5.700 Rubel (66 Euro, Wechselkurs der Europäischen Zentralbank vom 20. Januar 2022: 1 Euro =  86,90 Rubel). Ausführliche Informationen zum Verfahren in der Newametropole hat die AHK-Filiale Nordwest zusammengestellt.

Wirtschaftsverbände protestieren heftig

Die internationale Business-Community in Russland protestiert heftig gegen die neuen Regelungen. Ausländische Wirtschaftsverbände diskutieren mit der Regierung folgende Vorschläge zur Abmilderung des Gesetzes:

  • Übergabe der medizinischen Dokumente an das Innenministerium per Vollmacht;
  • Kein Verlust von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung bei Covid-19-Infektion;
  • Nur einmalige Durchführung von Medizintests für Ausländer, die in mehreren Organisationen tätig sind oder mehrere Arbeitsgenehmigungen besitzen;
  • Ermöglichung von Medizintests unabhängig vom Wohn- und Arbeitsort in jeder russischen Region;
  • Verpflichtung medizinischer Organisationen zur Anfertigung gültiger Duplikate der Medizintests;
  • Anpassung der Fristen für die Durchführung der regelmäßigen medizinischen Untersuchung an die Geltungsdauer der Genehmigungsdokumente: 1 Jahr für ausländische Arbeitnehmer mit Arbeitserlaubnis und 3 Jahre für HQS.
  • bei Beantragung einer vorübergehender Aufenthaltserlaubnis eine einmalige medizinische Untersuchung beim Erhalt der Dokumente.

Das Wirtschaftsministerium prüft bereits diese Initiativen.

Das russische Innenministerium hat den ausländischen Wirtschaftsverbänden in Moskau mitgeteilt, dass hochqualifizierte Spezialisten (HQS), die vor dem 31. Oktober 2021 ihre Arbeitsgenehmigung bekommen haben, die neuen Medizintests nicht absolvieren müssen. Alle anderen HQS könnten die Gesundheitschecks in jeder beliebigen Region durchführen. Die AHK Russland weist aber darauf hin, dass diese Ausnahmen bislang nicht rechtlich verankert wurden und daher mit Vorsicht zu betrachten sind.

Die Auslandshandelskammer steht in engem Kontakt mit der russischen Regierung, um Klarheit zu schaffen und die Auswirkungen des Gesetzes für deutsche Geschäftsleute abzumildern. Ein Hauptziel ist es, die HQS-Manager von den Gesundheitschecks auszunehmen. Laut AHK gibt es erste Signale von Regierungsvertretern, dass die Vorschläge der Wirtschaftsverbände berücksichtigt werden. "Wir sind dem Wirtschaftsblock in der Regierung mit Industrie- und Handelsminister Denis Manturow und Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow dankbar, dass sie sich dafür einsetzen, die Regelung zu kippen“, sagt AHK-Chef Schepp.

Was sagen deutsche Manager in Russland zu den Medizinchecks?

Hannes Postel, Geschäftsführer bei der Bau- und Immobilienberatung Hausman & Partners in Moskau:

"Mehr Bürokratie wirkt sich immer negativ auf mögliche Entscheidungen aus, in Russland zu investieren. Die administrativen Hürden sind schon jetzt nicht die einfachsten. Wer allerdings bereits in Russland ist, wird die Medizintests aus meiner Sicht wohl über sich ergehen lassen und nicht sofort einpacken. Bei Einführung einer Impfplicht wird das sicher anders sein. Ich gehöre zu denen, die lange vor Ort im Russlandgeschäft aktiv sind. Meine Entscheidung, hier zu arbeiten, wird dadurch nicht beeinflusst."

Christian Tegethoff, Geschäftsführer CT Executive Search, Moskau:

"Ich war unangenehm überrascht, als das Gesetz im Dezember tatsächlich in Kraft getreten ist und hatte bis zuletzt erwartet, dass es noch Änderungen geben würde. Derartig unausgegorene Vorschriften sind für mich erschreckend. Denn jedem Beteiligten hätte klar sein müssen, dass die millionenfache medizinische Untersuchung von Ausländern – inklusiver radiologischer Analysen – weder zielführend, noch praktisch durchführbar ist und Chaos verursacht. Inzwischen deuten sich ja Abschwächungen der Regelungen an, dies allerdings im laufenden Betrieb. Das bringt für Arbeitgeber und ausländische Mitarbeiter sehr viel Unsicherheit mit sich. Der Imageschaden durch den unprofessionellen Gesetzgebungsprozess ist ohnehin schon eingetreten – im Ausland ist über die Vorgänge breit und kritisch berichtet worden. Ich bin gespannt, wie die Medizinchecks nun in der Praxis ablaufen werden und hoffe auf pragmatische Lösungen."

Alexander Wagner, Chief Administrative Officer bei Rehau in Russland:

"Ich empfinde den Grundtenor des Gesetzes als diskriminierend gegenüber allen Ausländern. Die neuen Anforderungen könnten ausländische Businessvertreter vor einem Einsatz in Russland zurückschrecken lassen, insbesondere, wenn auch die Familie betroffen ist. Denjenigen, die bereits in Russland ihren Lebensmittelpunkt haben, bleibt leider nicht immer eine Wahl. Sie haben hier Angehörige, ihren Arbeitsplatz, persönliche Bindungen und sind in ihrer Mobilität und Flexibilität entsprechend eingeschränkt. Für mich persönlich nehme ich die Neuregelungen zähneknirschend in Kauf. Den ersten Durchlauf habe ich mitgemacht, in der Hoffnung, dass es noch zu Vereinfachungen kommt und Personen mit HQS-Visum ausgenommen werden oder die Häufigkeit deutlich reduziert wird. Von anderen Deutschen weiß ich aber, dass sie sich – und besonders ihren Kindern - dieses Prozedere nicht antun wollen und eine Rückkehr nach Deutschland erwägen."

Andreas Knaul, Managing Partner Russland und Zentralasien bei Rödl & Partner in Moskau:

"Das Investitionsklima in Russland ist ohnedies zur Zeit durch die Pandemie und die Ukraine-Krise beeinträchtigt. Dieses Gesetz verschlechtert das Klima weiter. Westliche Expats werden sich gründlich überlegen, ob sie nach Russland kommen oder bleiben wollen. Allerdings hat bisher noch kein Mandant deswegen seine Tätigkeit hier grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt. Ich sehe durchaus Chancen, dass die strengen Regeln insbesondere für HQS noch abgemildert werden, indem entweder der Umfang der Untersuchungen vermindert oder der zeitliche Abstand vergrößert wird. Viermal im Jahr würde ich vermutlich nicht durch diese Tests gehen wollen, insbesondere Röntgen und andere Strahlenuntersuchungen. Das ist erwiesenermaßen gesundheitsschädlich und eine kaum zumutbare Belastung."

Georg Wießmeier, Leiter Forschung und Innovation bei einem russischen Chemiekonzern:

"Ich denke, dass diese Tests je nach Häufigkeit, Art, Effizienz der Organisation und Klientel durchaus einen negativen Einfluss auf die Bereitschaft von Ausländern haben können, in der Russischen Föderation zu arbeiten. Verpflichtende und mehrmalige radiologische Untersuchungen, zum Beispiel Röntgenaufnahmen, ohne begründeten Verdacht auf eine Krankheit, wären für mich ein Grund, meinen Aufenthalt in der Russischen Föderation zu überdenken. Eine solche Maßnahme wäre gegen meinen Willen, da sich diese negativ auf meine Gesundheit auswirken kann. Fingerabdrücke oder Gesichtsscans muss man heutzutage wohl akzeptieren. Sowohl in den USA als auch in China ist das seit Längerem bei der Einreise ein üblicher Teil des Immigrationsprozesses. Einen einmaligen, gut organisierten Gesundheitstest pro Jahr würde ich akzeptieren, mir jedoch wünschen, dass dieser für Ausländer, die bereits länger hier arbeiten, gänzlich entfällt. Ich begrüße es sehr, dass das Unternehmen, in dem ich tätig bin, sehr konstruktiv auf diese Maßnahmen reagiert hat. Ich werde von einem Spezialisten unterstützt, der die Dokumente vorbereitet sowie bei der Registrierung und der Übersetzung vor Ort hilft. Insgesamt ist der durch das neue Gesetz verursachte Aufwand sehr hoch und meines Erachtens der Nutzen fraglich."

Quelle: Befragung von Germany Trade & Invest

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