Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Wirtschaftsumfeld | Schweden | Regierungsbildung

Eine Lehrstunde in schwedischer Politik

Erstmals sollte eine Frau den Posten des schwedischen Premierministers übernehmen. Magdalena Andersson wurde gewählt - und trat bereits vor ihrer Vereidigung wieder zurück.

Von Michał Woźniak | Stockholm

Nachdem Schwedens Premierminister Stefan Löfven im Sommer 2021 seinen Rücktritt als Regierungs- und als Parteichef der Sozialdemokraten (Socialdemokraterna) angekündigt hatte, stand seine designierte Nachfolgerin, die bisherige Finanzministerin Magdalena Andersson, vor einer Herkulesaufgabe. Sie musste nicht nur die teilweise gegenläufigen Interessen ihrer Unterstützerparteien vereinen, sondern brauchte einen weiteren Partner, um vom Parlament gewählt zu werden. Anders als in den meisten Ländern Europas, sehen die politischen Systeme in den skandinavischen Ländern vor, dass sich bei der Wahl eines Regierungschefs nicht die Mehrheit für ihn aussprechen muss, sondern "nur" keine Mehrheit gegen ihn sein darf. Deswegen sind auch Minderheitsregierungen in den nordischen Ländern eher die Regel als die Ausnahme.

Unterstützer fordern Zugeständnisse

Die Grünen (Miljöpartiet de gröna), der einzige feste Koalitionspartner der Sozialdemokraten, war schnell auf Anderssons Seite. Die bürgerlich-liberale Zentrumspartei (Centerpartiet) wollte mehr Zugeständnisse, vor allem für ihre Wirtschaftspolitik. Sie erhielt unter anderem die Zusage für vereinfachte Vorschriften für Zeitarbeit und Mitarbeiterentsendung, das Abschaffen der Werbesteuer auf Werbeausgaben von über 9.800 Euro im Jahr sowie eine günstigere Ausgestaltung der Besteuerung von Aktienoptionen für Mitarbeiter.

Als weiterer Partner fand sich die Linkspartei (Vänsterpartiet). Um sie zu überzeugen, sicherte Andersson ihr unter anderem zu, einen erhöhten Grundfreibetrag für Senioren, einen erhöhten Lohnsteuerabzug für Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen, eine Verlängerung des Schenkungssteuerabzugs sowie erweiterte Möglichkeiten bei der Beantragung von Lohnausgleich im Krankheitsfall umzusetzen.

Damit erreichte sie ihr Ziel: Von den 349 Abgeordneten des Riksdag stimmten am 24. November 2021 zwar mit 117 kaum mehr als ein Drittel für sie, den 174 Neinsagern fehlte aber eine Stimme zur Mehrheit. Anderssons Glück endete jedoch nur sieben Stunden später mit der Abstimmung über den Haushaltsplan für 2022.

Budget spaltet das Parlament

Noch vor der Premierministerwahl hatte die Zentrumspartei angekündigt, nicht für ein "linkes Budget" stimmen zu wollen. Obwohl sich die von Annie Lööf angeführten 31 Abgeordneten der Partei bei der Premierministerwahl noch enthielten, votierten sie bei der Abstimmung über den Haushalt für den Entwurf der Opposition. Dieser streicht oder beschneidet viele prosoziale und umweltfreundliche Vorhaben der Regierung. Die Erhöhung des Lohnsteuerabzugs wird auf Arbeitende und Senioren beschränkt. Die für 2022 geplante Familienwoche - zusätzliche Urlaubstage für Eltern von Kindern zwischen dem 4. und 16. Lebensjahr - wird gestrichen.

Dasselbe gilt für Unterstützungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt oder die Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen bei Wohnimmobilien. Stattdessen soll die Treibstoffsteuer reduziert werden. Die von den drei Oppositionsparteien gewünschte Forschungsförderung für Kernkraft hat es dagegen nicht durchs Parlament geschafft, dafür aber eine Kürzung der Entwicklungshilfe und von Vorzugskrediten für Migranten.

Vor allem die letztgenannten Postulate verraten, dass sich unter den Autoren des Haushalt-Gegenentwurfs auch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna; SD) befinden. Dies rief wiederum die Grünen auf den Plan: "Wir werden niemals zur Normalisierung der SD in der schwedischen Politik beitragen", verkündete ihre Vorsitzende Märta Stenevi kurz nach der Entscheidung. Ihre Partei werde deswegen den von den Schwedendemokraten mitgetragenen Haushaltsplan nicht realisieren und aus der Regierung aussteigen. Gemäß der in Schweden gängigen Praxis, dass auch der Regierungschef seinen Posten räumt, wenn sich eine der Regierungsparteien zurückzieht, legte daraufhin die frisch gewählte Premierministerin Magdalena Andersson bereits sieben Stunden nach ihrer Wahl und noch vor ihrer Vereidigung ihr Amt nieder.

Eine zweite Chance für Andersson?

Wie geht es nun weiter? Nach den ersten Reaktionen zu urteilen, könnten genügend Abgeordnete auch bei einer erneuten Wahl ein Kabinett unter Andersson zumindest dulden. Somit hätte sie die Möglichkeit, eine rein sozialdemokratische Regierung zu bilden. Wie Andersson bei einer Pressekonferenz nach ihrer Amtsniederlegung erklärte, könnte sie sich "dänische Verhältnisse" im schwedischen Parlament vorstellen: Sie würde dann mit der "hoppande majoritet", einer springenden Mehrheit, regieren und sich für einzelne Projekte jeweils Unterstützer im Parlament suchen.

Knapp ein Jahr vor den für Herbst 2022 geplanten Parlamentswahlen hätte sie damit ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten, glauben Beobachter. An ihrer Popularität sollte es jedenfalls nicht scheitern. Vor den überraschenden Entwicklungen am 24.11.21 schenkten ihr laut dem Marktforschungsunternehmen Ipsos 42 Prozent der Wähler großes oder sehr großes Vertrauen. Damit lag sie in der Wählergunst deutlich vor allen anderen Parteichefs und auch vor ihrem Amtsvorgänger und noch geschäftsführenden Premierminister Stefan Löfven.

Reichstagspräsident Andreas Norlén dürfte bereits am 25.11.21 eine neue Prozedur zur Findung eines Premierministers einleiten. Wenn der Auftrag erwartungsgemäß wieder an Andersson geht und die Unterstützer keine Kehrtwende machen, könnte Schweden noch vor Dezember 2021 seine erste Premierministerin bekommen.

nach oben
Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.