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Interview | Pharma | Lieferketten

VFA: "Die Pharmaindustrie ist auf funktionierenden Welthandel angewiesen"

Die Pharmaindustrie ist global aufgestellt. Eine Rückverlagerung etablierter Wirkstoffe aus Asien ist kein Allheilmittel. Vielmehr sollten Deutschland und Europa an die Ansiedlung von Zukunftstechnologien denken. Ein Interview mit Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa).

Von Martin Gaber | Belgrad

Seit Beginn der Coronapandemie gibt es Störungen in vielen Lieferketten. Inwieweit ist die deutsche Pharmaindustrie von Lieferengpässen betroffen?

Die Pharmaindustrie ist eine sehr global aufgestellte Branche. Und dennoch hat während der Coronapandemie die bewährte internationale Arbeitsteilung durchgehend sehr gut funktioniert. Zu Beginn der ersten Welle gab es kurzzeitig Lieferengpässe bei Schmerz- und Narkosemitteln, die aber nicht den Lieferketten, sondern dem unvorhergesehenen Mehrbedarf geschuldet waren. Kleinere Engpässe gab es zeitweise aufgrund von Hamsterkäufen in den Apotheken. Diese Probleme konnten allesamt schnell und unbürokratisch durch die Industrie selbst gelöst werden und führten zu keinem Zeitpunkt zu ernsthaften Versorgungsproblemen.

Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa) Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa) | © vfa/B.Brundert

Wie groß sind die Abhängigkeiten von Lieferungen aus dem Ausland?

Die weltweite Pharmaindustrie produziert global. Es gibt keinen Markt mehr, der bei der Herstellung seines Bedarfes an Arzneimitteln unabhängig von Lieferungen aus dem Ausland ist. Hochwertige, neue, innovative Arzneimittel werden zwar zu großen Teilen in westlichen Industrieländern hergestellt, aber auch hier finden die verschiedenen Stufen der Herstellung in verschiedenen Ländern statt. Diese wiederum sind in jeder Stufe voneinander abhängig. Damit ist auch eins klar: Die Pharmaindustrie ist auf internationale Arbeitsteilung und funktionierenden Welthandel angewiesen.

Deutschland und Europa gelten als wichtige Forschungsstandorte und als Produktionsregion komplexer Arzneimittel. Dennoch ist man bei der Herstellung aktiver Wirkstoffe auf Asien angewiesen. Für wie realistisch halten Sie eine Diversifikation der Bezugsquellen in den kommenden Jahren und was müsste aus Ihrer Sicht dafür getan werden?

Neuartige und innovative Arzneimittel, deren Herstellung äußerst komplex ist, werden überwiegend in Industrieländern in Europa oder Nordamerika oder auch in Japan produziert. Hier ist die Nähe zur Grundlagenforschung, zu gut ausgebildeten Fachkräften und zu einem hoch spezialisierten Maschinenbau entscheidend.

Die Produktion etablierter Wirkstoffe wird hingegen regelmäßig in asiatische Länder wie China oder Indien verlagert. Unternehmen, die auf große Mengen solcher Wirkstoffe angewiesen sind, sollten ihre Bezugsquellen diversifizieren. Beim Produktionsausfall an einem Standort kann dann schnell ausgewichen werden. Dabei spielt es aber keine Rolle, in welchem Teil der Welt die Zulieferer sich befinden.

Grundsätzlich sind einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten problematisch. Das ist wohl jedem Unternehmen bewusst. Falls nicht, hat die Pandemie das nochmals deutlich gemacht.

Es wird über den Aufbau von Kapazitäten in Europa diskutiert. Wie könnte eine Verlagerung von Produktionskapazitäten nach Europa aussehen - wäre so etwas überhaupt denkbar und sinnvoll?

Eine Rückverlagerung von etablierter Wirkstoffproduktion aus Asien nach Europa ist betriebs- und volkswirtschaftlich unsinnig. Aus gesundheitspolitischen Gründen kann es allenfalls sinnvoll sein für besonders sicherheitsrelevante Wirkstoffe eine Unabhängigkeit von unsicheren Weltregionen anzustreben. Ich denke hier zum Beispiel an Antibiotika.

Aus wirtschafts- und standortpolitischen Gründen wäre es für Europa aber viel lohnender, sich nicht um das Zurückholen von Produkten von gestern zu kümmern, sondern die Ansiedlung innovativer Produkte aktiv zu fördern. Die Pharmaindustrie und die medizinische Biotechnologie sind Schlüsselbranchen der Zukunft. Das Potenzial dieser Entwicklung konnten wir zuletzt am Beispiel der mRNA-Impfstoffe schon erahnen. Hier haben Deutschland und Europa beste Voraussetzungen richtige Global Player zu werden.

Sandoz betreibt mit Hilfe der österreichischen Regierung den einzigen Standort zur Herstellung von Antibiotika in der westlichen Welt. Für wie sinnvoll halten Sie den Aufbau staatlich subventionierter Produktionsstandorte?

Aus standort- und wirtschaftspolitischen Gründen hat eine staatliche Subventionierung von Produktionsstandorten, die sich ohne Subventionen am Standort nicht halten könnten, wenig Sinn. Dennoch ist es für uns nachvollziehbar, wenn die Politik aus einem Versorgungsauftrag heraus, die Abhängigkeit von Drittstaaten verringern will. Dabei denke ich vor allem an bestimmte sicherheitsrelevante Wirkstoffe. Dann wäre man bei den wenigen, unverzichtbaren Medikamenten nicht erpressbar und unabhängig von Machtkonstellationen in beispielsweise politisch unsicheren Regionen.

Wenn die Politik hier in europäischer Abstimmung für diese Ausnahmen ein Förderinstrument etablieren würde, fände das unser Verständnis.

Der Bundesfachverband vfa ist Mitglied des Arbeitskreises Arzneimittel der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Ziel des Arbeitskreises ist es, im Dialog mit der Industrie geeignete Förderangebote für die Internationalisierung der deutschen Arzneimittelwirtschaft zu entwickeln und umzusetzen.

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