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Special Irland Brexit

Brexit zwingt Irland zu neuen Wegen im Außenhandel

Traditionell ist Irland mit der britischen Wirtschaft eng verflochten. Unter der neuen Zollgrenze gehen britische Importe massiv zurück.

Von Marc Lehnfeld | Dublin

Der Brexit sorgt für tiefgreifende Veränderungen im irischen Außenhandel. Die neue Zollgrenze durch die Irische See macht den irisch-britischen Handel und die logistische Landbrücke von Irland über das Vereinigte Königreich in die Europäische Union (EU) unattraktiv. 

Importe aus dem Vereinigten Königreich sinken drastisch

Die Verschiebungen werden deutlich sichtbar. Irlands Wareneinfuhren aus dem Königreich sind zwischen Januar und August 2021 gegenüber der Vorjahresperiode um 30,9 Prozent eingebrochen. Dieser Rückgang steht dabei ganz entgegen der allgemeinen irischen Handelsentwicklung. Entlang des wirtschaftlichen Erholungskurses nach dem Coronaschock von 2020 stiegen die Einfuhren in diesem Jahr insgesamt um 12,6 Prozent. 

Die britische Insel bleibt noch das wichtigste Herkunftsland irischer Einfuhren, aber ihr Anteil ist von 27,1 Prozent in 2020 auf 15,8 Prozent in diesem Jahr geschmolzen und liegt nur noch 0,4 Prozentpunkte vor den zweitplatzierten USA. 

Exemplarisch für den Rückgang steht die Erfahrung der britischen Supermarktkette Marks & Spencer (M&S) mit der Zollgrenze. Die Bürokratie der EU-Zollgrenze macht es dem Einzelhändler nahezu unmöglich, Frischprodukte schnell vom Königreich auf die irische Insel zu exportieren. M&S sah sich deshalb mit Einführung der Zollgrenze gezwungen, rund 20 Prozent seiner Produkte für den irischen Markt zu streichen und stärker auf eine lokale Beschaffung zu setzen. Das dürfte dem britischen Unternehmen allerdings schwerfallen, weil die deutschen Konkurrenten Aldi und Lidl diese Strategie bereits seit Jahren verfolgen und damit über einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verfügen.

Irische Warenimporte wichtiger britischer Güter (in Millionen Euro, Anteil und Veränderung in Prozent)

Ware

Importwert*)

Anteil an britischer Einfuhr

Veränderung 1. Halbjahr 2021/1. Halbjahr 2020

Gesamt

9.729,6

100,0

-30,9

Lebensmittel (SITC-0)

1.696,4

17,4

-31,6

Mineralische Brennstoffe (SITC-3)

1.651,4

17,0

32,4

Chemische Erzeugnisse (SITC-5)

1.583,2

16,3

-23,1

  davon medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse (SITC-54)

704,5

7,2

26,6

Eisen, Nicht-Eisen, Metallprodukte (SITC-67-69)

705,7

7,3

-13,6

Industriemaschinen (SITC-71-74)

576,6

5,9

-25,5

*) Januar bis August 2021Quelle: Analyse von Germany Trade & Invest auf der Basis von Eurostat-Daten

Der Einfuhrrückgang betrifft aber nicht nur Lebensmittel. Daten von Eurostat zeigen, dass britische Lieferungen in fast allen größeren Produktkategorien deutlich zurückgegangen sind und mit ihnen auch die britischen Marktanteile in Irland. Gegen den allgemeinen Abwärtstrend stiegen die Importe von medizinischen und pharmazeutischen Produkten, eines der wichtigsten irischen Einfuhrgüter, um 26,6 Prozent sowie Mineralöle um 32,4 Prozent. Die höheren Importe von Mineralölen haben aber vor allem technische Gründen, da der Erdölpreis im Vergleich zum Vorjahr deutlich höher lag.

Verschiebung britischer Marktanteile bei der irischen Einfuhr (Anteil in Prozent)

Ware

Anteil am irischen Import der Gütergruppe

Veränderung des britischen Anteils ggü. 2020 (in Prozentpunkten)

Gesamt

15,8

-11,3

Lebensmittel (SITC-0)

37,3

-13,1

Mineralische Brennstoffe (SITC-3)

49,4

-7,8

Chemische Erzeugnisse (SITC-5)

9,4

-7,5

  davon medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse (SITC-54)

11,0

-3,5

Eisen, Nicht-Eisen, Metallprodukte (SITC-67-69)

31,8

-15,7

Industriemaschinen (SITC-71-74)

14,4

-7,6

Lesehilfe: Lebensmittelimporte aus dem Vereinigten Königreich machten im Betrachtungszeitraum 37,3 Prozent aller irischen Lebensmitteinfuhren aus. Der britische Anteil an den irischen Lebensmitteleinfuhren ist ggü. 2020 um 13,1 Prozentpunkte gefallen.Quelle: Analyse von Germany Trade & Invest auf der Basis von Eurostat-Daten 2021

Weil irische Unternehmen bei der traditionellen Beschaffung auf dem britischen Markt über die Hürden der Zollgrenze stolpern, können deutsche Lieferanten mit der EU-Binnenmarktzugehörigkeit punkten. Das bestätigt auch Ralf Lissek, Geschäftsführer der Deutsch-Irischen Auslandshandelskammer in Dublin: "Wir erwarten, dass sich irische Unternehmen offen für Alternativen zu britischen Lieferanten zeigen. Das ist eine große Chance für deutsche Exporteure in Irland."

Irischer Export könnte 2022 leiden

Etwas milder ist der Brexit-Effekt beim irischen Export. War das Vereinigte Königreich 2019 noch der zweitgrößte Absatzmarkt für irische Waren nach den USA, ist das Königreich 2020 auf den vierten Platz zurückgefallen. Allerdings zeigt die Handelsstatistik auch eine Erholung im Laufe dieses Jahres. So konnten die irischen Exporte auf die britische Insel zwischen Januar und August 2021 wieder um 11 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode zulegen, was die Briten immerhin wieder auf den dritten Rang befördert. Allerdings drohen 2022 Störungen im Export, wenn die britische Zollverwaltung ab Januar die Zollanforderungen erhöht. 

Handel mit Nordirland steigt rasant

Während der Handel mit dem Vereinigten Königreich unter den Folgen der Zollbürokratie rückläufig ist, wächst der mit Nordirland sehr stark. Zwischen Januar und August 2021 ist der irische Außenhandel mit Nordirland um 53,9 Prozent gestiegen, mit Großbritannien hingegen um 8,7 gefallen. Der Grund: Das im Zuge des Brexits verhandelte Nordirland-Protokoll sichert eine grüne, offene Grenze zwischen Irland und dem nördlichen Partner. Nordirland bleibt damit sowohl Teil des EU-Binnenmarktes als auch Landesteil des Vereinigten Königreich. Dafür überschreitet der Warenverkehr zwischen Nordirland und Großbritannien in der irischen See eine Zollgrenze. Deshalb sind innerhalb des Königreichs Zollformalitäten beim Warenverkehr einzuhalten. 

Britische Landbrücke für EU-Transporteure uninteressant

Große Verschiebungen erlebt der irische Außenhandel auch auf den Lieferwegen in Richtung Festlandeuropa. Traditionell nutzten Spediteure vor dem Brexit die sogenannte Landbrücke, also die Transportroute durch das Vereinigte Königreich über den walisischen Hafen Holyhead nach Dublin. Im Vergleich zur Direktfährverbindung über die See von Irland zum Beispiel nach Frankreich ist der Weg über die Landbrücke rund einen Tag schneller. 

Die neue Zollgrenze erschwert den Weg über die britische Insel. Logistiker scheuen das Risiko von Staus und Verzögerungen an der britischen-europäischen Zollgrenze so sehr, dass viele lieber die Direktfährverbindung nutzen.

Am Hafen von Dublin sind die Folgen besonders spürbar. Ende Oktober berichtete der Hafenbetreiber, dass das Umschlagvolumen mit Großbritannien von Januar bis September 2021 um 21,2 Prozent eingebrochen und mit der EU um 36,3 Prozent gewachsen ist. Insgesamt bedeutet das für den Dubliner Hafen aber einen Umschlagrückgang um 3,3 Prozent. Insgesamt erwarten die irischen Hafenbetreiber, dass das Umschlagvolumen erst 2023 wieder das Rekordniveau von 2019 übertreffen wird.

Der südirische Hafen in Rosslare hingegen profitiert schon jetzt von den neuen Direktverbindungen mit über 30 wöchentlichen An- und Abfahrten im Verkehr mit dem europäischen Festland. Sowohl DFDS, Stena Line als auch Brittany Ferries haben die Zahl ihrer Verbindungen deutlich erhöht, das Umschlagvolumen mit der EU hat sich mehr als versiebenfacht. Deshalb investiert der staatliche Hafen rund 35 Millionen Euro in den Ausbau der Infrastruktur.

Investitionsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich

Indikator

2016

2019

Irischer Direktinvestitionsbestand im Vereinigten Königreich (in Mio. Euro)

13.414

27.284

Rangstelle beim britischen Direktinvestitionsbestand

12

11

Britischer Direktinvestitionsbestand in Irland (in Mio. Euro)

74.046

41.060

Rangstelle beim irischen Direktinvestitionsbestand

3

4

Irische Unternehmen in Vereinigten Königreich (Anzahl)

621

908 (2018)

Britische Unternehmen in Irland (Anzahl)

2.275

3.259 (2018)

Quelle: Eurostat 2021

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