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Special Vereinigtes Königreich Digitale Wirtschaft

Digital Health im Vereinigten Königreich: Marktchancen

In der Coronakrise profitiert die britische Insel von ihrem E-Health-System. Viele Probleme zeigen aber auch den großen Bedarf nach mehr Digitalisierung. 

Von Marc Lehnfeld | London

Das Marktforschungsunternehmen LaingBuisson beziffert den britischen Markt für Digital Health und IT-Lösungen auf umgerechnet etwa 5,7 Milliarden Euro. Der Fokus liegt auf dem staatlichen Gesundheitsdienst National Health Service (NHS), da der private Sektor lediglich 285 Millionen Euro am Marktvolumen ausmacht. Wie im Kapitel Marktzugang beschrieben, ist für den Zugang zum NHS ein gutes Netzwerk und Erfahrung mit den komplexen Strukturen des britischen Gesundheitsdienstes nötig.

Wie attraktiv der große Abnehmer für digitale Lösungen ist, beweist der NHS einmal mehr in der Coronakrise. Die Nutzung digitaler Lösungen im Gesundheitswesen ist rasant gestiegen. Die interne Kommunikation über NHSMail stieg von rund 6.800 Chats am 22. März 2020 auf mehr als 243.900 Chats am 26. März 2020. Die Zahl der Nutzer der NHS App hat sich im März 2020 mit insgesamt 119.500 registrierten Bürgern im Vergleich zum Februar mehr als verdoppelt. 

Digitale Triage benötigt - Videosprechstunden boomen

"Alle Aktivitäten des NHS sind derzeit auf die Bekämpfung des Coronavirus und die Entlastung des NHS gerichtet. Große Hoffnungen liegen auf digitalen Lösungen", erklärt Neil Roberts, COO von SEHTA. "Aus meiner Sicht benötigt der NHS dringend digitale Lösungen für die Triage und das Medikamentenmanagement. Auch Videosprechstunden sind gefragt wie nie."

Die digitale Triage zielt vor allem auf Patienten mit chronischen Erkrankungen, die bei den derzeit langen Wartelisten besser priorisiert werden müssen. Laut Schätzung der NHS Confederation, dem Sprachrohr der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, wird die Warteliste von derzeit 4,2 Millionen ausstehenden Terminen bis Weihnachten auf rund 10 Millionen anwachsen. Hinzu kommen die Maßnahmen zur Infektionskontrolle, die laut der Konföderation die Kapazität des Gesundheitssystems auf 60 Prozent reduziert haben. Bereits drei regionale NHS Organisationseinheiten nutzen die Möglichkeit der digitalen Triage ihrer Patienten über die App des Dienstleisters Babylon. 

Durch die Ausgangsbeschränkungen und die Angst vieler Patienten vor dem physischen Besuch der Arztpraxis ist die Nachfrage nach telemedizinischer Betreuung deutlich gestiegen. Laut dem Berufsverband Royal College of General Practitioners (RCGP) haben in den vier Wochen bis zum 12. April 2020 die hausärztlichen Sprechstunden mit Patienten zu 71 Prozent per Telefon stattgefunden. Wegen der schlechten IT-Ausstattung von Hausärzten und auch, um Heimarbeit für Ärzte anzubieten, die sich in häuslicher Isolation befinden, fordert RCGP eine schnelle technische Aufrüstung der Praxen sowohl für Videosprechstunden als auch für sichere VPN-Verbindungen von zu Hause. 

Bereits Ende März 2020 wurden elf Anbieter aus dem Pool der beim Procurement Hub des NHS vorqualifizierten Zulieferer ausgewählt, darunter auch der Marktführer eConsult. Der Anbieter von Praxismanagement-Systeme versorgt nach eigenen Angaben bereits 3.051 Arztpraxen mit der Möglichkeit von Online-Sprechstunden. Andere größere Technologieanbieter für Videosprechstunden sind Docly, TPP, askmyGP, Visiba Care und Push Doctor. Insgesamt sind 7.016 Arztpraxen in der Primärversorgung Englands registriert. Der Beschaffungsprozess des NHS unterstreicht die Wichtigkeit, beim britischen Gesundheitsdienst als Anbieter qualifiziert zu sein.

Der Nachfrageboom nach Videosprechstunden schiebt aber auch private Dienstleister an. Das 2013 gegründete Londoner Start-up Babylon Health gehört ebenfalls zu den vom NHS qualifizierten Anbietern von Lösungen für digitale Sprechstunden. Das Unternehmen bietet auch jenseits des öffentlichen Systems privatwirtschaftliche Gesundheitsberatung an. Über ein Quartals- beziehungsweise Jahresabo können sich Kunden Beratungen als Flatrate-Paket buchen. Trotz Wachstum auf dem privaten Gesundheitsmarkt zeigt die Entwicklung bei Babylon Health auch Probleme auf. Anfang Juni wurden technische Schwächen im Babylon-System öffentlich, bei der ein Nutzer aufgenommene Videosprechstunden Dritter einsehen konnte. Der Datenzugang durch Dritte konnte nach Unternehmensangaben mittlerweile gesperrt werden.

HSLI-Regierungsprogramm für rund 466 Millionen Euro

Zu den großen Investitionsrahmenprogrammen der Regierung gehören neben dem GP IT Futures framework und dem Health Systems Support Framework (siehe Marktzugang) auch das Health System Led Investment (HSLI) Programm von 2018. Aus dem etwa 466 Millionen Euro umfassenden Budget entfällt die Hälfte auf das letzte, derzeit laufende Investitionsjahr 2020/2021. Die Mittel stehen für Digitalisierungsprojekte der über 40 regionalen Zusammenschlüsse, den sustainability and transformation partnerships (STPs) zur Verfügung und zielen auf sechs nationale Prioritäten ab:

  1. Systemübergreifende Inbetriebnahme von elektronischen Patientenakten
  2. Ausweitung der Kapazitätsplanung in Krankenhäusern, zum Beispiel bei der Bettenauslastung
  3. Verbesserung einer flexiblen Personaleinsatzplanung
  4. Verbesserung der Informationsverfügbarkeit durch Echtzeitdaten im nicht-akuten Bereich
  5. Verbesserter Zugang zu klinischen Informationen für Ambulanzen und nicht-akute Bereiche
  6. Informationsaustausch im Gesundheits- und Pflegebereich

Ein Nachfolgeprogramm ist noch nicht bekannt.

Gesundheits-Apps durch Corona auf dem Vormarsch

Die Nachfrage nach Gesundheits-Apps ist in der Coronakrise deutlich gestiegen. Die von Public Health England im Zuge ihres Bewegungsprogramms zur Verfügung gestellte "Couch to 5k"-App wuchs zwischen März und Juni mit 858.000 Downloads gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 92 Prozent.

Die Marktchancen für Apps steigen mit der Unterstützung durch den NHS oder die im Kapital Marktzugang erwähnte Zertifizierung deutlich, zum Beispiel für die NHS App Library. Laut Einschätzung von SEHTA-COO Neil Roberts könnten Ärzte schon in den nächsten 12 bis 18 Monaten in der Lage sein, Apps per Rezept zu verschreiben. Schon jetzt sei allerdings die Empfehlung der Hausärzte für Apps ein wichtiger Absatztreiber. 

Ausgewählte Informationsportale zu Digital Health im Vereinigten Königreich

Healthcare IT News

DigitalHealth

HSJ for healthcare leaders

ComputerWeekly.com

GPonline

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