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Special Vereinigtes Königreich Wege aus der Coronakrise

Konjunktur und wichtigste Branchen

Während der Coronaeffekt weiter schwindet und sich auch der Dienstleistungssektor erholt, kämpfen immer mehr Unternehmen mit Lieferengpässen. (Stand: 7. September 2021)

Von Marc Lehnfeld | London

Nach einem schnellen Coronaimpfstart im Dezember 2020 sind mittlerweile rund 43,4 Millionen Briten geimpft. Mit einer Impfquote von knapp 64 Prozent zweifach Geimpfter gemessen an der Gesamtbevölkerung gehört die Insel im internationalen Vergleich zwar immer noch zu den schnell impfenden Ländern, hat ihren einstigen Zeitvorteil aber nicht aufrechterhalten können. Gleichzeitig steigt das Infektionsgeschehen leicht bei einem ohnehin hohen Niveau mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 350 Infizierten auf 100.000 Einwohnern. Die Hospitalisierungs- und Todeszahlen nehmen zwar ebenfalls zu, erreichen jedoch nicht das besorgniserregende Ausmaß der vorigen Infektionswellen.

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Begünstigt wird das Infektionsgeschehen durch die nahezu vollständige Aufhebung von Coronaeinschränkungen. Ohne eine außergewöhnliche Pandemieentwicklung durch neue Virusvarianten, die den Impfschutz gefährden könnten, ist eine Rückkehr zu Einschränkungen oder gar Lockdown-Maßnahmen derzeit völlig außer Sicht. Erst wieder im Winter könnte eine steigende Auslastung der Krankenhäuser durch die saisonale Grippewelle zu beobachten sein, die die Regierung zu vereinzelten Gegenmaßnahmen zwingen könnte.

Wirtschaft könnte Krisenverluste bis Ende 2021 kompensieren

Von der frühen, schrittweisen Aufhebung von Coronamaßnahmen profitierte die britische Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erholt sich weiter vom Covid-Schock und lag im Juni 2021 nur noch 2,2 Prozent unter dem Vorkrisenniveau vom Februar 2020. Seit dem am 19. Juli 2021 als "Freedom Day" gefeierten Ende fast aller coronabedingten Maßnahmen haben sich zahlreiche Wirtschaftsindikatoren deutlich verbessert. Der Staatskonsum trägt weiterhin die wirtschaftliche Erholung, die verstärkt vom Privatkonsum gestützt wird. Noch zeigen sich die Bruttoanlageinvestitionen zögerlich, die aber in den nächsten Monaten von einer guten Auftragslage in der Bauwirtschaft und einem Förderschema für Industrieinvestitionen (Super Deduction) befeuert werden dürften.

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Die Analysten von Oxford Economics erwarten deshalb, dass das reale BIP in diesem Jahr um 7,3 Prozent zulegen wird und auch 2022 noch um 6,7 Prozent wächst. Damit gehören die Ökonomen zu den vorsichtigen Optimisten, die eine Kompensation der Krise noch im 4. Quartal 2021 für möglich halten. Neues Futter erhalten hingegen die Pessimisten, denn während der Einkaufsmanagerindex (PMI) von IHS Markit und CIPS für Mai noch Rekordwerte im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor verzeichnete, werden Lieferkettenprobleme in zahlreichen Branchen immer sichtbarer.

So fehlen laut der Road Haulage Association (RHA) rund 100.000 Lkw-Fahrer. Weniger Fahrprüfungen im Coronajahr, abgewanderte Fahrer aus der Europäischen Union (EU) und niedrige Löhne sorgen laut Verband für den Mangel und führen zu Lieferengpässen unter anderem bei Supermärkten, Restaurants und in der Lebensmittelindustrie. Weil das europäisch-britische Freihandelsabkommen den Wegfall der Kabotagefreiheit nach dem Brexit nicht kompensiert, können auch europäische Spediteure den Mangel nicht ausgleichen. Der Erteilung von Visa für ausländische Fahrer steht die britische Regierung kritisch gegenüber und favorisiert eine Reihe von Vereinfachungen bei der Fahrerausbildung und erweiterte Befugnisse anderer Führerscheininhaber.  

Gespaltener Erholungskurs britischer Branchen

Während die Erfahrungen der vergangenen Ausgangsbeschränkungen die Resilienz der britischen Wirtschaft insgesamt stärken, erholen sich die Branchen sehr unterschiedlich.

Besonders die Wertschöpfung in dem für das Land so wichtigen Dienstleistungssektor blieb auch im Juni 2021 noch 2,2 Prozent unter dem Vorkrisenniveau vom Februar 2020, während das deutlich kleinere verarbeitende Gewerbe nur noch 2,4 Prozent darunter lag. Noch weit unter dem Vorkrisenniveau bleiben bei den Dienstleistungen die reiserelevanten Branchen, also der Luftverkehr (-90 Prozent), die Reisebüros (-87 Prozent) und der Schienenverkehr (-53 Prozent). Allerdings blendet die Juni-Statistik noch die erst später weggefallenen Covid-Einschränkungen und die umsatzträchtige Urlaubssaison aus.

Die Krise deutlich überkompensiert haben vor allem die Sicherheitsdienste (25 Prozent), Postzusteller und Kuriere (23 Prozent) sowie der Einzelhandel (10 Prozent) und die Marktforschung (10 Prozent).

Im verarbeitenden Gewerbe ist die Diskrepanz zwischen Krisengewinnern und -verlieren deutlich niedriger als im Dienstleistungssektor. Bekleidungshersteller produzieren wieder 21 Prozent über dem Vorkrisenniveau. Auch die Chemieindustrie liegt 10 Prozent über dem Niveau von Februar 2020, ähnlich Getränkehersteller (7 Prozent) und Papierproduzenten (6 Prozent). Die Nachzügler leiden vor allem unter strukturellen Veränderungen jenseits der Coronakrise, wie zum Beispiel der Kohlebergbau (-55 Prozent) oder die Erdölförderung (-38 Prozent).

Einen detaillierten Überblick über die Chancen und Risiken in verschiedenen britischen Sektoren bietet der GTAI-Branchencheck.

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