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Special Ägypten Wege aus der Coronakrise
Wege aus der CoronakriseÄgypten steht 2021 voraussichtlich noch ein weiteres Corona-Jahr bevor. Privatkonsum, Infrastrukturbau und kaum Einschränkungen verhindern das Schlimmste. (Stand: 24.3.2021)
Von Sherif Rohayem
Die zweite Coronawelle ist in Ägypten Anfang Februar abgeebt. Seit Anfang März steigen die Fallzahlen jedoch wieder und das Wort von der dritten Welle macht die Runde. Deren Höhepunkt wird im Fastenmonat Ramadan vom 13. April bis 12. Mai erwartet. Während dieser Zeit nimmt die Mobilität zu, da sich die Menschen in großer Runde zum Fastenbrechen treffen oder gemeinsam das Tarawih-Gebet verrichten.
Die Ergebnisse des IHS Markit-Einkaufsmanager-Index für den privaten Nicht-Öl-Sektor illustrieren sehr deutlich den Zusammenhang zwischen Intensität der Lockdownmaßnahmen und negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft. So stürzten die Geschäftsaktivitäten und -Erwartungen der befragten Firmen im April 2020 auf knapp 30 Punkte. Das ist erstens deutlich unterhalb der 50 Punkte-Grenze, die den Wachstumsbereich markiert und zweitens der historisch niedrigste Wert. Ende Juni wurden die meisten Einschränkungen zurückgenommen. In der Folge erholte sich das Geschäftsklima vom April-Schock. Mit einigen Ausreißern nach oben bewegt sich der Wert seitdem knapp unterhalb von 50 Punkten. Das eingetrübte Geschäftsklima ist jedoch keine spezifische Corona-Folge. Unternehmen leiden seit jeher unter einem erschwerten Zugang zu Krediten, Wettbewerbsnachteilen durch staatliche und informelle Unternehmen und Fachkräftemangel.
Besser steht es um den ägyptischen Öl- und Gassektor. Mit dem Anstieg der globalen Preise zeichnet sich hier eine Erholung ab. Nach einer monatelangen Pause im vergangenen Jahr gehen an der ägyptischen Mittelmeerküste seit Herbst 2020 wieder die ersten Flüssiggastanker vom Anker mit Kurs auf Ostasien. Parallel dazu steigt die lokale Gasproduktion. Es stehen auch wieder neue Projekte an. Anfang Januar hat das Erdölministerium neue Konzessionen für Öl- und Gas-Aktivitäten im Wert von knapp 1 Milliarde US-Dollar (US$) vergeben und jüngst 24 weitere Konzessionsblöcke ausgeschrieben.
Dieser Aufwärtstrend dürfte auch auf die petrochemische Industrie überschwappen – erst recht da mittlerweile die Preise für Kunststoff- und Kunstdünger wieder steigen.
Gesamtwirtschaftlich sieht es weniger gut aus. Nachdem das ägyptische Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2019 real noch um 5,6 Prozent wuchs, sorgte die Corona-Pandemie 2020 für einen starken Rückgang auf 3,6 Prozent. Mit einem prognostizierten Wachstum von knapp 3 Prozent wird sich dieser Abwärtstrend in 2021 fortsetzen. Damit entgeht das Land zwar einer Rezession. Eine gute Nachricht ist das aber mitnichten. Denn schon vor der Krise reichte das Wachstum nicht aus, um in alle Schichten durchzusickern. Hierfür müsste die Wirtschaft, Schätzungen zufolge, um die 10 Prozent wachsen. Insgesamt rechnen Experten mit einem beschleunigten Wachstum ab 2022.
Grund für das verlangsamte Wachstum in diesem Jahr ist die Aussicht auf zwölf Pandemie-Monate gegenüber nur 9 Monaten im vergangenen Jahr. Auch das ägyptische Impfprogramm dürfte hieran nicht viel ändern. Dieses ging erst Ende Februar an den Start und mit nur 350.000 und 500.000 Dosen (jeweils Sinopharm und AstraZeneca) zu geringen Mengen. Immerhin steht die Lieferung von weiteren 8,6 Millionen Dosen des AstraZeneca Impfstoffes kurz bevor.
Davon abgesehen hält die Regierung an ihrer Strategie der „Koexistenz mit Corona“ fest. Handel, Industrie und das öffentliche Leben unterliegen kaum Einschränkungen. Wer sich in diesen Tagen durch Kairo bewegt, erlebt eine Stadt, die wie eh und je pulsiert.
Wirtchaftsbereich | Reales Wachstum im 3. Quartal 2020 - Vorjahresvergleich (%) | Reales Wachstum im 2. Quartal 2020 - Vorjahresvergleich (%) |
---|---|---|
Verarbeitendes Gewerbe (ohne Raffinerien) | - 17,5 | - 17,1 |
Tourismus | - 66,5 | - 84,1 |
Telekommunikation | 15 | 13 |
Gas | - 7 | - 15,4 |
Bauwirtschaft | k. A.* | - 5,7 |
Landwirtschaft | k. A. | 2,3 |
Privatkonsum | 11,8 | 11,5 |
BIP | 0,7 | - 1,7 |
Ausgerechnet zu Beginn der ersten Corona-Welle erfasste die Ägypter die Kauflust, die sich in zweistelligen Wachstumsraten des Privatkonsums niederschlug. Diese Entwicklung ist umso erfreulicher, als der Privatkonsum für über 80 Prozent des BIP auf der Verwendungsseite steht.
Was auf den ersten Blick überraschend scheint, zeichnete sich zuvor schon ab. Die Inflation die 2017 noch bei 33 Prozent lag, sank in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Außerdem hat die Regierung 2019 den gesetzlichen Mindestlohn im öffentlichen Dienst von 1.200 ägyptischen Pfund (EGP) auf 2.000 EGP sowie die Pensionen um über 30 Prozent auf 900 EGP erhöht. Eine weitere Erhöhung des Mindestlohns auf 2.400 EGP wurde jüngst beschlossen.
Mit einem Anteil von 15 Prozent leisten die Bau- und Immobilienwirtschaft einen wesentlich Betrag zur Enstehung des ägyptischen BIP. Dank großer Städtebauvorhaben erweist sich die Branche auch in Corona-Zeiten als Stabilitätsanker. Dazu deutet der Anstieg der lokalen Nachfrage nach Zement und Stahl auf eine weitere Zunahme der Bautätigkeit hin.
Ein weiteres Schwergewicht der Wirtschaft sind die Rücküberweisungen der etwa 9 Millionen im Ausland lebenden Ägypter. Mit jährlich 25 Milliarden US$ übersteigen diese Zahlungen deutlich die Einnahmen aus Tourismus und Suezkanal. Beide Bereiche kamen im Jahr 2019 auf jeweils 13 Milliarden US$ und 6 Milliarden US$. Jedoch arbeiten zwei Drittel der ägyptischen Expats in den Golfstaaten und es wurde zunächst befürchtet, dass der Abwärtsstrudel der Ölpreise auch die Rücküberweisungen erfassen würde. Das Gegenteil trat ein. Im vergangenen Jahr sind die Rücküberweisungen sogar auf mehr als 28 Milliarden US$ gestiegen. Entwarnung ist aber nicht geboten. Denn der Zuwachst des Auslandsgelder könnte auch auf Einmaleffekten beruhen. So zum Beispiel, wenn Ägypter in Saudi-Arabien ihren Job verloren haben und mit samt ihrer Ersparnisse in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
Auch in diesem Jahr ist nicht damit zu rechnen, dass Touristen in großen Zahlen Küsten und Museen besuchen werden. Rechnen kann Ägypten dagegen mit dem Internationalen Währungsfonds und ausländischen Portfolioinvestoren. Von beiden Seiten erhält Ägypten US$ in Milliardenhöhe, die für stabile Devisenreserven sorgen, den Außenkurs des ägyptischen Pfundes stützen und gerade in der Krise Spielräume für Staatsausgaben öffnen.
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