Die Landwirtschaft, der Bergbau und einzelne Industriebranchen kamen gut durch die Krise. Dienstleister stellen sich auf eine langsame Erholung ein. (Stand: 28. Januar 2021)
Der aktuelle Branchencheck bietet einen Überblick zu Maschinenbau, Chemieindustrie, Energiewirtschaft, Bau, Gesundheitswirtschaft, Landwirtschaft, Bergbau, Nahrungsmittelindustrie, Kfz, IKT und Umwelttechnik.
Landwirtschaft und Bergbau sind krisenresistent
Mit Rekordergebnissen erweist sich die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei ebenso wie in der Rezession von 2014 bis 2016 als Säule der Stabilität. Der Sektor macht etwa 5 Prozent des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Der Bruttowert der Agrarproduktion wuchs 2020 um 17 Prozent. Für 2021 erwartet das Landwirtschaftsministerium einen erneut starken Zuwachs um 10 Prozent.
Die Konjunkturergebnisse der Rohstoffindustrie fielen 2020 ebenfalls positiv aus. Dazu trägt insbesondere der Abbau von Eisenerz bei, dessen Weltmarktpreis bis zum Jahresende um über 70 Prozent gestiegen ist. Brasiliens Erdölkonzern Petrobras steigert das Produktionsvolumen um 5 Prozent. Der Erdölpreis erholt sich zwar, lag gegen Jahresende dennoch 22 Prozent unter dem Vor-Krisen-Niveau.
Positive Stimmung in der Bauwirtschaft flacht etwas ab
Niedrige Zinsen sowie die hohe Nachfrage nach Logistikimmobilien und Anpassungen am Wohnungsmarkt stimulieren die Branchenkonjunktur. Laut Brasiliens Industrieverband CNI erreichte die Kapazitätsauslastung schon im August wieder das Vor-Krisen-Niveau. Büroraum in den Metropolregionen dürfte jedoch 2021 einen deutlich höheren Leerstand aufweisen. Für 2021 erwartet der Verband für Wohnungsbau Secovi Stabilität. Auch die Baumaterialhersteller sind nach dem starken Wachstum 2020 nur noch verhalten optimistisch, zumal nun die Hilfszahlungen ausbleiben, die viele Haushalte für Heimwerkerarbeiten genutzt hatten.
Steiler Erholungskurs der verarbeitenden Industrie
Bereits seit September liegt die Produktion wieder über dem Niveau des jeweiligen Vorjahresmonats. Im November stieg die Industriefertigung zum siebten Monat infolge an, der Umsatz ging jedoch erstmals real leicht zurück. Auch das Unternehmervertrauen weist erste Schwächeanzeichen auf.
In Brasilien wurde der Industriebetrieb kaum direkt durch staatliche Quarantänemaßnahmen eingeschränkt. Die Auflagen treffen in erster Linie die Gastronomie, Bildungseinrichtungen, den Personenverkehr und andere Dienstleistungen. Dennoch sank die Kapazitätsauslastung im April auf einen historischen Tiefstand. Als Hauptprobleme nannte der Industrieverband CNI die schwache Nachfrage sowie die Wechselkursvolatilität und die Abwertung der Währung.
Herausforderungen in der Erholungsphase
Infolge der starken Abwertung der brasilianischen Währung muss die verarbeitende Industrie Kosten neu kalkulieren und Preise anpassen. Inländische Preise für Zellstoff, Eisenerz und Kunststoff-Vorprodukte sind an den Weltmarkt gekoppelt und stiegen somit durch die Währungsabwertung an. Dem Produzentenpreisindex zufolge verteuerten sich industrielle Vorprodukte innerhalb von 12 Monaten um fast 20 Prozent.
Eine weitere Herausforderung lag in der zeitlich verzögerten Wiederaufnahme der Produktion. Die Stahlindustrie fuhr nach und nach die 13 Hochöfen wieder hoch, deren Betrieb im April ausgesetzt wurde. Seit Juli registrierten immer mehr Fabrikanten Engpässe in der Versorgung mit Stahl, aber auch mit PVC und Wellpappe.
Auswirkungen auf einzelne Industriebranchen
Alltägliche Verbrauchsgüter wurden weniger stark getroffen beziehungsweise profitierten zumindest vorübergehend von der Veränderung im Konsumverhalten. Neben Nahrungsmitteln und Kraftstoffen wurden auch mehr Hygieneartikel und Reinigungsmittel, Tabakwaren, Pharmazeutika sowie Zellstoff und Papier produziert als im Vorjahr.
Kapitalintensive und langlebige Konsumgüter sowie Investitionsgüter erlebten dahingegen einen drastischen Einbruch. Ebenso wie in der Kfz-Industrie ging die Produktion von Druckerzeugnissen, Lederwaren und Schuhen sowie von Bekleidung dramatisch zurück, was Veränderungen in der Marktstruktur anstößt. Die Herstellung von Getränken, Möbeln, Elektronik, Metall- und Kunststoffprodukten zieht dagegen wieder stark an.
Dienstleistungssektor erholt sich langsamer
Im ersten Halbjahr ging die Bruttowertschöpfung über Dienstleistungen insgesamt um fast 10 Prozent zurück. In keiner vorherigen Rezession erlebte der Sektor, der in Brasilien rund 70 Prozent zum BIP beiträgt, einen so starken Einbruch. Angesichts der gravierenden Gesundheitskrise im Land und der abnehmenden Kaufkraft erwarten Unternehmer nur eine allmähliche Erholung.
Onlinehandel und Lieferdienste boomen und retten Logistikanbieter, Handel und Gastronomie vor noch höheren Verlusten. Dennoch mussten etwa 20 Prozent aller Restaurants schließen, schätzt der Restaurantverband ANR. Noch deutlicher als die Bauwirtschaft und die verarbeitende Industrie registriert der Handel seit Juli zunehmend Lieferengpässe und Preissteigerungen, die nicht vollständig an Kunden weitergegeben werden können.
Positive Impulse verzeichnen auch alle anderen Bereiche der Digitalwirtschaft wie die Telemedizin. Dennoch musste der private Gesundheitssektor im ersten Halbjahr hohe Einbußen verkraften, was den Trend zur Konsolidierung verstärkt. Dahingegen kamen private Bildungsanbieter bislang verhältnismäßig gut durch die Krise.
Brasiliens Fluggesellschaften Azul, Gol und Latam bieten wieder den Großteil der üblichen Linien an und erwarten, dass das Vor-Krisen-Niveau bereits 2022 erreicht wird.
Von Gloria Rose
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São Paulo