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Die Öffnungspolitik der israelischen Regierung ist gescheitert. Das Kabinett verkündet neue Beihilfen, führt aber einige Restriktionen wieder ein. Der Außenhandel schrumpft.
14.07.2020
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
In der zweiten Mai- und ersten Junihälfte glaubte Israels Regierung, in der Coronakrise sei das Gröbste ausgestanden. Trotz der fortschreitenden Öffnung der Wirtschaftstätigkeit und des öffentlichen Lebens sanken die Neuansteckungszahlen in der dritten Maiwoche vorerst auf ein ermutigendes Tief: im Durchschnitt 17 Fälle pro Tag.
Die Ernüchterung kam schnell. Auf der einen Seite ignorierten große Teile der Bevölkerung die nach wie vor geltenden Distanzierungsregeln. Die Schutzmasken verschwanden von den Gesichtern dicht aneinander gedrängter Shopper, Restaurantkunden, Strandbesucher und Partygäste. Gleichzeitig gelang es der Regierung nicht, einen wirksamen Apparat zur Verfolgung und Unterbrechung der Ansteckungskette aufzubauen.
So kam es, wie es kommen musste – und zwar rasend schnell. In den sieben Tagen vom 3. Juli bis 9. Juli lag die durchschnittliche Neufallzahl bei 914. Am 7. Juli wurde sogar ein Rekordstand von 1.363 Fällen erreicht. An der Bevölkerungsgröße gemessen erreichte Israel mit solchen Zahlen ungefähr US-Zustände. Bis Ansteckungsfälle ermittelt und potenziell Betroffene benachrichtigt werden konnten, vergingen viele Tage; die Testkapazität hielt mit der Ansteckungsexplosion nicht schritt.
Gleichzeitig kam die Wirtschaftsbelebung nicht so schnell voran wie von der Regierung erhofft. Im Juni lag die Arbeitslosenrate bei 21 Prozent – 6 Prozentpunkte weniger als auf dem ersten Höhepunkt der Krise im April, aber noch immer erschreckend hoch. Zugleich näherte sich die Anspruchsberechtigung der Betroffenen auf Arbeitslosengeld ihrem Ende. Massenhunger – von einem voreiligen Minister zwar als „Blödsinn“ bezeichnet – wurde zu einer ganz konkreten Gefahr.
Unter diesen Umständen sah sich die Regierung zum Handeln gezwungen. Am 9. Juli kündigte sie ein Hilfsprogramm für Arbeitslose, Selbständige und Firmen an. Kernpunkt der Maßnahmen ist die Verlängerung der Anspruchsberechtigung für Arbeitslosengeld bis Juni 2021, es sei denn die Arbeitslosigkeit sänke vor diesem Termin unter 10 Prozent. Auch die Voraussetzungen für das Arbeitslosengeld wurden gelockert. Ebenso erhalten von der Krise schwer betroffene Selbständige künftig höhere Beihilfen.
Die große Frage lautet: Reicht das? Wie Finanzminister Israel Katz bei der Vorstellung des Plans erklärte, dürfte das Coronavirus noch ein Jahr lang das Leben der Israelis beeinträchtigen – und zwar bis zur Verfügbarkeit einer Impfung. Diese Einschätzung ist optimistischer als die Auffassung vieler Gesundheitsexperten, die längere Wartezeiten auf einen erprobten, wirksamen und in ausreichenden Mengen hergestellten Impfstoff prognostizieren.
Zudem hat die Regierung einen Teil der Öffnungsmaßnahmen Anfang Juli wieder zurückgenommen und eine Reihe von Versammlungsorten wie Hochzeitssäle, Konzerthallen, Bars und Nachtclubs geschlossen. In anderen Einrichtungen wurde die erlaubte Höchstzahl von Besuchern wieder gesenkt.
Das neue Hilfsprogramm gleicht die Einkommenseinbußen von Privathaushalten, Selbständigen und Unternehmen nur zum Teil aus. Ein großer Teil der Beihilfen wird deshalb für die allernotwendigsten Ausgaben wie Miete oder Rückzahlung von Hypothekendarlehen sowie Grundbedarfsgüter verwendet werden, so dass die Nachfrage nach Angeboten des Dienstleistungsgewerbes in weitaus geringerem Maße gestützt wird. Das aber wird den Abbau der Arbeitslosigkeit erheblich verlangsamen.
Unter diesen Umständen könnten sich auch die gegenwärtigen Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung als zu optimistisch erweisen. Anfang Juli sprach die Zentralbank (Bank of Israel) von einem für 2020 zu erwartenden Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6 Prozent – gegenüber einer im Mai prognostizierten Schrumpfung um 4,5 Prozent. Allerdings können die inzwischen verordneten und vielleicht noch zu erwartenden weiteren Betriebsschließungen die Lage weiter verschärfen.
So ist das letzte Wort zu der von COVID-19 ausgelösten Wirtschaftskrise noch lange nicht gesprochen. Das gilt auch für die Erholungsprognosen für das Jahr 2021. Eine langanhaltende Lahmlegung großer Teile der Wirtschaftstätigkeit und eine beharrlich hohe Arbeitslosigkeit könnten die Rückkehr zur Normalität ins Jahr 2022 verschieben. Dass die Regierung versuchen wird, eine Massennot nach Kräften zu verhindern wird, steht außer Zweifel. Allerdings würde das das Haushaltsdefizit weiter in die Höhe treiben und die bis zur Krise soliden Staatsfinanzen ins Schwanken bringen.
Der Außenhandel wurde durch die Krise erheblich in Mitleidenschaft gezogen. In den ersten drei Monaten der Epidemie in Israel – März bis Mai 2020 – ging die Einfuhr gegenüber dem Parallelzeitraum des Vorjahres um fast 18 Prozent zurück. Zu den am stärksten betroffenen Positionen gehörten Investitionsgüter, während die Einfuhr von Rohstoffen kaum Einbußen zu verzeichnen hatte. Das deutet auf Bemühungen der Industrie hin, die laufende Produktion aufrechtzuerhalten, geplante Erneuerungen des Maschinenparks dabei aber zu verschieben.
Die Einfuhr von Konsumgütern wurde ebenfalls schwer getroffen. Das lag vor allem an empfindlichen Einbußen bei den Importen langlebiger Konsumgüter (Gebrauchsgüter).
Auch die Ausfuhr brach ein. Das ging großenteils auf die großenteils zum Erliegen gekommene Ausfuhr von Diamanten, doch nahmen auch die Exporte ohne Diamanten empfindlich ab. Dabei konnten sich Hightech-Ausfuhren am besten halten, obwohl auch sie Verluste hinnehmen mussten.
Handelsstrom/Kategorie | März-April 2020 in Mio. US$ | Veränd. zum Parallelzeitraum d. Vorjahres in % |
---|---|---|
Warenausfuhr insgesamt | 10.924 | -30,1 |
Industrieausfuhr | 9.951 | -17,4 |
davon: | ||
Technologieintensive Branchen | 3.721 | -9,1 |
Technologieintensivere Mischbranchen | 4.146 | -23,0 |
Technologieärmere Mischbranchen | 1.422 | -15,6 |
Technologiearme Branchen | 6.62 | -23,8 |
Wareneinfuhr insgesamt | 15.832 | -17,9 |
darunter: | ||
Konsumgüter | 3.254 | -16,9 |
Rohstoffe und Produktionsgüter | 7.937 | -1,8 |
Investitionsgüter | 2.205 | -30,1 |