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Special Italien Wasserstoff
Der Ausgangspunkt Italiens für Wasserstoffanwendungen ist die gute eigene Gasinfrastruktur. Folglich zielen die meisten Projekte auf eine Kombination von Wasserstoff und Gas ab.
01.07.2020
Von Oliver Döhne | Mailand
Air Liquide beschäftigt in Italien rund 2.000 Mitarbeiter, Linde 350. Beide Firmen bieten neben industriellen und medizinischen Gasen auch Technologie und Anlagenbau für die Wasserstoffproduktion. Air Products ist zu 49 Prozent an der italienischen Firma Sapio beteiligt, die (in Mantova) als momentan einziger Hersteller Wasserstoff für den freien Markt produziert. Zudem stellt Sapio Anlagen zur Reinigung und Separation von Gasen her. Ein weiterer lokaler Player ist die Sol-Gruppe, die neben Gasen auch Anlagen entwirft und installiert.
Die Firma Ansaldo testet als wichtiger Gasturbinenhersteller momentan, wie sich ein erhöhter Wasserstoffanteil auf das Equipment in der Stromerzeugung auswirkt. McPhy produziert bei Pisa Elektrolyseure jeder Größe. Ebenfalls in Pisa produziert das italienische Unternehmen Enapter kleine Elektrolyseure, die schon in Deutschland für Wohnhäuser im Einsatz sind.
Next Chem, die Green Energy Sparte des großen italienischen EPC-Konzerns Maire Tecnimont, bietet als Übergangstechnologie - bis grüner Wasserstoff den Break Even Point erreicht hat - einen Super Blue-Wasserstoff an. Dieser wird zwar aus Erdgas - und einem Anteil erneuerbarer Energie - gewonnen. Doch das anfallende Kohlendioxid (CO2) wird in Carbon Capture, Usage and Storage aufgefangen und kann wieder genutzt werden. Außerdem projektiert und installiert Next Chem Wasserstoffanlagen aus Abfällen (Circular Hydrogen).
Bei Bussen und schweren Lkw könnte Wasserstoff schon bald zum Einsatz kommen, besonders im Fernverkehr. Ab 2030 soll Wasserstoff kostenmäßig mit anderen Antriebsformen mithalten können. Im Jahr 2018 präsentierte FPT, eine Tochtergesellschaft von CNH (ehemals Fiat Industrial), einen Prototyp für eine wasserstoffbetriebene Lkw-Zugmaschine Made in Italy. Dieses Wissen geht an das US-Unternehmen Nikola, an dem sich CNH eingekauft hat und das 2021 einen Wasserstofftruck auf den Markt bringen will.
Auch im Schienenverkehr gibt es Entwicklungen. Anfang Juni schloss SNAM mit Alstom ein Kooperationsabkommen. Beide wollen 2021 einen Brennstoffzellenzug auf Italiens Schienen stellen. In Italien sind nur 71 Prozent des verwendeten Streckennetzes elektrifiziert, 4.763 Kilometer nicht.
Die Schifffahrt ist aufgrund ihres hohen Schadstoffausstoßes langfristig ein interessantes Einsatzfeld, noch ist die Entwicklung von Wasserstoffantrieben hier aber im Anfangsstadium. Der Fincantieri-Konzern erforscht Einsatzmöglichkeiten an einem 25 Meter langen Testboot. In Venedig will Bootbetreiber Alilaguna die berühmten Vaporetti künftig mit Wasserstoff betreiben, der aus der benachbarten Raffinerie von ENI stammt. Eine weitere Möglichkeit könnte es sein, Schweröl als Treibstoff durch aus Wasserstoff hergestellten Ammoniak zu ersetzen.
Bis 2030 will Italien den CO2-Ausstoß in der Industrie um 56 Prozent reduzieren. Konkrete Projekte gibt es noch kaum. Die Petrochemie will mehr Wasserstoff produzieren, um ihn in Methan, Ammoniak oder Methanol zu transformieren und damit die eigenen Hochöfen anfeuern. Dabei will sie über Carbon Capture and Usage umweltfreundlicher werden. Auch die Stahlindustrie hat offenbar im Wirtschaftsministerium Projektvorschläge zur Verwendung von Wasserstoff als Energiequelle und Grundstoff (zur gasbasierten Direktreduktion zur Eisenerzreduktion) eingereicht. Marktexperten rechnen ab 2030 mit einer Umstellung der Rohstoffe zugunsten von Wasserstoff, auch in Zusammenhang mit Emissionshandelspreisen der Europäischen Union (EU). Ein weiterer Einsatz von Wasserstoff ist in energieintensiven und nicht-elektrifizierbaren Sektoren wie der Glasindustrie wahrscheinlich. Die Automobilindustrie ist auch interessant, verliert aber tendenziell an Produktionsvolumen.
Der Gasnetzbetreiber SNAM ist einer der größten Befürworter von mehr Wasserstoff in Italien. Snam rechnet damit, dass Wasserstoff in Italien dank seiner Lage und Voraussetzungen 5 bis 10 Jahre früher wettbewerbsfähig sein wird als in Deutschland. Im Besitz des Unternehmens befinden sich Gaspipelines mit einer Länge von rund 32.000 Kilometern. SNAM testete 2019 erfolgreich an zwei Industriekunden die Beimischung von 10 Prozent Wasserstoff in bestehende Pipelines. Für seine neuen Pipelines garantiert Snam eine Beimischung in unbegrenzter Höhe. SNAM-Tochter Stogit ist Europas größter Operator für Gasspeicherung mit neun Anlagen und einer gespeicherten Gasmenge von 4,5 Milliarden Kubikmeter (strategisch: 16,9 Milliarden Kubikmeter). In der Beheizung von Haushalten könnte 2025 eine Beimischung von 5 Prozent Wasserstoff Standard werden, ab 2030 auch für Industriekunden.
Stromerzeuger ENEL glaubt nicht an Wasserstoff. Stromübertragungsnetzbetreiber Terna sieht in Power-to-Gas-Anlagen ein wichtiges Instrument, um die Klimaziele zu erreichen und betont den Vorteil einer besseren Nutzung der unregelmäßigen Stromproduktion aus Solar- und Windkraft durch eine Umwandlung in Wasserstoff. Allerdings könne die künftige Nachfrage nach grünem Gas nicht alleine durch einheimische Power-to-Gas-Produktion aus erneuerbaren Quellen abgedeckt werden. Terna rechnet mit hohen Importen über bestehende Pipelines aus Nordafrika und über die Transadria-Pipeline aus Aserbaidschan, mit dem Italien 2019 eine Absichtserklärung schloss. Importierter Wasserstoff sei 14 Prozent günstiger als in Italien produzierter.
Projektbezeichnung | Projektspezifikation | Unternehmen | Status | Investitionsvolumen |
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Brennstoffzellenzug | Wasserstoffbetriebene Züge auf nicht-elektrifizierten Strecken am Beispiel von iLint in Deutschland, Züge von Alstom, Wasserstoffinfrastruktur und -lieferung von Snam | Alstom, Snam | 2021-2026 | k. A. |
Waste-to-Hydrogen-Anlage Porto Marghera (Venetien) | Anlage zur Gewinnung von Wasserstoff aus nicht-recyclebaren Abfällen | ENI, Next Chem, Corepla | Machbarkeitsstudie abgeschlossen; Abkommen 2019; technische Vorbereitung im Gang | k.A. |
Rekonvertierung Stahlwerk Taranto (Apulien) | Noch nicht näher definierte grüne Stahlherstellung mit Mitteln aus dem EU Just Transition Fund | ArcelorMittal, Regierung | Inoffizielle Zusage von EU-Vizepräsident Timmermans | k.A. |
H2-At Scale-Showcase Sicily | Beispiel für autarkes System, 50 MW aus PV oder Windkraft, Pipeline zur Raffinerie und Beimischung zu Heizgas | Snam | Start-up-Phase ab 2022 | 70-90 Mio. Euro |
ZEUS | Wasserstoffbetriebenes Testboot | Fincantieri | Läuft, langfristig | k.A. |
Borgo 4.0 | Entwickung Wasserstofffahrzeug in Airola und Test in Lioni (beide Kampanien) | Adler Pelzer und weitere Unternehmen, Universitäten, Region Kampanien | 2019 verkündet, Frühphase, noch offene Details | 76 Mio. Euro |
Italien ist im spezialisierten Anlagenbau und bei Engineering-Unternehmen stark aufgestellt. Außerdem sind die globalen Gaskonzerne präsent, die auch als Anlagenbauer fungieren. Geschäftschancen für deutsche Firmen bieten sich in erster Linie als Zulieferer von Komponenten.
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