Mexiko hat in den letzten Jahren wenig in Gesundheit investiert. Nun versuchen die Verantwortlichen, das System für den Patientenansturm fit zu machen. (Stand: 26. Juni 2020)
Die aktuelle Gesundheitsinfrastruktur Mexikos dürfte angesichts der derzeitigen Ausbreitung von Covid-19 nicht ausreichen. Im schlimmsten Fall könnten sich 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Erreger infizieren, befürchtet das Gesundheitsministerium. "In Mexiko sind Ausgangsbeschränkungen und damit eine Eindämmung des Virus nicht so einfach umzusetzen wie in Europa", gibt Carlos Jimenez, Geschäftsführer von B. Braun in Mexiko, zu bedenken. Viele Menschen im informellen Sektor seien auf kurzfristige Einnahmen angewiesen.
Obwohl es selbst die offiziellen Infiziertenzahlen herausgibt, geht das Gesundheitsministerium davon aus, dass diese mit dem Faktor 8 multipliziert werden müssen, um ein realistisches Bild der Verbreitung zu erhalten. Einige Mediziner halten sogar den Faktor 50 für wahrscheinlicher. Grund für den starken Unterschied zwischen offiziellen und vermuteten Fallzahlen sind die geringen Testkapazitäten. Daten der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass die Anzahl der Tests in Mexiko nur einem Bruchteil derer in anderen Ländern wie Italien, Südkorea und den USA entspricht.
Da gleichzeitig die Notwendigkeit besteht, die Wirtschaft wieder zu öffnen, denken einige Bundesstaaten darüber nach, künftig wesentlich mehr Tests durchzuführen. Vorreiter ist der Hauptstadtdistrikt Mexiko-Stadt: Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum gab Mitte Juni bekannt, ab Juli 100.000 Tests pro Monat durchführen zu wollen. Dabei sollen möglicherweise Erkrankte auch zu Hause aufgesucht werden, um neue Infektionsketten schnell zu unterbinden.
Unterfinanziertes Gesundheitssystem
Mexiko investierte in den vergangenen Jahren nur rund 5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Gesundheitsversorgung. Länder wie Brasilien, Chile und Kolumbien stehen mit Werten von 7 bis 9 Prozent besser da. Auch die Anzahl von Krankenhausbetten und Ärzten pro Einwohner ist deutlich niedriger als andernorts in Lateinamerika. Zudem ist das öffentliche Gesundheitswesen ein Labyrinth, in dem neun verschiedene Institutionen eigene Einrichtungen unterhalten, die jeweils nach eigenen Regeln funktionieren. Die wichtigsten Träger sind das Gesundheitsministerium (Secretaría de Salud) mit dem angegliederten Wohlfahrtsinstitut Insabi (Instituto de Salud para el Bienestar), die Sozialkasse der Angestellten IMSS (Instituto Mexicano del Seguro Social) und die Sozialkasse des öffentlichen Dienstes ISSSTE (Instituto de Seguridad y Servicios Sociales de los Trabajadores del Estado).
Ausgewählte Indikatoren zum Gesundheitswesen in Mexiko
Indikator | Wert |
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Bevölkerungsgröße (2019; in Mio. Einwohner) | 127,6 |
Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre (2019; in %) | 7,4 |
Anzahl Ärzte (2018; pro 1.000 Einwohner) | 2,6 |
Anzahl Krankenhausbetten (2017; pro 1.000 Einwohner) | 1,38 |
Gesundheitsausgaben (2018; pro Kopf; in US$) | 541,8 |
Quelle: Vereinte Nationen; OECD; Organización Panamericana de la Salud
Einige Krankenhäuser haben Kapazitätsgrenze erreicht
Weil die Zahl der Infizierten weiter steigt, sieht sich die Regierung derzeit gezwungen, deutlich mehr Geld für das Gesundheitssystem bereitzustellen. Im März gab das Gesundheitsministerium mit gut 1 Milliarde US-Dollar (US$) rund dreimal soviel aus wie ursprünglich geplant. Auch die staatlichen Sozialkassen erhöhten ihre Ausgaben. Die Mittel stammen zum Teil aus internen Umwidmungen des Gesundheitsministeriums, zum Teil leitete die Regierung Gelder aus staatlichen Fonds und Treuhandgesellschaften in den Gesundheitssektor um.
Trotz der insgesamt höheren Ausgaben sprechen Kritiker von einer Unterfinanzierung in einigen Institutionen. Demnach habe der Bund an IMSS und ISSSTE im 1. Quartal 2020 teilweise deutlich weniger gezahlt als im Haushaltsplan vorgesehen. Auch die Bundesstaaten hätten weniger erhalten. Obwohl in der Region einige temporäre Kliniken eröffnet wurden, spitzt sich die Auslastung der Krankenhäuser besonders in der Metropolregion (Mexiko-Stadt und Estado de México) zu. In Mexiko-Stadt lag sie im Verlauf des Monats Juni bei rund 75 Prozent. Die Verfügbarkeit von Betten hängt auch stark vom Stadtteil ab. Einige Krankenhäuser in bevölkerungsreichen Gegenden nehmen keine Patienten mehr auf.
Medizintechnik: Krise produziert viele Verlierer
Das Gesundheitsministerium möchte mit den zusätzlichen Mitteln unter anderem Diagnose- und Schutzausrüstung, Medikamente und Desinfektionsmittel beschaffen. Auch neue Beatmungsgeräte ordert das Ministerium zurzeit. Laut Staatspräsident Manuel López Obrador verfügte das Land Ende März über rund 5.500 Geräte und ist seitdem dabei, 5.500 weitere zu besorgen. Die Apparate stammen vorwiegend aus China. Die meisten Anschaffungen laufen über das Institut Insabi. Carlos Jimenez von B. Braun weist darauf hin, dass viele Medizintechnikfirmen unter der Pandemie leiden werden, trotz des derzeitigen Nachfragebooms in bestimmten Bereichen: "Wir sehen, dass die Einkäufe der öffentlichen Player für viele Produkte zurückgehen, die nicht unmittelbar in der Coronabekämpfung einsetzbar sind." Dies gelte zum Beispiel für Ausrüstung der Elektrodiagnose und Orthopädietechnik.
Mexiko ist auf Importe angewiesen
In der derzeitigen Krise wird deutlich, dass Mexiko bei Beatmungsgeräten und Testausrüstung komplett von Importen abhängt. Dabei ist das Land der achtgrößte Exporteur von medizintechnischer Ausrüstung und führte 2018 Waren im Wert von 10,4 Milliarden US$ aus. Allerdings handelt es sich dabei zumeist um einfache Produkte und Komponenten, die im Ausland - häufig in den USA - zu Endprodukten montiert werden. So produzieren mehrere Unternehmen in Mexiko Teile für Beatmungsgeräte für den Export. In einigen Fällen kommen die Geräte als Reexporte zurück nach Mexiko, um dort fertiggestellt zu werden. Die entscheidenden Produktionsschritte erfolgen jedoch im Ausland.
Die Branchenunternehmen sind laut dem Medizintechnikverband AMID (Asociación Mexicana de Industrias Innovadoras de Dispositivos Médicos) bereit, stärker in die Endfertigung in Mexiko zu investieren. Verbandsvertretern zufolge müsse die Regierung dafür aber die interne Nachfrage erhöhen und auch über die Coronakrise hinaus mehr Geld für Gesundheit ausgeben. Ungeachtet dessen investierten Branchenfirmen in den letzten Jahren bereits verstärkt im Land, so zuletzt die beiden US-Unternehmen Medline und Centerpiece. Das wichtigste Cluster liegt im Bundesstaat Baja California, wo rund 76 Unternehmen produzieren, vor allem in Mexicali und Tijuana.
Von Florian Steinmeyer
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Mexiko-Stadt