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Die dritte Corona-Welle fordert Anfang 2021 das spanische Gesundheitssystem heraus. Die Impfkampagne ist bereits im Gange. (Stand: 17. Februar 2021)
Von Oliver Idem | Madrid
Spanien verfügt grundsätzlich über ein gut aufgestelltes Gesundheitssystem. Der öffentliche Sektor steht für 74 Milliarden Euro Gesundheitsausgaben pro Jahr, der private für weitere 31 Milliarden Euro. Beide zusammen repräsentieren 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
In Umfragen schneidet der private Gesundheitssektor etwas besser ab als der staatliche. Doch auch die Zufriedenheit mit dem öffentlichen System liegt bei etwa 70 Prozent. Landesweit stehen laut Gesundheitsministerium 13.000 Versorgungszentren (Centros de Atención Primaria) als erste Anlaufstellen zur Verfügung. In 466 Krankenhäusern sind regulär 112.000 Betten verfügbar.
Die Corona-Infektionswellen belasten das Gesundheitswesen in Spanien sehr. Ein Grund dafür ist die im Vergleich zu Deutschland geringe Zahl von Intensivbetten. Im November 2020 stellte die Tageszeitung El Mundo fest, dass auf 100.000 Einwohner in Deutschland 33 Intensivbetten entfallen, in Spanien sind es nur zehn. Österreich und Frankreich liegen mit 28 beziehungsweise 16 Betten ebenfalls weit über dem spanischen Anteil. Mitte Februar 2021 waren in Spanien 15 Prozent der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt.
Im Februar 2021 wurde die Marke von drei Millionen diagnostizierten Corona-Infektionen überschritten. Inklusive nicht offiziell festgestellter Fälle könnte sich dem Instituto de Salud Carlos III zufolge mindestens ein Zehntel der Bevölkerung seit dem Beginn der Pandemie angesteckt haben.
Ein groß angelegter Impfplan soll helfen, Spanien vor neuen Covid-19-Infektionswellen zu schützen. Im 1. Quartal 2021 sollen an 13.000 Orten im Land kostenlose Impfmöglichkeiten geschaffen werden. Anhand der Kriterien persönliches Risiko, Übertragungsrisiko und soziale und wirtschaftliche Auswirkungen hat das Gesundheitsministerium 18 Impfgruppen etabliert. Bis zum Sommer sollen rund 70 Prozent der Bevölkerung eine Impfung erhalten.
Ende November 2020 berichtete die Wirtschaftszeitung Cinco Días, dass Spanien sich insgesamt 140 Millionen Impfdosen zur Impfung von 80 Millionen Menschen gesichert hat. Diese Zahl übersteigt die Bevölkerungszahl bei Weitem. Damit sichert sich das Land für den Fall ab, dass nicht alle in Entwicklung befindlichen Impfstoffe auch zugelassen werden.
Spanien ist unter anderem in die Vereinbarung der Europäischen Kommission mit dem Pharmaunternehmen AstraZeneca eingebunden. Aus dem Gesamtkontingent kann das Land 31 Millionen Impfdosen beziehen. Es ist möglich, diese Menge um weitere 10 Millionen Einheiten zu erweitern. Im Januar 2021 wurde bekannt, dass Insud Pharma in Spanien einen Teil des von AstraZeneca und der Universität Oxford entwickelten Impfstoffs produzieren wird.
Laut Medienberichten plant das deutsche Unternehmen CureVac, seinen Corona-Impfstoff auch in Spanien zu produzieren. Das Pharmaunternehmen Rovi will in seinen spanischen Werken den Impfstoff von Moderna auftauen, abfüllen und etikettieren.
Die kostenlose und freiwillig nutzbare App "Radar Covid" soll die Rückverfolgung von Infektionsketten erleichtern. Sie ist für Android- und Apple-Smartphones verfügbar. Begegnen sich zwei Personen für mindestens 15 Minuten mit weniger als zwei Meter Abstand, erfolgt im Fall einer positiven Covid-19-Diagnose ein Alarmhinweis mit Handlungsempfehlungen. Auf den Kanarischen Inseln sollen Touristen die App installieren und auch 15 Tage nach dem Urlaub aktiviert lassen.
Die Kombination aus einer hohen Lebenserwartung und der Alterung der Bevölkerung dürfte den Bedarf an Gesundheitsleistungen künftig steigen lassen. Laut neuesten Angaben sind 19,6 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre, die Lebenserwartung liegt bei 83 Jahren.
Indikator | 2019 |
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Bevölkerungsgröße (Mio. Einwohner) | 46,7 |
Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre (in %) | 19,6 |
Anzahl Ärzte pro 1.000 Einwohner | 3,9 |
Anzahl Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner | 3,0 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (in US$) | 3.323 |
Von "dem" Gesundheitssystem kann aufgrund der föderalen Struktur Spaniens nur begrenzt die Rede sein. In der Praxis besteht ein vielschichtiges Geflecht aus öffentlichen und privaten Akteuren. Den Rahmen setzt das Gesundheitsministerium der Zentralregierung in Madrid, jedoch betreiben auch die 17 Autonomen Regionen eigene Gesundheitspolitik. Die Tendenz der vergangenen Jahre geht eindeutig in Richtung Dezentralisierung.
Im Juli 2020 beschloss die Zentralregierung in Madrid einen Sonderfonds, um den Autonomen Regionen bei der Finanzierung der Pandemiekosten unter die Arme zu greifen. Insgesamt 16 Milliarden Euro werden ausgeschüttet. Die höchsten Anteile werden Madrid (1.496 Millionen Euro), Katalonien (1.247 Millionen) und Andalusien (598 Millionen) erhalten.
Die Zentralregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Modernisierung der Medizintechnik im staatlichen Sistema Nacional de Salud geeinigt. Das spricht für Nachholbedarf bei der technischen Ausrüstung.
Auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens steht auf dem Programm. Das Interesse gilt innovativen Lösungen, die bereits erfolgreich erprobt wurden. Spanien gehört zu den im Bereich Digital Health bereits gut aufgestellten Ländern. Das Potenzial für eine systematischere Datenanalyse und -nutzung sowie für mehr Telemedizin ist aber noch erheblich. Die Sensibilität für dieses Thema ist wegen der massenhaften Infektionen bei medizinischem Personal derzeit besonders hoch.
Im Juli 2020 zeichnete sich eine klare parlamentarische Mehrheit dafür ab, das staatliche Gesundheitssystem zu stärken. Eine parteiübergreifende Kommission erarbeitete als Grundlage dafür Vorschläge für mehrere hundert Einzelmaßnahmen. Auch mit Hilfe der EU-Zuschüsse soll das System gestärkt werden. Inhaltliche Schwerpunkte waren im Februar 2021 noch nicht bekannt.
Das spanische Gesundheitsministerium stellt umfangreiche Informationen auch auf Englisch und Französisch bereit. Einen detaillierten Überblick gibt das Instituto de Salud Carlos III in spanischer Sprache. Informationen über Auslandsmärkte bietet auch die Exportinitiative Gesundheitswirtschaft.