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Special | Ungarn | Wege aus der Coronakrise

Konjunktur und wichtigste Branchen

Ungarns Wirtschaft hat 2020 besser abgeschnitten als die EU im Durchschnitt. Nach starker Dynamik 2021 wird auch für 2022 hohes Wachstum erwartet. (Stand: 26. Oktober 2021)

Von Waldemar Lichter | Budapest

Die ersten Fälle von Infektionen mit SARS-CoV-2 in Ungarn wurden Anfang März 2020 bestätigt. Die Regierung ergriff in der Folge Gegenmaßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Im Herbst 2021 wurde das Land von der vierten Coronawelle erfasst. Die pandemische Notlage wurde bis Anfang 2022 verlängert, um der Regierung eine Handhabe zu geben, darauf schnell zu reagieren.

Ungarns Regierung beteuert, dass die Krankenhäuser über genügend Intensivbetten und notwendige medizinische Ausrüstungen verfügen. Fachleute warnen jedoch, dass das Gesundheitssystem durch die Pandemie zunehmend an seine Belastungsgrenzen komme. Es mangele nicht an Medizintechnik. Was fehle, sei geeignetes Fachpersonal, ausreichend Ärzte und Krankenpfleger, so die Einschätzung von Fachleuten.

Weitere Pandemiewellen könnten konjunkturelle Erholung ausbremsen

Im 2. Quartal 2020 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zunächst massiv eingebrochen: um 14 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im weiteren Jahresverlauf  begann sich die Wirtschaft langsam zu erholen. Im 3. Quartal 2020 wuchs das BIP gegenüber dem Vorquartal um 10,4 Prozent, im 4. Quartal um 1,9 Prozent. Im 1. und 2. Quartal 2021 legte die Wirtschaftsleistung um 1,6 beziehungsweise 2,9 Prozent zu.

Im 1. Halbjahr 2021 belief sich das reale BIP-Plus gegenüber der gleichen Vorjahresperiode auf 7,6 Prozent. Ungarns Finanzministers Mihály Varga rechnet für 2021 insgesamt mit einem Wachstum von bis zu 7 Prozent. Seinen Optimismus teilt auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Ungarn sei auf dem besten Weg, 2021 mit 7,6 Prozent das dritthöchste Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union (EU) zu erzielen, heißt es in dessen Oktoberprognose. Die verbesserte epidemiologische Lage, die im europäischen Vergleich hohe Impfquote der Bevölkerung, aber auch die anziehende Konjunktur in der EU lassen auch für 2022 eine günstige Konjunkturentwicklung erwarten.

Reales Wirtschaftswachstum in Ungarn *)

Bisheriges BIP-Wachstum

Winterprognose 2020 (Februar 2020)

Sommerprognose 2021 (Juli 2021)

2016

2,2

2017

4,3

2018

5,4

2019

4,6

4,9

2020

3,2

-5,0

2021

2,8

6,3

2022

5,0

*) reale Veränderung gegenüber dem Vorjahr in ProzentQuelle: Europäische Kommission 2021

Landeskenner zeigen sich angesichts der Entwicklung optimistisch. Sobald die Pandemie vorbei sei, werde Ungarn wieder zu gewohnter wirtschaftlicher Dynamik zurückkehren, meinen Experten. Auch an der Bedeutung Deutschlands als wichtigster Investor und Handelspartner Ungarns werde die Krise kaum etwas ändern. Ungarn könnte daraus sogar als Gewinner hervorgehen. Denn die Krise habe die Anfälligkeit von zu weit gespannten und verzweigten Liefer- und Bezugsketten schmerzhaft deutlich gemacht. Hier könnte Ungarn künftig als verlässlicher Partner deutscher Unternehmen "in der Nähe" punkten.

Ende der Einschränkungen entlastet  Hotels und Gastgewerbe

Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie hatten den gesamten Dienstleistungssektor stark zurückgeworfen. Hotels arbeiten seit Herbst 2020 – wenn überhaupt – nur auf Sparflamme, die Gastronomie musste sich zeitweilig komplett auf Lieferdienste und Speisen zum Mitnehmen umstellen.

Im Frühjahr 2020 hatten die meisten Dienstleistungsbetriebe schließen müssen oder konnten nur mit Einschränkungen weiterarbeiten. Als Folge brach der Einzelhandelsumsatz stark ein. Nach den vorübergehenden Lockerungen zur Jahresmitte 2020 hatte sich der Einzelhandel stabilisiert. Die Umsätze gingen 2020 insgesamt nur um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.

Seit Frühjahr 2021 geht es wieder kräftig aufwärts. Im März 2021 nahmen die Einzelhandelsumsätze gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,6, im April und Mai um je 5,8 Prozent zu. In den ersten acht Monaten 2021 belief sich der Anstieg auf 2,4 Prozent.

Gewinner im Dienstleistungssektor sind der Onlinehandel und Firmen, die Lieferservice etwa für die Gastronomie anbieten, zum Beispiel Wolt oder Netpincer. Die Umsätze der Onlinehändler sollen 2020 nach Schätzungen um 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sein. Im 1. Halbjahr 2021 legten diese nochmals um 26 Prozent zu.

Erholung in der Industrie beginnt

Die Pandemie ging auch an Ungarns Industrie nicht spurlos vorüber. Die Industrieproduktion schrumpfte 2020 um insgesamt 6 Prozent zum Vorjahr (darunter im April: -38,4 Prozent, Mai: -31,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat). Wichtigste Ursache dafür war die gesunkene Nachfrage im Inland, aber auch aus dem Ausland. Durch den europaweiten Konjunktureinbruch fiel die Nachfrage aus den wichtigsten Exportmärkten der ungarischen Industrie aus.

Zu den Zweigen mit dem stärksten Umsatzrückgang gehörte 2020 mit -14,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr die Automobilindustrie. Auch die Kunststoff- und Gummiindustrie (-7,3 beziehungsweise 12,2 Prozent), die zum großen Teil von der Nachfrage der Automobilwerke und deren Zulieferfirmen abhängen, gehörten 2020 zu den Verlierern, ebenso wie die Mineralölindustrie (-13,4 Prozent).

Eine Entspannung der Pandemie in Europa wird auch die Situation der ungarischen Industrie verbessern. Steigende Investitionen und Konsum treiben die Nachfrage nach Industriegütern an. Sobald die Konjunktur in der EU anzieht, wird die Auslandsnachfrage nach Ungarns Industriegütern wieder steigen. Das Budapester Wirtschaftsforschungsinstitut GKI prognostiziert bereits für 2021 ein kräftiges Wachstum der Industrieproduktion von 13 Prozent und für 2022 von 7 Prozent.

Automobilindustrie spürt Chipmangel

Von Ausgangsbeschränkungen waren Ungarns Industrieunternehmen kaum betroffen. Zunächst schienen auch gestörte Lieferketten nur für einige wenige Industriezweige und in geringem Umfang Auswirkungen zu haben. Gegen Ende 2020 und im Januar 2021 bekam dann allerdings Ungarns Automobil- und Kfz-Zulieferindustrie Nachschubprobleme zu spüren.

Der Grund sind Engpässe bei der Versorgung mit Mikrochips und elektronischen Komponenten, die auf fehlende Lieferungen aus Asien zurückzuführen sind. Nach dem Wegfall der Nachfrage aus dem Automobilsektor im Frühjahr 2020 stellten sich die asiatischen Halbleiterhersteller auf andere Abnehmer um, etwa aus der Unterhaltungselektronik- oder Telekommunikationsbranche. Fachleute befürchten, dass die Versorgungsprobleme noch längere Zeit zu spüren sein werden.

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