Ungarns Wirtschaft hat 2020 besser abgeschnitten als die EU im Durchschnitt. Für 2021 und 2022 werden die Überwindung der Krise und hohes Wachstum erwartet. (Stand: 26. März 2021)
Die ersten Fälle von Infektionen mit SARS-CoV-2 in Ungarn wurden Anfang März 2020 bestätigt. Die Regierung ergriff rasch Gegenmaßnahmen, um die schnelle Ausbreitung des Virus zu verhindern. Im Herbst 2020 wurde das Land dann von einer zweiten und im Februar 2021 von einer dritten Coronawelle erfasst, mit jeweils starkem Anstieg der Infektionsfälle und einer hohen Zahl von Sterbefällen.
Zwar beteuert die Regierung, dass die Krankenhäuser über genügend Intensivbetten und notwendige medizinische Ausrüstungen verfügen. Fachleute warnen jedoch, dass das Gesundheitssystem durch die rasch steigende Zahl der Covid-Patienten, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen, zunehmend an seine Belastungsgrenzen komme. Laut Premier Viktor Orbán stünden 2.800 Betten mit Beatmungsgeräten sowie weitere 11.000 Intensivbetten zur Verfügung. Es mangele also nicht an Medizintechnik. Was fehle, sei geeignetes Fachpersonal, ausreichend Ärzte und Krankenpfleger.
Neue Pandemiewellen unterbrechen konjunkturelle Erholung
Nach dem massiven Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im 2. Quartal 2020 von 13,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal schien sich die ungarische Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf zu erholen. Im 3. Quartal wuchs die Wirtschaftsleistung gegenüber dem 2. Quartal 2020 um 11 Prozent, im 4. Quartal legte sie immerhin noch um 1,4 Prozent zu. Gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal entsprach das zwar einem Minus von 4,6 Prozent beziehungsweise 3,6 Prozent. Doch der Rückgang hat sich damit in der 2. Jahreshälfte 2020 deutlich verlangsamt.
Reales Wirtschaftswachstum in Ungarn *)
| Bisheriges BIP-Wachstum | Winterprognose 2020 (Februar 2020) | Winterprognose 2021 (Februar 2021) |
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2016 | 2,2 | | |
2017 | 4,3 | | |
2018 | 5,4 | | |
2019 | 4,6 | 4,9 | |
2020 | | 3,2 | -5,3 |
2021 | | 2,8 | 4,0 |
2022 | | | 5,0 |
*) reale Veränderung gegenüber dem Vorjahr in ProzentQuelle: Europäische Kommission 2021
Langfristig könnte Ungarn von der Krise profitieren
Der Geschäftsführer der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK), Gabriel Brennauer, ist ungeachtet der derzeitigen Krise optimistisch. Sobald die Pandemie vorbei sei, werde Ungarn wieder zu seiner alten Stärke finden, sagt Brennauer. An der Bedeutung Deutschlands als wichtigster Investor und Handelspartner Ungarns werde die Krise kaum etwas ändern.
Im Gegenteil - Ungarn könne daraus sogar als Gewinner hervorgehen. Denn die Krise habe die Anfälligkeit von zu weit entfernten und verzweigten Liefer- und Bezugsketten schmerzhaft deutlich gemacht. Hier könnte Ungarn künftig als verlässlicher Partner deutscher Unternehmen „in der Nähe“ punkten, ist sich Brennauer sicher.
Handel und Gastgewerbe leiden unter Einschränkungen
Die im November 2020 und dann im März 2021 abermals verhängten Beschränkungen werfen den gesamten Dienstleistungssektor ein weiteres Mal zurück. Hotels arbeiten seit Herbst 2020 – wenn überhaupt – nur auf Sparflamme, die Gastronomie musste sich komplett auf Lieferdienste und Speisen zum Mitnehmen umstellen.
Im Frühjahr 2020 hatten die meisten Dienstleistungsbetriebe schon einmal schließen müssen, oder konnten nur mit starken Einschränkungen weiterarbeiten. Als Folge brach der Einzelhandelsumsatz im April 2020 um 10,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein. Am stärksten von den verfügten Geschäftsschließungen betroffen war der Handel mit langlebigen Konsumgütern. Auch die Verkäufe von Kraftstoffen gingen mangels Mobilität stark zurück.
Nach den vorübergehenden Lockerungen zur Jahresmitte hatte sich der Einzelhandel dann stabilisiert. Die Umsätze gingen 2020 insgesamt nur um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.
Die einzigen Gewinner im Dienstleistungssektor sind der Onlinehandel und Firmen, die Lieferservice etwa für die Gastronomie anbieten, zum Beispiel Wolt oder Netpincer. Die Umsätze der Onlinehändler sollen 2020 nach Schätzungen um bis zu 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sein. Das starke Wachstum dürfte wegen der fortgesetzten Einschränkungen auch 2021 anhalten.
Erholung in der Industrie durch neue Coronawellen gefährdet
Auch an Ungarns Industrie geht die Pandemie nicht spurlos vorüber. Die Industrieproduktion schrumpfte 2020 um insgesamt 6 Prozent zum Vorjahr (darunter im April: -38,4 Prozent, Mai: -31,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat). Die wichtigste Ursache dafür war die gesunkene Nachfrage im Inland, aber auch aus dem Ausland. Durch den europaweiten Konjunktureinbruch brach auch die Nachfrage aus den wichtigsten Exportmärkten der ungarischen Industrie weg.
Zu den Zweigen mit dem stärksten Umsatzrückgang gehörte 2020 mit minus 14,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr die Automobilindustrie. Auch die Kunststoff- und Gummiindustrie (-7,3 beziehungsweise 12,2 Prozent), die zum großen Teil von der Nachfrage der Automobilwerke und deren Zulieferfirmen abhängen, gehörten 2020 zu den größten Verlierern, ebenso wie die Mineralölindustrie (-13,4 Prozent).
Sofern sich die Pandemielage in Europa im Jahresverlauf 2021 verbessert, wird sich Ungarns Industrie schnell erholen. Steigende Investitionen und Konsum werden die Nachfrage nach Industriegütern antreiben. Sobald die Konjunktur in der Europäischen Union anzieht, dürfte auch die Nachfrage aus dem Ausland nach Ungarns Industriegütern wieder steigen. Das Budapester Wirtschaftsforschungsinstitut GKI prognostiziert für 2021 ein Wachstum der Industrieproduktion von 4 Prozent.
Automobilindustrie spürt Chipmangel
Von Ausgangsbeschränkungen waren Ungarns Industrieunternehmen hingegen kaum betroffen. Zunächst schienen auch gestörte Lieferketten nur für einige wenige Industriezweige und in geringem Umfang Auswirkungen zu haben. Gegen Ende 2020 und im Januar 2021 bekam dann allerdings Ungarns Automobil- und Kfz-Zulieferindustrie Nachschubprobleme zu spüren.
Der Grund waren Engpässe bei der Versorgung mit Mikrochips und elektronischen Komponenten, die auf fehlende Lieferungen aus Asien zurückzuführen waren. Nach dem Wegfall der Nachfrage aus dem Automobilsektor im Frühjahr 2020 stellten sich die asiatischen Halbleiterhersteller auf andere Abnehmer um, etwa aus der Unterhaltungselektronik- oder Telekommunikationsbranche.
Von Waldemar Lichter
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Budapest