Brexit birgt weiter Risiken für britische Bauwirtschaft
Die Branche hat das Corona-Tief überwunden, die Auftragslage ist exzellent. Sorge bereiten aber hausgemachte Probleme: die Zertifizierung von Baustoffen und der Fachkräftemangel.
15.07.2021
Von Karl Martin Fischer,
Marc Lehnfeld,
Stefanie Eich
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Bonn, London
Die Bauwirtschaft produziert bereits wieder über Vorkrisenniveau. Trotz exzellenter Auftragslage kämpft die Branche aber mit angebotsseitigen Problemen. Ein Grund ist der Brexit.
Die britische Bauwirtschaft wurde während der Coronakrise am härtesten durch die Ausgangsbeschränkungen der ersten Infektionswelle im April 2020 getroffen. Die Bauwertschöpfung sackte im Vergleich zum Vormonat um 41,6 Prozent ab, konnte sich danach aber - bis auf einen kleinen Rückfall im Dezember 2020 - erholen. Im März 2021 wurden die Wertschöpfungsverluste der Coronakrise komplett kompensiert.
Zahlen und Fakten: Die britische Bauwirtschaft
Infrastruktur- und Wohnungsbau ebnen Weg aus der Krise
Auch die Wachstumsprognosen sind äußerst positiv. Laut der Construction Products Association (CPA) soll die Bauwertschöpfung 2021 um 12,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen und auch 2022 noch um 5,2 Prozent ansteigen. Treiber sind der Infrastruktur- und der Wohnungsbau, die 2021 nach starken Einbrüchen in der Krise mit zweistelligen Zuwächsen schnell auf den Expansionspfad zurückfinden.
Vor allem die milliardenschweren Investitionsprojekte im Infrastrukturbau, insbesondere beim Ausbau des Schienennetzes, fördern die Erholung. Allein das Schienenprojekt HS2 ist mit erwarteten Gesamtkosten von über 116 Milliarden Euro nicht nur Europas größtes Infrastrukturprojekt, sondern auch ein wesentlicher Auftraggeber für die Bauwirtschaft.
Brexit-Folgen verschärfen sich weiter
Die vielversprechenden Prognosen unterliegen aber Abwärtsrisiken, die zum Teil schon jetzt spürbar sind. Derzeit kämpfen die Unternehmen mit Lieferengpässen und dadurch zusätzlich steigenden Preisen von Baumaterialien, vor allem bei Zement, Beton, Gips, Stahl, Holz und Dachziegeln. Das Problem wird durch den Brexit verschärft: Weil die Ausnahmen zur Nutzung des europäischen CE-Kennzeichens mit Ablauf dieses Jahres enden, müssen ab dem 1. Januar 2022 alle eingeführten Baumaterialien mit dem neuen britischen UKCA-Kennzeichen versehen sein. Die dafür notwendigen Zertifizierungskapazitäten reichen laut des Verbands CPA nicht aus, sodass sich der Mangel an Baumaterialien verschärfen könnte.
Eine weitere Brexit-Folge ist der große Fachkräftemangel, der sich durch die erschwerten Einreisebedingungen für Einwanderer aus der Europäischen Union (EU) verschärft. Trotz britisch-europäischem Freihandelsabkommen bleiben außerdem bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Handwerksdienstleistungen große Hürden, sodass die britischen Angebotslücken nur bedingt von ausländischen Dienstleistern gefüllt werden können.
Die britische Bauwirtschaft steht folglich vor der großen Herausforderung, ihre angebotsseitigen Probleme zu lösen, um das Nachfragepotenzial nutzen zu können.
Germany Trade & Invest fasst weitere Marktchancen und -risiken in der neuen Publikation Branche kompakt Bauwirtschaft zusammen.
Die britische Regierung kündigt eine Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2025 an. Erst danach müssen Exporteure die neuen UKCA-Kennzeichnungspflichten beachten.
Das UKCA-Label soll die CE-Kennzeichnung ersetzen. Das gilt auch für Bauprodukte, allerdings erst ab Mitte 2025: Das britische Ministerium für Wohnungsbau kündigte am 9. Dezember 2022 an, die Übergangsfrist für die Verwendung der CE-Kennzeichnung auf dem britischen Markt erneut zu verlängern.
Mehr Zeit für die Umstellung auf UKCA
Bis zum 30. Juni 2025 können Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung in Großbritannien in Verkehr gebracht werden. Die neue Frist für die Verwendung des UKCA-Labels ist somit der 1. Juli 2025. So sollen Hersteller und Exporteure mehr Zeit für die Umstellung auf UKCA haben.
Bereits Mitte November hatte das britische Wirtschaftsministerium eine Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2024 angekündigt. Für Bauprodukte gelten jedoch separate Regelungen. Zwar geht die Fristverlängerung für Bauprodukte über die allgemeine Verlängerung hinaus, jedoch gelten die Erleichterungen zur Zertifizierung nicht für Bauprodukte. Demnach gilt: Ist eine Konformitätsbewertung durch ein Prüfinstitut vorgeschrieben, muss diese durch eine Notifizierte Stelle (Approved Body) mit Sitz in Großbritannien erfolgen. EU-Zertifikate können bei Bauprodukten nicht als Grundlage für die UKCA-Kennzeichnung verwendet werden - anders als bei den meisten Produkten, für die es eine Übergangsfrist für die Nutzung von EU-Zertifikaten gibt. Das geht aus dem aktualisierten Leitfaden des zuständigen Ministeriums hervor.
UKCA-Label: Das Wichtigste auf einen Blick
Ab dem 1. Juli 2025 muss das neue UKCA-Label angebracht werden.
Alle harmonisierten europäischen Normen werden in britische Standards umgewandelt (designated standards). Sie bleiben inhaltlich identisch.
Ist eine Konformitätsbewertung durch ein Prüfinstitut vorgeschrieben, muss diese durch eine Notifizierte Stelle (Approved Body) mit Sitz in Großbritannien erfolgen.
Mit dem Austritt aus der Europäischen Union (EU) gehört das Vereinigte Königreich seit 1. Januar 2021 nicht mehr zum EU-Binnenmarkt. Bestehende EU-Gesetze wurden in nationales Recht überführt. Das gilt auch für die EU-Bauprodukteverordnung. Alle damit verbundenen Änderungen gelten jedoch nur für Großbritannien (England, Schottland und Wales). Für Nordirland gelten Sonderregeln: Durch das Nordirland-Protokoll zum Austrittsabkommen bleibt Nordirland weiterhin im EU-Binnenmarkt für Waren und behält somit das EU-Regime.
Die existierenden regulatorischen Verpflichtungen bleiben bestehen. Zusätzlich wird insbesondere die Einreise zur Erbringung von Dienstleistungen vor Ort erheblich erschwert.
Regulierung
Die Baubranche im Vereinigten Königreich ist vergleichsweise stark reguliert. Die wichtigsten Regulierungstatbestände:
In Sachen Besteuerung wird das Construction Industry Scheme (CIS) relevant werden, das in seiner Funktion der deutschen Bauabzugssteuer entspricht. Ebenfalls relevant ist die Regelung der Umsatzsteuer, insbesondere die Frage, ob das Reverse Charge Verfahren noch Anwendung findet. Zu beiden Themen gibt es umfangreiche und aktuelle Informationen und Dienstleistungen der deutsch-britischen AHK.
Wer im Vereinigten Königreich Arbeitnehmer beschäftigt, muss eine Employers Liability Compulsory Insurance haben. Dies gilt auch für Arbeitnehmer, die normalerweise außerhalb des VK arbeiten, wenn sie für mehr als 14 Tage im VK eingesetzt werden.
Für Gasarbeiten (Gas Safe Register) und Asbestarbeiten (Asbestos Licensing) sind Registrierungen verpflichtend. Für viele weitere Tätigkeiten werden Registrierungen angeboten, häufig im Rahmen von Self-Certification Programmen (siehe diese Übersicht).
Einreisebestimmungen
Das Ende der Dienstleistungsfreiheit und der Personenfreizügigkeit macht sich deutlich bemerkbar. Der neue Grundsatz lautet "Dienstleistungserbringung im Vereinigten Königreich nur mit Visum". Hiervon gibt es Ausnahmen im Rahmen der sogenannten verkaufsnahen Dienstleistungen, die sowohl im Freihandelsabkommen als auch - mit leicht abweichenden Tatbestandsvoraussetzungen - im britischen Recht vorgesehen sind. Wichtigste Voraussetzung: ein enger Zusammenhang mit einem Kauf-/Mietvertrag. Liegen die Voraussetzungen vor, können für 90 Tage innerhalb eines rollierenden Sechsmonatszeitraums (Abkommen) oder sogar für bis zu sechs Monate (britisches Recht) bestimmte Dienstleistungen erbracht werden.
Ist hingegen ein Visum erforderlich, wird in den meisten Fällen nur ein Visum der Kategorie Tier 5 - International Agreement Worker in Betracht kommen. Für die Baubranche ist dies jedoch zumeist nur eine theoretische Möglichkeit, weil das Vereinigte Königreich für fast alle Bautätigkeiten keine Verpflichtung für Marktzugang übernommen hat.