Die erfolgreiche Impfkampagne und ein ehrgeiziger Öffnungsplan nähren die Hoffnung auf baldige Besserung. Probleme durch die Zollgrenze bleiben bestehen. (Stand: 8. März 2021)
Brexit und Corona haben die britische Wirtschaft und Gesellschaft im letzten Jahr in Atem gehalten. Nun schauen die Briten nach vorn. Über 22 Millionen Briten haben bereits ihre erste Impfdosis zum Schutz gegen das Coronavirus erhalten.
Mit dem Rückenwind der erfolgreichen Impfkampagne verspricht die Regierung mit ihrem Öffnungsplan auch einen Weg aus der Krise - ohne erneuten Lockdown. Im besten Fall könnten sogar schon zum 21. Juni 2021 die Nachtclubs wieder öffnen.
Der ökonomische Scherbenhaufen lässt sich hingegen nicht so schnell zusammenkehren. Nach dem historischen Wirtschaftseinbruch von 10 Prozent im letzten Jahr und der notwendigen Lockdown-Verlängerung im 1. Quartal 2021 revidiert auch das Office for Budget Responsibility (OBR) seine Konjunkturprognose. So schraubt die britische Haushaltsbehörde ihre Einschätzung für das Realwachstum 2021 von 5,5 auf 4,0 Prozent herunter. Als optimistisch gilt hingegen die Einschätzung, dass die Wirtschaftsleistung ihr Vorkrisenniveau schon im 2. Quartal 2022 erreichen könnte. Für das Gesamtjahr 2022 rechnet OBR mit einem Wirtschaftswachstum von 7,3 Prozent.
Bis dahin stützt der britische Staat die sich erst langsam erholende Wirtschaft. In seiner Anfang März gehaltenen Etatrede verkündete Finanzminister Rishi Sunak ein weiteres Milliardenpaket zum Schutz vor Arbeitslosigkeit und Insolvenz. Das Kurzarbeitsmodell - wie auch viele andere Förderinstrumente - werden bis in den September verlängert. Während die Regierung damit bisher die befürchtete Massenarbeitslosigkeit erfolgreich verhindern konnte, kündigte sie schon die Rechnung für ihr beispielloses Rettungspaket an.
Rechnung für teure Rettungsmaßnahmen präsentiert
Besserverdiener dürfen mit einer höheren Steuerbelastung rechnen. Dazu gehören auch Unternehmen mit einem Gewinn von mehr als 50.000 Pfund Sterling, umgerechnet rund 58.300 Euro, die ab 2023 eine höhere Steuerbelastung erwarten dürfen. Ab einem Gewinn von 250.000 Pfund Sterling gilt mit 25 Prozent ein neuer Höchstsatz.
Der Richtungswechsel ist damit besiegelt: Erst zu Beginn der Coronakrise kassierte die Regierung eine für April 2020 geplante Senkung auf 17 Prozent.
Immerhin wird die Wirtschaft bis dahin mit einer großzügigen steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten von bis zu 130 Prozent namens "super deduction" für Kapitalinvestitionen belohnt. Das könnte dem Königreich einen Investitionsboom bescheren.
Der Zeitpunkt ist auch deshalb passend gewählt, weil viele Unternehmen ihre Investitionspläne bereits seit Jahren aus Unsicherheit über den Brexit und die zukünftigen Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union (EU) eingefroren haben.
Als "Singapore on Thames" wurde die wirtschaftspolitische Vision für die britische Insel post-Brexit oft bezeichnet. Niedrige Steuern und eine tiefgreifende Deregulierungskampagne wird es auf absehbare Zeit jedoch nicht geben. Acht englische Freihäfen sollen das Wirtschaftsmodell nun im Kleinen abbilden und ausländische Investoren anlocken. Ihr volkswirtschaftlicher Nutzen ist allerdings umstritten.
Keine Aufbruchsstimmung in britisch-europäischen Beziehungen
Nach der Last-Minute-Einigung über das britisch-europäische Freihandelsabkommen bleibt die Aufbruchsstimmung in den bilateralen Beziehungen hingegen aus. Die kurze Vorbereitungszeit von nur einer Woche bis zum Start der Zollgrenze reichte vielen Firmen bei weitem nicht aus.
Die Folge: Auch ohne lange Staus am Hafen von Dover klagen Logistiker über Abwicklungsprobleme und mangelhafte Zollerklärungen. Hinzu kommen Lücken im Freihandelsabkommen bei der Dienstleistungserbringung. Für Deutschland ist das Vereinigte Königreich 2020 weiter auf den achten Platz der wichtigsten Handelspartner abgerutscht.
Wohlwollende Nachverhandlungen zwischen der britischen Regierung und der EU-Kommission könnten für Abhilfe sorgen. Die Launigkeit während der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zieht sich aber auch in dieses Jahr.
Jüngst kündigte die britische Regierung einseitig an, die Übergangsphase bei der zollrechtlichen Anwendung des Nordirland-Protokolls auf Einfuhren britischer Agrarprodukte und pflanzlicher Erzeugnisse zu verlängern. Das weckt Erinnerungen an die letztjährige Diskussion über die britische Internal Market Bill, in der die Briten planten, die internationalen Verträge mit der EU zu brechen.
Damals wurde eine Lösung gefunden. Ein fader Beigeschmack über die britische Rechtstreue und das Vertrauen in zukünftige Verhandlungen blieb dennoch zurück und wird nun erneut genährt. Der irische Außenminister Simon Coveney erklärte dazu, dass die EU mit einem Partner verhandle, dem sie einfach nicht vertrauen könne.
Britische Branchen kämpfen gegen Krise
Während von Aufbruchsstimmung in den bilateralen Beziehungen noch keine Rede ist, sorgt sich die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Britische Unternehmen leiden unter den verschlechterten Handelsbedingungen auf ihrem wichtigsten Absatzmarkt. EU-Exporteure müssen durch die neue Zollgrenze auf dem britischen Markt Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten aus Drittländern ausgleichen.
Während die britische Wirtschaftsleistung im Dezember noch 6,3 Prozent unter dem Vorkrisenniveau vom Februar 2020 lag, schlagen sich die Branchen unterschiedlich. So liegt der stark getroffene Dienstleistungssektor noch 6,9 Prozent zurück, dem verarbeitenden Gewerbe und die Bauindustrie fehlen dagegen nur noch 3,4 Prozent, um das alte Niveau zurückzuerlangen.
Die Chemieindustrie konnte schon Ende 2020 wieder die Wertschöpfung vor der Coronakrise übertreffen. Allerdings sollten die Dezember-Daten nicht überbewertet werden, da die Wirtschaftslage während der Krise sehr volatil ist. Zudem sind die strukturellen Folgen der Zollgrenze vor allem für die Chemiebranche, den Maschinenbau und die Automobilindustrie noch nicht absehbar. Die Baubranche und der Energiesektor, allen voran die Offshore-Windenergie und die neue Wasserstoffpolitik, bilden hingegen die Speerspitze beim britischen Weg aus der Krise.
Von Marc Lehnfeld
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London