Special | Tschechische Republik | Lieferketten
Tschechien ist wichtigster Beschaffungsmarkt deutscher Autobauer
Deutschland importiert aus keinem anderen Land einen höheren Wert an Kraftfahrzeugteilen und -komponenten. Das hat sich auch durch Corona nicht geändert.
14.04.2021
Von Miriam Neubert | Prag
Breit aufgestellte Zulieferbranche voller deutscher Namen
Die Kraftfahrzeugindustrie ist Tschechiens Schlüsselbranche. Sie strahlt weit in andere Zulieferbranchen aus wie Elektronik-Elektrotechnik, Metall- sowie Gummi- und Kunststoffverarbeitung. Nach der politischen Öffnung 1990 haben sich im Bereich Automotive verschiedene Original Equipment Manufacturer (OEM) und Hunderte von leistungsfähigen Zulieferern in bestehende Unternehmen eingekauft, auf der grünen Wiese angesiedelt oder in tschechischer Hand entwickelt. Der wachsende Preisdruck, den die Automobilhersteller auf ihre Lieferanten ausüben, stützte diesen Verlagerungstrend. Die Tschechische Republik bot ihnen technisch gut ausgebildete Fachkräfte, niedrige Löhne, Investitionsanreize und eine logistische Premiumlage.
Die Folge dieser Entwicklung: Über 90 Prozent der Bruttowertschöpfung der tschechischen Autoindustrie entsteht in Werken ausländischer Investoren. Dabei sind Deutschland und Tschechien durch die mehr als 800 Kilometer lange gemeinsame Grenze und ihre Tradition als Industrie- und Autoländer besonders enge Partner. Den Grundstein legte der Einstieg von Volkswagen bei Škoda Auto 1990 in Mladá Boleslav und die Fortentwicklung dieser Traditionsmarke. 2002 siedelte sich das Joint Venture von Toyota und PSA Peugeot Citroën in Kolín an (seit 1.1.2021 TMMCZ in alleiniger Hand von Toyota), nach dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union (EU) das europäische Werk von Hyundai (HMMC) in Nošovice.
Kein europäisches Auto ohne tschechische Teile
Der Umsatz der Zulieferer (NACE 29.3) hat sich nach Zahlen des Ministeriums für Industrie und Handel seit 2010 auf 686 Milliarden Tschechische Kronen (rund 26,7 Milliarden Euro) im Jahr 2019 nahezu verdoppelt. Ausgehend von den Außenhandelszahlen wird etwas über die Hälfte dieses Werts exportiert. Wohl kein europäisches Fahrzeug ist unterwegs ohne "czech made"-Teile.
Als ein Beispiel kann der neue BMW 3er gelten. Den Wagen hatte der tschechische Branchenverband AutoSAP zum Auto des Jahres 2020 in Tschechien gewählt. In der Folge wurden auch seine tschechischen Zulieferer ausgezeichnet: Continental Barum, Gumárny Zubří, Gumotex, Kamax, Mubea, Plastika, Robert Bosch Česká republika, ZF Automotive Czech. Die Produktpalette, die sie in das Fahrzeug einbringen, reicht von Teilen des Bremssystems über Reifen, Schweißteile und Festigkeitsschrauben, Stoßstangenfüllungen bis hin zu Motorkomponenten, verschiedenen Fühlern, Sensoren, Sicherheitselementen sowie weiteren notwendigen Komponenten.
Karosseriezubehör, Scheinwerfer, Bremsen als Exportschlager
Aus keinem anderen Land importiert Deutschland einen so hohen Wert an Kfz-Teilen, -komponenten und -zubehör. Im Jahr 2019 waren es laut Eurostat fast 7 Milliarden Euro. Über 2 Milliarden Euro entfielen auf andere Karosserieteile und -zubehör. Dazu gehören zum Beispiel die textilen Auskleidungsteile für Interieur und Exterieur, die Borgers CS an BMW, Mercedes, Volkswagen oder Porsche liefert. Karosserien selbst fallen mit 38 Millionen Euro weniger ins Gewicht.
Den mit 1,7 Milliarden Euro zweithöchsten Wert bildet die Sammelkategorie andere Teile und Zubehör. Darunter finden sich Stabilisatoren und Achsfedern, wie sie etwa Mubea-HZP in Prostějov fertigt. Auch Kühler, Auspufftöpfe, Schaltkupplungen, Aluminiumräder und Lenkräder sind Teil dieser Kategorie, ebenso Stanz-, Guss-, Pressteile aus Metall sowie Kunststoffteile. Tschechien mit seiner langen Maschinenbau- und Stahlverarbeitungstradition ist ein gesuchter Auftragsfertiger von Präzisionsteilen nach Maß, wie sie etwa Kovolis Hedvikov, Isolit Bravo, Zeveta Bojkovice, Unex, Kovosvit oder GMA Kaplice anbieten.
Des weiteren importiert Deutschland aus Tschechien elektrische Beleuchtungs- und Signalgeräte, Scheibenwischer und -froster (722 Millionen Euro) sowie ihre Teile (53 Millionen Euro). Hier spielen die Scheinwerfer und Leuchten von Hella Mohelnice oder Marelli Automotive Lighting Jihlava eine Rolle. Es folgen Bremsen und ihre Teile (689 Millionen Euro) mit Herstellern wie Continental Automotive Czech oder Knorr-Bremse ČR. Vom Volumen her bedeutend sind auch Zündkabel- und andere Kabelsätze (416 Millionen Euro), Reifen für Pkw, Busse und Lkw (334 Millionen Euro), Schaltgetriebe (274 Millionen Euro), Triebachsen (122 Millionen Euro), Stoßstangen (111 Millionen Euro) oder Sitze (89 Millionen Euro). Ein wichtiger Lieferant von Vorder- und Rücksitzsystemen ist das Brose-Werk in Kopřivnice bei Ostrava.
Lieferkette funktioniert, steht aber unter Spannung
Im Covid-Jahr 2020 war Tschechien der Europäischen Automobilvereinigung ACEA zufolge nach Deutschland und Spanien wichtigster Pkw-Hersteller in der EU. Neben den drei Autoproduzenten stützen sich weitere OEM im Nutzfahrzeugbereich (Tatra Truck, Iveco Bus, SOR Libchavy, KHS, Panav, Schwarzmüller) auf das dichte Zuliefernetz. Die von der Wirtschaftsförderagentur CzechInvest geführte Zulieferdatenbank umfasst über 900 Unternehmen. Rund 290 liefern als TIER 1-Supplier den OEM direkt zu. Sie werden von etwa 350 TIER 2-Unternehmen mit Komponenten versorgt.
Verstärkt wird in die Automatisierung der Prozesse investiert. In solchen Projekten stehen zum Beispiel Bosch Group, Motor Jikov, Brisk Tábor. Auch werden häufig Lager ausgeweitet. Die Coronakrise mit Transport- und Lieferengpässen fordert mehr Puffer. Zentrales Thema bleibt die wachsende Ausrichtung auf alternative Antriebe, die sich auch in der Zulieferkette in Investitionen niederschlägt. Sollte das vom Volkswagenkonzern in Ostmitteleuropa geplante Batteriewerk in Tschechien entstehen, würden diese eine neue Dimension erreichen.
Im Frühjahr 2021 arbeitete die Industrie gut ausgelastet, aber unter der Anspannung der Covid-19-Lage, steigender Materialpreise und einer weniger stabilen Liefersituation. Als Sand im Getriebe machte sich die weltweite Halbleiterknappheit bemerkbar. Auch bei Vorprodukten für technische Kunststoffe wie zum Beispiel Polyoxymethylen (POM) führte Mangel zu Preissteigerungen.
Deutsche Einfuhr ausgewählter Kfz-Teile aus der Tschechischen Republik (in Mio. Euro, Veränderung in Prozent)
2010 | 2019 | Veränderung 2019/2010 | |
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SITC 778.3 Kfz-Elektrik | 299,1 | 811,3 | 171,2 |
SITC 784 Fahrgestelle, Karosserien, Stoßstangen etc. | 2.791,8 | 4.982,4 | 78,5 |
SITC 773.13 Zündkabelsätze | 275,5 | 416,2 | 51,1 |
SITC 713.2 Verbrennungsmotoren | 115,4 | 14,1 | -87,8 |
Summe | 3.481,8 | 6.224,0 | 78,8 |
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