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Saigon Skyline von Geschäfts-und Verwaltungsbezirk von Saigon | © Getty Images/Phung Huynh Vu Qui

Special Vietnam Wege aus der Coronakrise

Vierte Pandemiewelle erschüttert das Land

Vietnam steckt tief in seiner bisher mit Abstand schlimmsten Infektionswelle. Die Metropole Ho Chi Minh City ist mit mehreren Tausend Fällen pro Tag am stärksten betroffen.

Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Hanoi

  • Konjunktur und wichtigste Branchen

    Ein Neuausbruch mit Infektionszahlen in einer Höhe, die das Land bis jetzt nicht kannte, schockiert Vietnam. Die Produktion der Wirtschaft ist hart getroffen. (Stand: 19. August 2021)

    Vietnam steckt seit Ende April 2021 tief in einer vierten Coronawelle, deren Ausmaß die bisherigen bei weitem übertrifft. Im April und Mai waren vor allem Industrieparks in den nördlich von Hanoi gelegenen Provinzen Bac Ninh und Bac Giang betroffen und damit auch Standorte internationaler Elektronikkonzerne wie zum Beispiel Samsung. Aktuell leidet vor allem die Wirtschaftsmetropole Ho Chi Minh City im Süden des Landes unter sehr hohen Infektionszahlen.

    Immer mehr Firmen müssen die Produktion einstellen

    Große Teile des Landes, allen voran Ho Chi Minh City und die Nachbarprovinzen Long An, Binh Duong und Dong Nai, das zentralvietnamesische Danang, die Hauptstadt Hanoi sowie weitere Provinzen befinden sich im strikten Lockdown. Fabriken in von Infektionen betroffenen Gebieten dürfen nur noch produzieren, wenn sie in der Lage sind, Arbeiter auf dem Fabrikgelände zu beherbergen. Viele Unternehmen, so auch große Zulieferer von Firmen wie Nike, mussten ihre Fabriken schließen oder die Produktion drastisch herunterfahren.

    Die Immunisierung der Bevölkerung ist noch in den Anfängen. Erst knapp zwölf Prozent der Bevölkerung konnte bislang mit einer Erstimpfung versorgt werden. Noch mangelt es an Impfstoff, rund 19 Millionen Dosen wurden bis Anfang August im Wesentlichen aus Beständen der Initiative Covid-19 Vaccines Global Access (COVAX) sowie mittels internationaler Spenden geliefert. Die wichtigsten weltweit verwendeten Impfstoffe sind im Land mittlerweile zugelassen, selbst der chinesische Impfstoff Sinopharm. Aufgrund des in der Bevölkerung tief verankerten Misstrauens gegenüber China hatte die Regierung dessen Verwendung lange vermieden.

    Die Regierung bemüht sich unter Hochdruck, mehr Impfstoff über die COVAX-Initiative oder auf kommerzieller Basis zu bekommen. Zu diesem Zweck hat sie einen Fonds aufgelegt, über den sich Institutionen, Unternehmen und Bevölkerung an der Finanzierung des Einkaufs von Impfdosen beteiligen können. Zudem entwickelt das Land einen eigenen Impfstoff und hat sich als neuer Produzent für bereits existierende Vakzine ins Spiel gebracht. 

    Noch wächst die Wirtschaft

    Der Neuausbruch kommt in einer Phase, in der die Wirtschaft des Landes eigentlich wieder an Schwung zulegte. Aufgrund seiner Intensität und Dauer droht die aktuelle, durch die Delta-Variante getriebene Infektionswelle die wirtschaftliche Erholung des Landes abzuwürgen. Noch aber zeigen die wesentlichen wirtschaftlichen Indikatoren auf, wenn auch stockendes, Wachstum.

    So erzielte die vietnamesische Wirtschaft im 1. Halbjahr 2021 trotz massiver coronabedingter Beschränkungen seit April 2021 noch ein reales Wachstum  von 5,6 Prozent, allerdings vor dem Hintergrund einer außergewöhnlich schwachen 1. Vorjahreshälfte 2020.

    Erwartungen werden heruntergeschraubt

    Für das Gesamtjahr 2021 waren Prognosen wie die der Weltbank noch von einem Plus in Höhe von rund 6,5 Prozent ausgegangen. Allerdings dürfte diese Erwartungen angesichts des anhaltenden Infektionsgeschehens noch nach unten korrigiert werden. 

    Die Industrieproduktion konnte in den ersten sechs Monaten 2021 um 8,9 Prozent gegenüber dem schwachen ersten Vorjahreshalbjahr zulegen. Aufgrund der Einschränkungen in der Produktion erwarten Beobachter für das 3. Quartal 2021  allerdings Rückgänge.

    Die Produktionsstopps und durch Lockdowns bedingte Schließungen von Geschäften und Restaurants führen zu teilweise deutlichen Einkommensverlusten der Bevölkerung und einer geringeren Konsumnachfrage. Der Dienstleistungssektor, hier vor allem Tourismus, Gastronomie und Transport, ist nach einer Erholung zwischen Mai 2020 und April 2021 erneut eingebrochen. Selbst E-Commerce-Unternehmen können nur stockend von den Lockdowns profitieren. In den städtischen Zentren Hanoi und Ho Chi Minh City wurden Lieferdienste stark eingeschränkt.

    Vietnams Exporte, eine der wichtigsten Stützen der vietnamesischen Wirtschaft, stiegen nach Angaben von Vietnam Customs in den ersten sieben Monaten 2021 um deutliche 26,2 Prozent (nominale Veränderung gegenüber demselben Vorjahreszeitraum). Allerdings befürchten Beobachter, dass die durch ausländisch investierte Unternehmen getragenen Exporte in den kommenden Monaten schwächeln werden. Der Ausbruch des Virus in den südlichen Industrieprovinzen Binh Duong, Long An und Dong Nai, und die damit einhergehenden Produktionseinschränkungen für die dort tätigen Unternehmen können zu Verzögerungen bei Lieferketten, Produktion und Exporten führen.

    Ausländische Investitionen finden den Weg nach Vietnam  

    Ausländische Investitionen finden trotz der Pandemie ihren Weg nach Vietnam, verlieren allerdings an Dynamik. Die Anzahl der registrierten Neuprojekte fiel in den ersten sieben Monaten 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 38 Prozent. Wertmäßig steigerten sich die Neuprojekte allerdings um 7 Prozent. Zwar haben viele international tätige, insbesondere ostasiatischer Unternehmen angekündigt, Teile ihrer Produktion nach Vietnam zu verlagern. Andauernde coronabedingte Einschränkungen behindern aber die Umsetzung von Projekten. 

    Die Reisebranche und die Luftfahrt sind deutlich von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Der internationale Tourismus, ein wichtiger Wirtschaftszweig, ist seit dem 23. März 2020 komplett weggebrochen und wird, so Einschätzungen von Branchenkennern, nicht vor Ende 2022 wieder anlaufen.

    AHK unterstützt Unternehmen

    Die Auslandshandelskammer (AHK) Vietnam informiert auf ihrer Webseite über neue Entwicklungen. Auch steht sie Unternehmen weiterhin bei individuellen Problemen zur Verfügung und hilft mit ihrem Netzwerk bei der Erarbeitung praktikabler Lösungen.

    Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Hanoi

  • Konjunktur- und Hilfsprogramme

    Die Regierung fördert den Infrastrukturausbau. Die aktuelle Infektionswelle aber behindert die Planung und Umsetzung von Projekten. (Stand: 19. August 2021)

    Vietnams Regierung hat in der laufenden Infektionswelle neue finanzielle Hilfsprogramme für von der Krise betroffene Unternehmen und Bevölkerung aufgelegt. Von der Pandemie betroffene Provinzen haben darüber hinaus eigene Unterstützungspakete geschnürt. 

    Für Arbeitnehmer, die von coronabedingter zeitweiser oder dauerhafter Freistellung betroffen sind und auch für andere, pandemiebedingt notleidende Menschen hat die Zentralregierung ein Hilfspaket in Höhe von umgerechnet 1,1 Millionen US-Dollar (US$) auflegt. Betroffene können Einmal- oder fortlaufende Zahlungen von 250.000 Dong (umgerechnet 10,79 US$, 1 US$ = 23.170 Dong, VND) bis 3,7 Millionen Dong (159,69 US$) erhalten. Allerdings ist die Beantragung dieser Hilfsleistungen kompliziert und kann von einem Großteil der betroffenen Menschen nur schwer wahrgenommen werden.

    Unternehmen werden insbesondere durch Steuer- und Sozialversicherungsstundungen sowie zinsfreie Kredite zur Finanzierung der Lohnfortzahlung unterstützt. Das Gesamtpaket soll umgerechnet 877 Millionen US$ umfassen.

    Weitergehende zentralstaatliche Hilfen für stillgelegte oder anderweitig von der Pandemie betroffene Unternehmen gibt es zurzeit kaum. Dabei sind gerade in den von Infektionen betroffenen Gebieten die Anforderungen an die Produktion und damit die Produktionskosten massiv gestiegen. So dürfen Unternehmen in Ho Chi Minh City (HCMC) und den umliegenden Provinzen seit Anfang Juli die Produktion nur dann weiterlaufen lassen, wenn sie ihre Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände unterbringen können (Arbeiten, Essen, Schlafen im Betrieb, sogenannte "3 in 1-Lösung"). Die Kosten hierfür sind allerdings durch die Betriebe selbst zu tragen. Fabriken, die aufgrund ihrer Größe, Ausgestaltung oder Finanzkraft nicht in der Lage sind, die strikten Pandemieauflagen zu erfüllen, haben die Fabriktore geschlossen. Auch große Produzenten für Nike, Puma und Adidas sind von diesen zeitweisen Schließungen betroffen.

    Impfkampagne der vietnamesischen Regierung

    Mangels verfügbaren Impfstoffes lief das Impfprogramm der Regierung nur sehr langsam an. Die Regierung plant nun, bis Ende 2021 rund 50 Prozent der Bevölkerung mit Impfstoff versorgen zu können. Eine Immunisierung von 70 Prozent der Bevölkerung soll Ende des ersten Quartals 2022 erreicht werden. Zugelassen sind die Impfstoffe Biontech, Moderna, AstraZeneca, Johnson&Johnson, Sputnik V sowie Sinopharm.

    Banken schnüren Kreditpakete

    Zum 1. Oktober 2020 hat die Staatsbank die Kreditzinsen für Darlehen mit kurzer Laufzeit auf 4,5 Prozent herabgesetzt. Weitere Zinssenkungen sind allerdings nach Aussage der Staatsbank zurzeit nicht geplant, auch um Preissteigerungen nicht weiter zu befeuern. Auch die wichtigsten Banken und Finanzinstitute des Landes haben ihre Kreditzinsen für von der Pandemie betroffenen Unternehmen gesenkt und strukturieren laufende Kredite für aktuell notleidende, aber grundsätzlich gesunde Unternehmungen um.

    Infrastrukturausbau soll die Binnenkonjunktur anschieben

    Die Regierung will mit einem 2020 aufgelegten Konjunkturprogramm, formuliert in Direktive 11 der Regierung vom 4. März 2020, staatliche Investitionen beschleunigen und dadurch die Wirtschaft nach Bewältigung der aktuellen Krisensituation wiederbeleben.

    Vor allem der Infrastrukturbereich soll angeschoben werden. So gehen teilweise schon jahrelang verzögerte Großvorhaben wie der Ausbau des Long Thanh-Flughafen im Einzugsbereich von Ho Chi Minh City in die Umsetzung. Auch der Straßenbau wird vorangetrieben. Tatsächlich erhöhte die Zentralregierung im Jahr 2020 ihre Investitionen um knapp 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr und erreichte zuvor selten erzielte 91 Prozent der geplanten Jahresausgaben. In den ersten sieben Monaten 2021 lagen die zentralstaatlichen Investitionssteigerungen knapp 13 Prozent gegenüber dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Allerdings kommt es aufgrund der aktuellen Infektionswelle auch immer wieder zu Unterbrechungen am Bau und zur Verzögerung bei der Planung und Umsetzung neuer Projekte.

    Regierung will Verwaltung digitalisieren

    Außerdem treibt die Regierung gerade im Export- und Zollbereich den Bürokratieabbau voran, fördert die Digitalisierung der Verwaltung und unterstützt die Ausweitung des elektronischen Zahlungsverkehrs.

    Spezielle Förderprogramme für Einzelbranchen wie die Automobilindustrie sind Ende 2020 ausgelaufen. Die hohen Pandemiekosten in Form von Belastungen des Krankenversicherungssystems, Steuerausfällen, Unterstützungspaketen und Kosten für den Ankauf von Impfstoffen schränkt die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates ein. Daher dürfte die Regierung mit weitergehenden Sonderförderprogrammen zunächst zurückhaltend bleiben und sich eher auf die akute Krisenbewältigung fokussieren. 

    Lob von der Weltbank

    Die Weltbank qualifiziert die Reaktion der vietnamesischen Regierung als pragmatisch und weitsichtig zugleich. Die finanziellen Aufwendungen für die Krisenbewältigung lagen 2020 bei knapp einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und wurden durch den Notfallfonds der Regierung abgedeckt. Zwar dürften aufgrund der Intensität der aktuellen Welle die Kosten für die Bewältigung der Krise steigen, doch internationale Analysten sehen derzeit nicht die Gefahr einer coronabedingten Überschuldung. Die Bruttostaatsverschuldung wird 2021 nach Schätzungen von Deutsche Bank Research von Ende Juni 2021 mit 54,7 Prozent noch weit unterhalb der staatlichen Verschuldungsgrenze von 65 Prozent bleiben.

    Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Hanoi

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