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Branchen | Tschechische Republik | E-Commerce

E-Commerce in Tschechien wächst sprunghaft

Monatelange Lockdowns haben die Nutzung digitaler Absatzkanäle vorangetrieben. Tschechische Onlinedienstleister nutzen die günstige Stunde zur Expansion ins Ausland.

Von Miriam Neubert | Prag

Mit dem Slogan "Der frühe Vogel fängt das Hörnchen" wirbt der tschechische Onlinelebensmittelhändler Rohlík in München und Umgebung um die Voranmeldung von Kunden. Benannt nach dem beliebten gebogenen Brothörnchen, ist Rohlík.cz in Tschechien ein erfolgreicher elektronischer Supermarkt. Unter dem Namen Knuspr.de expandiert er im 2. Quartal 2021 nach Deutschland. Nach München sollen weitere deutsche Großstädte und Ballungszentren folgen.

Investoren stützen strategische Expansion

Das 2014 gegründete Startup-Unternehmen hat im Jahr 2020 seinen Umsatz mit 300 Millionen Euro mehr als verdoppelt und auch in seinem Heimatmarkt neben Prag, Brno und Ostrava neue Städte erschlossen. Es hat 750.000 Kunden in drei Märkten. Zu diesen gehört seit 2019 Ungarn (Kifli.hu) mit dem Startpunkt Budapest und seit Ende 2020 Österreich (Gurkerl.at) mit Wien. Das Kapital für die europäische Expansion kommt von einer ganzen Reihe von Investoren: Partech, Index Ventures, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, J&T Bank, Quadrille Capital, R2G, Enern. Satte 190 Millionen Euro brachte die Finanzierungsrunde ein. „Wir sind überzeugt, dass unsere Aktivitäten dem Markt einen Wachstumsschub verpassen und die Akteure des Einzelhandels aus der Reserve zwingen werden“, sagt Rohlík-Gründer und Geschäftsführer Tomáš Čupr selbstbewusst.

Wer als Unternehmen bereits digital aufgestellt war, gehörte zu den "frühen Vögeln", die von monatelangen Lockdowns, der Angst vor Ansteckung und zahllosen angeordneten oder freiwilligen Quarantänen profitieren konnten. Im Lebensmittelgeschäft hatten sich schon vor Corona in Tschechien besonders Rohlík.cz und sein Hauptkonkurrent Košík.cz mit Lieferungen bis vor die Haustür gut aufgestellt. Während der Pandemie erwiesen sie sich dann als treue Begleiter für viele Selbstisolierte. Mit der Betonung auf frischen Lebensmitteln, nationalen Herstellern, Produktinformationen, weniger Verpackung und intelligent auf die Kunden eingehenden Websites machen die beiden Online-Platzhirsche nicht nur einander Konkurrenz, sondern auch stationären Lebensmittelketten. Zwar gehörten Supermärkte und Discounter 2020 auch zu den Gewinnern. Doch mit den Onlinezuwächsen kann der Offlinehandel nicht mithalten.

E-Commerce als Rettung

Zu einer regelrechten Frage des Überlebens ist der E-Commerce für alle Einzelhändler von Warengruppen, die nicht zum Grundbedarf zählen, geworden. Dazu gehört der Handel mit Mode und Bekleidung, Büchern und Spielen, Elektronik und Gartenbedarf, Möbeln und Autos. In Folge der Coronawellen durften diese Einzelhändler in Tschechien ihre Kunden insgesamt fast neun Monate nicht oder nur punktuell in den Läden bedienen. Auch im April 2021 hatten viele Geschäfte ihre Pforten noch geschlossen.

Es blieb allein die Verlagerung des Geschäfts ins Internet. Gerade bei Einzelhandelsgeschäften mit eingeführten starken Marken und einem loyalen Kundenstamm hat sich der Onlineumsatz nach Schätzungen des E-Shop-Anbieters Shopsys im Schnitt verdoppelt. Shopsys spezialisiert sich mit Technologien und Know-how zum elektronischen Handel auf mittlere und große Handelsunternehmen, die sich digital transformieren und das physische wie digitale Einkaufserlebnis ihrer Kunden vereinheitlichen wollen.      

Onlinehandel wuchs 2020 um ein Viertel

Die Umsätze im Onlinehandel stiegen 2020 um 26 Prozent auf 196 Milliarden Tschechische Kronen (Kč; umgerechnet 7,4 Milliarden Euro) laut dem Verband für E-Commerce APEK und dem tschechischen Preisvergleichsportal Heureka.cz. Ihr Anteil an den Einzelhandelsumsätzen in Tschechien hat einen Sprung um 3 Prozentpunkte auf 16,2 Prozent gemacht. APEK-Direktor Jan Vetyška geht von weiteren Zuwächsen aus. „Die Entwicklung bringt sehr wahrscheinlich eine weitere Durchdringung des On- und Offlinehandels, und die Bestellungen an Waren des täglichen Bedarfs werden zunehmen“, beschreibt er die erwarteten Trends.

Nach vielen Monaten der Abstinenz wird die Sehnsucht nach einem haptischen Einkaufserlebnis Kundinnen und Kunden zurück in die Geschäfte strömen lassen - sobald der Lockdown aufgehoben ist. Viele haben schließlich nicht freiwillig online eingekauft. Doch könnten sie durch die Erfahrung auf den Geschmack gekommen sein. Darauf weist eine Umfrage der E-Shop-Plattform Shoptet hin. Demzufolge haben sich fast 40 Prozent der tschechischen Käufer derart an Onlinekäufe gewöhnt, dass sie sie auch in Zukunft bevorzugen werden. Nur ein Viertel sagt das von stationären Geschäften. Schon seit längerem gehören in TschechienHaushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Garten- und Haushaltsprodukte sowie Mode zu den beliebtesten Onlineprodukten. Infolge Corona trifft dies nun auch auf Lebensmittel, Drogeriewaren und Arzneimittel zu.

Virtueller Showroom bei Škoda Auto

Der Einkauf eines Autos hingegen gehört zu den außergewöhnlichen Anschaffungen einer Familie. Er geht in Tschechien normalerweise mit der persönlichen Augenscheinnahme einher. Durch die Schließung der Showrooms war das monatelang nicht möglich. Vor allem der Gebrauchtwagenhandel hat versucht, diese Lücke mit Onlinegeschäften zu schließen, ein Rückgaberecht nach 14 Tagen eingeschlossen. Doch entwickelt sich das Geschäft erst langsam. Den europäischen Gebrauchtwagenmarkt steuert die tschechische Startup-Firma Carvago an nach dem Motto „Wir bieten Autos mit wenigen Clicks“ und über 750.000 Fahrzeugen im Onlineangebot. Sie startete 2020 in Tschechien, der Slowakei und Deutschland und arbeitet über einen B2B-Marktplatz auch mit Händlern zusammen.

Sogar der Neuwagenhandel wird digitaler. Ende März 2021 stellten Škoda Auto DigiLab und das israelische Start-up Matter einen virtuellen Showroom vor. Diese Onlineplattform ist für Verkaufspartner modular ausbaufähig und umfasst Zusatzelemente wie erweiterte Realität. Kunden können die Autos betrachten, fast als wären sie persönlich zugegen. „Der virtuelle Showroom gibt einen Blick auf das, was die Zukunft für digitale Autoverkäufe bereithält“, sagt Martin Jahn, Škoda Auto-Vorstandsmitglied für Verkauf und Marketing.

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