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Special Vereinigtes Königreich Digitale Wirtschaft

Digital Health im Vereinigten Königreich: Marktzugang und Wettbewerb

Der britische Gesundheitsmarkt ist für deutsche Anbieter wegen seiner Marktgröße interessant. Die komplexe Beschaffungsstruktur des NHS erfordert Geduld bei der Marktbearbeitung.

Von Marc Lehnfeld | London

Marktzugang NHS: Komplexe Beschaffungsstruktur

Der größte Kunde auf dem britischen Markt für digitale Gesundheitslösungen ist zweifelsohne der öffentliche Gesundheitsdienst National Health Service (NHS). Das Problem dabei: Der NHS ist nicht zentral über das gesamte Königreich organisiert, sondern dezentral über seine Landesorganisationen in England, Schottland, Wales sowie Nordirland. Und auch innerhalb des größten Versorgers, NHS England, sind Struktur und Beschaffung sehr dezentral organisiert, was die Marktbearbeitung deutlich erschwert.

Das Potenzial hingegen ist groß: Bis zum Geschäftsjahr 2023/2024 steigt das Budget für den Gesundheitsdienst in England von derzeit rund 138 Milliarden Euro (2019/2020) jährlich um rund 5 Prozent auf circa 169 Milliarden Euro. Mittelaufstockungen sind nach der verheerenden Gesundheitskrise durch den Coronavirus nicht ausgeschlossen. 

Auch bei der IT-Beschaffung des NHS sind die Beschaffungsvolumen zwar beeindruckend, der Prozess hingegen komplex. Die Verbesserung der Kommunikationsinfrastruktur für rund 450 Millionen Pfund im GP IT Futures framework wird über einen qualifizierten Kreis von 69 Zulieferern abgewickelt. Die Modernisierung und Vereinheitlichung der Kommunikationsinfrastruktur mit Krankenhäusern, Ärzten und weiteren Einrichtungen für rund 700 Millionen Pfund wird im Health Systems Support Framework über ein ähnliches Vorqualifizierungsmodell abgewickelt. Über die öffentlichen Zuliefererlisten wird für die Wettbewerbsanalyse auch deutlich, welche Anbieter bereits an den NHS liefern.

Zulieferer können sich zwar auch direkt bei NHS Digital registrieren. Die Beschaffung digitaler Dienstleistungen und Produkte wird allerdings von den NHS Trusts und den regionalen Clinical Commission Groups (CCGs) eigenständig organisiert. Um den Marktbedarf und Beschaffungswege besser abschätzen zu können, lohnt sich die Vernetzung über die 15 regionalen Academic Health Science Networks (AHSN), die als regionale Forschungsnetzwerke die Akteure des Gesundheitswesens mit kommerziellen Anbietern und der öffentlichen Verwaltung verbinden. Ein Fokus liegt auf der Digitalisierung und der Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen im britischen Gesundheitswesen.

Wer von den öffentlichen Ausschreibungen für digitale Produkte und Dienstleistungen profitieren möchte, sollte sich intensiv mit der Szene vernetzen, um im richtigen Moment positioniert zu sein. Hilfreich ist dafür zum Beispiel das Health-Tech-Netzwerk South East Health Technologies Alliance (SEHTA), das regelmäßig Veranstaltungen offline und online organisiert sowie über die Beschaffungswege des NHS und Zulassungsvoraussetzungen informiert. 

Ausgewählte Digital-Health-Unternehmen im Vereinigten Königreich

Firma (Sitz)

Umsatz 2018 (in Millionen Euro)1,2)

Mitarbeiter

Schwerpunkt

EMIS Group (Leeds)

181,23)

1.666

Digitale Patientenakten, IT-Infrastruktur

The Phoenix Partnership (TPP, Leeds)

64,94)

165

EDV-Systeme (SystmOne)

IMS MAXIMS (Milton Keynes)

5,7

59

Software für digitale Patientenakten

Microtest Health (Bodmin)

k. A.

k. A.

GP Connect Anwendungen

Babylon Healthcare Services Limited (London)

5,6

261

Digitale Arztpraxis

BenevolentAI Limited (London)

7,7

146

KI-Unterstützung für Pharmaforschung

Totalmobile (Belfast)

14,73)

83

Software as a Service (SaaS)-Anwendungen für Gesundheitspersonal

1) falls nicht anders angegeben; 2) durchschnittlicher Jahreswechselkurs laut Deutsche Bundesbank 2018: 1 Euro = 0,88471 Pfund Sterling (£); 2019: 1 Euro = 0,87777 £; 3) Geschäftsjahr 2019; 4) Geschäftsjahr endend März 2019Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

Produktentwicklung über offene Programmierschnittstellen möglich

Wichtig beim Marktzugang sind außerdem die Kenntnisse über die benutzten Standards und Programmierschnittstellen (API) des NHS England.

  • Ausführliche Erklärungen zu den APIs, einschließlich Registrierung und Tutorials, veröffentlicht NHS Digital hier.
  • Für die digitalen Patientenakten sind diese Regelungen zu beachten. 
  • Der NHSX bündelt Informationen zu den benutzten Standards hier
  • Die rechtlichen Vorgaben zur Registrierung medizintechnischer Geräte fasst die zuständige Behörde Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) hier zusammen.
  • Für Softwareentwickler besonders wichtig ist dieses Schema, um einschätzen zu können, wann gesundheitsbezogene Anwendung unter die Zulassungspflicht für Medizintechnik fallen.

Unklar ist im Zuge des Brexits und der offenen Verhandlungen über ein britisch-europäisches Freihandelsabkommen noch, welche Zulassungsvoraussetzungen im Vereinigten Königreich ab dem 1. Januar 2021 gelten werden. Insgesamt sollten Entwickler für den britischen Markt den Code of Conduct for data-driven health and care technology des Gesundheitsministeriums beachten.

Um marktreifen Apps eine hohe Vertrauenswürdigkeit auf dem britischen Markt zu verleihen, können Unternehmen diese nach eingehender Prüfung in der App-Bibliothek des NHS listen lassen. Knapp hundert Programme sind auf der Plattform zu finden, die ihre Bewerbung auf der NHS Library in einem vierstufigen Prüfverfahren erfolgreich absolviert haben. Die externe Prüfung der App führt der private Anbieter Orcha für den NHS durch, darüber hinaus auch App-Reviews nach eigenen Qualitätsstandards.

Ausblick: Coronavirus beschleunigt Digitalisierung des NHS

Das britische Gesundheitssystem galt schon vor der Coronakrise als stark überlastet und wurde von der Pandemie härter getroffen als die Gesundheitssysteme der meisten europäischen Länder. Das umfangreiche E-Health-System des NHS hat durch die Krise eine noch größere Bedeutung bekommen. Die Akzeptanz der Bevölkerung für digitale Lösungen wird im Zuge der aufgestauten Terminlast zunehmen.

Noch können Gesundheitsdaten von Drittanbietern nicht in die digitale Patientenakte eingespeist werden. Eine solche Öffnung der Akte für Datenimporte wird aber seit 2015 angestrebt. Dafür steht die nötige datenschutzrechtliche Gesetzgebung noch aus. Allerdings werden Patienten- und Gesundheitsdaten schon in anonymisierter Form für die kommerzielle Forschung genutzt, vor allem mithilfe künstlicher Intelligenz. Die Rahmenbedingungen und Projektbeispiele, unter anderem mit Amazon Alexa und Googles DeepMind, fasst dieses Briefingdokument des britischen Unterhauses zusammen.

Marktzugang NHS: Kontaktadressen

Bezeichnung

Anmerkung

NHS England

Landesorganisation des öffentlichen Gesundheitsdienstes für England

HSC Northern Ireland

Landesorganisation des öffentlichen Gesundheitsdienstes für Nordirland

NHS Scotland

Landesorganisation des öffentlichen Gesundheitsdienstes für Schottland

NHS Wales

Landesorganisation des öffentlichen Gesundheitsdienstes für Wales

NHS Trusts

Übersicht aller Organisationseinheiten des NHS

Clinical Commission Groups (CCGs)

Übersicht aller CCGs

Academic Health Science Networks (AHSN)

Regionale Forschungsnetzwerke

South East Health Technologies Alliance (SEHTA)

Health-Tech Netzwerk

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