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Baugewerbe trägt die Erholung der Wirtschaft

Argentiniens Bauwirtschaft erlebt eine V-förmige Erholung. Doch der Boom kleiner Bau- und Renovierungsmaßnahmen flacht ab. Investoren suchen Nischen für die Flucht in Sachwerte.

Von Carl Moses | Buenos Aires

Argentiniens Bauwirtschaft war vom Corona-Lockdown ab März 2020 zunächst besonders hart getroffen. Für einige Wochen wurde die Bauaktivität komplett untersagt. In der 2. Jahreshälfte 2020 erlebte die Baubranche nach einem starken Absturz einen raschen Aufschwung: Der vom Statistikinstitut Indec ermittelte Indikator für die Bautätigkeit (ISAC) zeigte im Februar 2021 nach langer Rezession den vierten Anstieg in Folge gegenüber dem Vorjahr. In den ersten beiden Monaten 2021 weist der ISAC eine Steigerung der Bauaktivität um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Der von führenden Bauzulieferern ermittelte Construya-Index, der vor allem die private Bautätigkeit reflektiert, bewegt sich nach einer steilen Zunahme zur Jahresmitte 2020 seit Monaten seitwärts, liegt aber um 25 Prozent über dem Niveau vor Ausbruch der Pandemie.

Das Wachstum der Baubranche ist bisher allerdings sehr selektiv. Viele Argentinier versuchen durch den Kauf von Ziegeln, Farben und Zement ihre Pesos vor Abwertung und Inflation zu schützen. Vor allem kleine private Bau- und Renovierungsprojekte kamen daher rasch in Schwung, als Abwertung und Inflation ab Mitte 2020 wieder anzogen. Große gewerbliche Bauvorhaben kommen dagegen nur sehr langsam wieder in Fahrt. Denn die Aussichten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sind sehr ungewiss, die Finanzierungskosten für Investitionen dagegen nahezu prohibitiv hoch. Investoren sind jedoch stets auf der Suche, ihre Geld- zu Sachvermögensbeständen umzuschichten. Hoch im Kurs steht der Bau von Parkhäusern und Garagen, da die Menschen den öffentlichen Nahverkehr scheuen. 

Viele Projekte, aber wenig Geld

Im Vorfeld der Teilwahlen zum Parlament im Herbst 2021 überschlägt sich die Regierung mit der Ankündigung von Projekten, Bau- und Kreditprogrammen. Höhere öffentliche Investitionen und subventionierte Baukredite sollen den Aufschwung festigen. Der Gesamtwert der öffentlichen Ausschreibungen hat sich im 1. Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahr etwa vervierfacht. Fraglich ist jedoch, inwieweit die sehr begrenzte Finanzkraft des Staates die Umsetzung all dieser Projekte zulassen wird. Der Staatshaushalt steckt tief im Defizit, der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt ist faktisch versperrt, auch auf dem kleinen lokalen Kapitalmarkt wird der Spielraum für die Kreditaufnahme immer enger.

Die private Baunachfrage dürfte trotz der Abschwächung des Aufschwungs eine Stütze der Konjunktur bleiben. Viele Argentinier verfügen über hohe Dollarrücklagen, die für Bauprojekte eingesetzt werden können, wenn die Baukosten auf Dollarbasis niedrig sind und auf dem Parallelmarkt hohe Aufschläge auf den offiziellen Kurs für Devisen gezahlt werden. Dies war 2020 in extremer Weise gegeben. So wurde auf dem Parallelmarkt zeitweise mehr als das Doppelte des offiziellen Kurses für den US-Dollar bezahlt. Die Baukosten sackten in US-Dollar gerechnet auf historische Tiefstände.

Baukosten ziehen wieder an

Seit Oktober 2020 hat die Tendenz jedoch gedreht. Die Baukosten auf US-Dollarbasis sind seither um 45 Prozent gestiegen. Die Differenz zwischen dem offiziellen und den verschiedenen Parallelen Dollarkursen ist demgegenüber auf etwa 60 Prozent gesunken. Der Anreiz, Dollarersparnisse und laufende Peso-Überschussliquidität in Immobilien zu investieren, ist damit geringer geworden, aber immer noch vorhanden. Vor allem die Arbeitskosten am Bau sind weiterhin sehr günstig. Materialien sind dagegen deutlich stärker als die allgemeine Inflation im Preis gestiegen.

Der von der Universität UTDT ermittelte Index für das Konsumentenvertrauen fällt tendenziell bereits seit zwei Jahren. Im April 2021 war er um 10 Prozent niedriger als in der härtesten Phase des Lockdowns, ein Jahr zuvor. Der Index für die Bereitschaft, eine Wohnung oder ein Auto zu erwerben, war im April dagegen dreimal so hoch wie im Vorjahr, auch wenn der Wert gegenüber dem Vormonat um 6 Prozent nachgab.

Der Immobilienmarkt, der 2020 fast völlig zusammengebrochen war, erholt sich mit hohen Zuwächsen von sehr niedrigem Niveau. Die Nachfrage unterliegt gegensätzlichen Einflüssen. Die laufenden Einkommen sinken in realer Betrachtung bereits seit drei Jahren und zeigen auch im bisherigen Jahresverlauf 2021 keine Anzeichen einer Erholung (negativer Einkommenseffekt). Doch die umfangreichen Dollarrücklagen der Argentinier haben derzeit im historischen Vergleich einen relativ hohen Wert (positiver Vermögenseffekt). Zudem sucht der kleine Teil der argentinischen Haushalte, der am Monatsende noch Geld übrig hat, nach Anlagen, die einen Schutz vor Inflation und Abwertung des Pesos bieten. Große Hoffnungen setzen Staat, Immobilienentwickler, Broker und Bauunternehmen zudem in eine neue Steueramnestie für Personen, die im Ausland geparkte Schwarzgelder erklären und in Bauprojekte investieren.

Neuer Lockdown bisher vermieden

Bei der jüngsten Verschärfung der Corona-Restriktionen im April 2021 wurde das Baugewerbe weitgehend ausgespart. Alles deutet daraufhin, dass die Regierung wenn irgend möglich verhindern will, eine so tragende Säule der Wirtschaft abermals in einen Lockdown wie 2020 zu schicken. Trotz der starken neuen Welle von Covid-19-Infektionen und Todesopfern hat bisher lediglich die Hauptstadt Buenos Aires Anfang Mai vorläufig die Arbeiten an Bauprojekten für mehr als 2.500 Quadratmeter Fläche untersagt. Die Gewerkschaft der Bauarbeiter Uocra protestierte gegen diese Verfügung der Stadtregierung. Durch die strengen Hygienevorschriften, die zum Anstieg der Baukosten beigetragen haben, sei die Arbeit am Bau trotz Covid-19 sicher.

In der Bauwirtschaft arbeiten nach Angaben des Statistikinstituts Indec lediglich 38 Prozent der Beschäftigten in offiziell registrierten Arbeitsverhältnissen. Angesichts des hohen Anteils der informellen Beschäftigung hätte eine erneute Schließung der Baustellen sozial besonders gravierende Auswirkungen. In der Staatskasse fehlt zudem das Geld für die abermalige Finanzierung von Lohnzuschüssen und Sozialhilfen, wie sie 2020 gezahlt wurden. 

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