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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | China | Lohn- und Lohnnebenkosten
Zur Entlastung der Firmen senkt China temporär die Arbeitgeberanteile verschiedener Sozialversicherungsbeiträge. Schon länger klagen Unternehmen über hohe Lohnnebenkosten.
15.04.2020
Von Stefanie Schmitt | Beijing
Es waren in der Vergangenheit nicht allein die steigenden Gehaltsansprüche ihrer Mitarbeiter, die den Budgetplanern in Unternehmen in der Volksrepublik mitunter starke Bauchschmerzen bereiteten. Hinzu kamen die im Vergleich zu Deutschland hohen Lohnnebenkosten. Allein die Arbeitgeberanteile an den Sozialabgaben bewegten sich Anfang April 2020 je nach Standort und Einstufung zwischen 26,03 Prozent in Guangzhou und dem Spitzenwert von 41,5 Prozent in Beijing (Betrachtung ausgewählter Städte in der Tabelle).
Stadt | Untergrenze | Obergrenze | zuletzt festgesetzt am |
---|---|---|---|
Beijing | RV, AV: 3.613 AUV: 4.713 KV: 5.557 | RV, AV, AUV: 23.565 KV: 27.786 | 1.7.19 |
Tianjin | 3.364 | 17.613 | 1.7.19 |
Shanghai | 4.699 | 23.496 | 1.4.19 |
Chongqing | 3.282 | 16.407 | 1.1.19 |
Nanjing | 3.368 | 16.842 | 1.7.19 |
Hangzhou | 3.321,6 | 16.608 | 1.7.19 |
Wuhan | 3.739,8 | 18.699 | 1.7.19 |
Chengdu | RV: 2.697 Sonstige: 3.236 | 16.179 | 1.5.19 |
Guangzhou | RV: 3.803 KV: 5.592 AV, AUV: 2.100 | RV: 19.014 Sonstige: 27.960 | 1.7.19 |
Qingdao | 3.269 | 16.346 | 1.1.19 |
Schon 2019 hatte die Politik deshalb angesichts der sich abflachenden Wirtschaftsentwicklung verschiedene Schritte eingeleitet, um Arbeitgeber zu entlasten. In Zeiten der Coronakrise wurden weitere, allerdings zeitlich befristete Hilfsmaßnahmen ergriffen. Hierzu zählen die Halbierung der Arbeitgeberanteile für die Krankenversicherung ab Februar bis einschließlich Juni 2020 (für alle sozialversicherungspflichtig registrierten Arbeitnehmer) und die Halbierung der Arbeitgeberanteile für die Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung ab Februar bis einschließlich April 2020.
Eine Verlängerung der oben genannten Maßnahmen ist – je nach Stand der Entwicklungen – nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus werden diese Stützungsmaßnahmen mitunter von regionalen Bestimmungen flankiert. Beispielsweise gilt für Shanghai, dass bei einer nicht rechtzeitigen Zahlung der fälligen Sozialbeiträge, sofern diese nachträglich beglichen werden, kein negativer Eintrag in das im Rahmen des Corporate Social Credit System geführte Punktekonto des Unternehmens erfolgt.
Generell besitzt China ein komplexes und sich regelmäßig änderndes Sozialversicherungssystem. Maßgeblich ist das seit dem 1. Juli 2011 geltende Social Insurance Law. Es umfasste bisher die fünf Komponenten Krankenversicherung (KV), Arbeitslosenversicherung (AV), Mutterschaftsgeld (MV), Arbeitsunfallversicherung (AUV) sowie Rentenversicherung (RV). Zum 1. Januar 2020 trat eine Durchführungsbestimmung in Kraft, nach der die Basiskrankenversicherung und die Mutterschutzversicherung zusammengelegt wurden. Die bisherige Mutterschutzabgabe wird seither nicht mehr als eigenständige Versicherung geführt.
Die Höhe der jeweiligen Beiträge und deren Aufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind lokal unterschiedlich geregelt und variieren stark. Des Weiteren ist der Arbeitgeber verpflichtet, Beiträge an einen Wohnungsfonds zu zahlen. Die Einführung einer Pflegeversicherung wird bislang in 15 Pilotstädten ausprobiert (beispielsweise in Shanghai, Qingdao und Suzhou). Einen Zeitplan für eine landesweite Einführung gibt es noch nicht. Der höchste Beitragssatz ist, sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer, für die Rentenversicherung zu entrichten.
Stadt | Arbeitgeberanteil | Arbeitnehmeranteil | zuletzt festgesetzt am |
---|---|---|---|
Beijing, Tianjin, Shanghai, Chongqing, Nanjing, Wuhan, Chengdu, Qingdao | 16 | 8 | 1.5.19 |
Guangzhou | 14 | 8 | 1.1.15 |
Hangzhou | 14 | 8 | 1.7.13 |
Beim Krankenversicherungsanteil besteht eine große Diskrepanz zwischen den deutlich höheren Arbeitgeber- und den viel niedrigeren Arbeitnehmeranteilen. Überdies schließen viele Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter Zusatzversicherungen ab.
Stadt | Arbeitgeberanteil | Arbeitnehmeranteil | zuletzt festgesetzt am |
---|---|---|---|
Hangzhou | 11,7 | 2 (+ 4 RMB) | 1.1.20 |
Beijing | 10,8 | 2 (+ 3 RMB) | 1.1.20 |
Shanghai | 10,5 | 2 | 1.1.20 |
Tianjin | 10,5 | 2 | 1.6.19 |
Nanjing | 9,8 | 2 (+ 10 RMB) | 1.1.20 |
Qingdao | 9,5 | 2 | 1.1.20 |
Wuhan | 8,7 | 2 (+ 7 RMB) | 1.1.20 |
Chongqing | 8,0 | 2 (+ 5 RMB) | 1.7.17 |
Chengdu | 7,3 | 2 | 1.1.20 |
Guangzhou | 6,35 | 2 | 1.1.20 |
Die Arbeitslosenversicherung macht dagegen nur einen geringen Prozentsatz aus.
Stadt | Arbeitgeberanteil | Arbeitnehmeranteil | zuletzt festgesetzt am |
---|---|---|---|
Guangzhou | 0,48; 0,64; 0,8 | 0,2 | 1.7.19 |
Beijing | 0,8 | 0,2 | 1.5.16 |
Qingdao | 0,7 | 0,3 | 1.1.17 |
Wuhan | 0,7 | 0,3 | 1.5.16 |
Chengdu | 0,6 | 0,4 | 1.5.16 |
Hangzhou | 0,5 | 0,5 | 1.5.17 |
Tianjin | 0,5 | 0,5 | 1.4.17 |
Shanghai, Nanjing | 0,5 | 0,5 | 1.1.17 |
Chongqing | 0,5 | 0,5 | 1.5.16 |
Die Beitragshöhe der Unfallversicherung variiert je nach Berufsgruppe: je gefährlicher, desto höher der Satz.
Stadt | Arbeitgeberanteil | Arbeitnehmeranteil | zuletzt festgesetzt am |
---|---|---|---|
Shanghai | 0,16 bis 1,52 | - | 1.5.19 |
Chongqing | 0,3; 0,6; 0,9; 1,1; 1,3; 1,6; 1,9; 2,2 | - | 1.1.17 |
Nanjing | 0,2; 0,4; 0,7; 0,9; 1,1; 1,3; 1,6; 1,9 | - | 1.1.16 |
Beijing, Tianjin, Chengdu | 0,2; 0,4; 0,7; 0,9; 1,1; 1,3; 1,6; 1,9 | - | 1.10.15 |
Guangzhou | 0,2; 0,4; 0,7; 0,9; 1,1; 1,2; 1,3; 1,4 | - | 1.7.19 |
Wuhan | 0,1; 0,2; 0,35; 0,45; 0,55; 0,65; 0,8; 0,95 | - | 1.5.18 |
Hangzhou | 0,2; 0,3; 0,5 | - | 1.5.18 |
Qingdao | 0,05; 0,1; 0,18; 0,23; 0,28; 0,33; 0,4; 0,48 | - | 1.1.19 |
Den jeweiligen Prozentsatz zum Wohnungsfonds (Housing Fund) können Unternehmen in einer vorgegebenen Spannbreite zum Teil selbst bestimmen.
Stadt | Arbeitgeberanteil | Arbeitnehmeranteil | zuletzt festgesetzt am |
---|---|---|---|
Hangzhou | 12 | 12 | 1.7.13 |
Dalian | bis 12 | bis 12 | 1.5.16 |
Nanjing, Suzhou | 8 bis 12 | 8 bis 12 | 1.7.13 |
Chengdu | 6 bis 12 | 6 bis 12 | 1.7.14 |
Wuhan | 5 bis 12 | 5 bis 12 | 1.10.18 |
Beijing, Chongqing, Guangzhou, Qingdao | 5 bis 12 | 5 bis 12 | 1.5.16 |
Tianjin | 11 | 11 | 1.7.13 |
Shanghai | 7 | 7 | 1.7.13 |
Grundsätzlich besteht eine Versicherungspflicht für ausländische Arbeitnehmer. Verstöße können mit empfindlichen Geldbußen geahndet werden; Ausnahmen sind basierend auf bilateralen Abkommen möglich. Das deutsch-chinesische Sozialversicherungsabkommen von 2002 umfasst Regelungen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung und sieht eine Befreiung von der Versicherungspflicht vor, sofern der Arbeitnehmer in seinem Heimatland versicherungspflichtig ist und Beiträge leistet. In der Regel greift das Doppelversicherungsabkommen nur im Falle einer förmlichen Entsendung und bei Ausnahmevereinbarungen und Anstellungen von Tochtergesellschaften.
Derzeit hat China bereits mit elf Ländern (neben Deutschland auch mit Südkorea, Dänemark, Kanada, Finnland, Schweiz, der Niederlande, Frankreich, Spanien, Luxemburg und Japan) Sozialversicherungsabkommen unterzeichnet. Für Einwohner Hongkongs, Macaus und Taiwans gelten die zum 1. Januar 2020 in Kraft getretenen „Vorläufigen Maßnahmen zur Teilnahme an der Sozialversicherung auf dem chinesischen Festland“.
Die Versicherungspflicht für ausländische Arbeitnehmer wird regional sehr unterschiedlich umgesetzt, in Beijing beispielsweise sehr strikt. Dagegen bietet Shanghai ausländischen Beschäftigten die Teilnahme am chinesischen Versicherungssystem auf Basis einer lokalen Regelung nur als Option an. Infolgedessen nimmt de facto der Großteil der Betroffenen davon Abstand, so ein Vertreter von Taylor Wessing in Shanghai. In der Praxis stellt sich die Rückzahlung von ersparten Anwartschaften beim dauerhaften Verlassen Chinas als komplex dar, insbesondere eine Überweisung ins Ausland.