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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | China | Lieferketten
Die Entkopplung der beiden Länder USA und China gefährdet immer stärker Lieferketten europäischer Firmen. Daher warnt die Europäische Handelskammer in China vor hohen Kosten.
22.01.2021
Von Corinne Abele | Shanghai
„Europäische Unternehmen sollten sich gut anschnallen und auf das Schlimmste vorbereiten.“ Diesen Weckruf richten die Autoren der Decoupling-Studie der European Chamber of Commerce in China (EUCCC) in Zusammenarbeit mit dem Mercator Institute for China Studies (Merics) an Unternehmen, aber auch Politiker. In der Mitte Januar 2021 veröffentlichten Untersuchung gehen sie den Auswirkungen von Decoupling auf europäische Firmen und ihr Chinageschäft nach - und zwar in den Bereichen Makroökonomie, Handel, Innovation und Digitalisierung. Dabei steht Decoupling für die Entkopplung von und durch China.
In einer Umfrage durch die EUCCC vom September 2020 unter 120 Mitgliedern in China sahen 51 Prozent bereits negative bis stark negative Auswirkungen durch Decoupling, während 72 Prozent dies künftig erwarten.
China und die USA verfolgen die wirtschaftliche Entkopplung voneinander mit unterschiedlichen Maßnahmen. Während die USA chinesische Technologie aus ihren Lieferketten ausschließen wollen, baue China mithilfe staatlicher Förderung nationale Champions für ein eigenes Ökosystem auf - mit einheimischer, über den gesamten Markt hinweg integrierter Technologie. Zwar verfolge China seit Jahren größere Unabhängigkeit bei kritischen Technologien und die eigene Dominanz in Industrien mit hoher Wertschöpfung. In der Studie ist nun aber von neuer Radikalität die Rede.
Dabei können die Auswirkungen auf einzelne Branchen sehr unterschiedlich ausfallen. In der EUCCC-Umfrage vom September 2020 bewerteten 85 Prozent der Firmen die Entwicklungen im Digital- und Telekommunikationsbereich als negativ, gefolgt von 76 Prozent im Bereich Daten und 76 Prozent im Finanzbereich.
Die zunehmende Divergenz der Technologie-Ökosysteme der USA und China gleicht nach Darstellung von EUCCC-Mitgliedern einem Sumpf. Direkte Markzugangshindernisse wie Negativlisten und nationale Sicherheitsmaßnahmen werden durch indirekte Hindernisse wie nationale Standards oder Lizenzanforderungen ergänzt. Die Studie, betonte EUCCC-Präsident Jörg Wuttke auf der Pressekonferenz, wolle auch darauf hinwirken, dass Administrationen in China und in den USA erkennen, wie schädlich Decoupling für die Wirtschaft sei. Regierungen sollten auf Ausstiegsmöglichkeiten hinarbeiten, in pluri- und multilaterale Rahmen zur Regulierung divergierender digitaler Welten investieren und Interoperabilität sowie Konnektivität erhöhen.
Im Bereich Daten und Standards sieht die EUCCC die größte Gefahr. Bereits jetzt beeinflussten unterschiedliche Definitionen und Interpretationen von Daten (und entsprechende regulative Rahmen) den Geschäftsbetrieb von 82 Prozent der befragten Unternehmen negativ. Restriktive Regelungen für den Umgang mit persönlichen Daten (die vor allem den Cross-Border-Transfer betreffen) haben bei 34 Prozent der Unternehmen dazu geführt, neue Produkte, Dienstleistungen oder Projekte zu überdenken; 19 Prozent haben neue Produkte, Projekte und Dienstleistungen bereits aufgeschoben oder aufgegeben.
Die Entkopplung im digitalen und Internetbereich trifft Unternehmen unterschiedlich. Einerseits stehen hoch zentralisierte IT-Systeme der multinationalen Unternehmen zwar dualen kostspieligen Systemen diametral entgegen. Anderseits sind sie in der Lage, deren Aufbau - falls nötig - finanziell zu stemmen. Kleine Firmen oder Firmen mit kleiner Präsenz in China könnten jedoch durch die zusätzlichen Kosten nach Ansicht von Wuttke gezwungen sein, den chinesischen Markt zu verlassen.
Gerade im digitalen Bereich treibt China zunehmend eigene Standards voran. Zwar sei das steigende Engagement chinesischer Unternehmen in internationalen Standardisierungsgremien prinzipiell der richtige Weg, erklärte Wuttke. Allerdings präsentierten sich diese vereint und schlössen sich im Vorfeld hinter den Kulissen zusammen, um genehme Standards durchzusetzen. „Europa muss sich mehr um die Koordination seiner Unternehmen kümmern“, forderte Wuttke daher auf der Pressekonferenz, „und diesen mehr Ressourcen für Standardisierung zur Verfügung stellen.“
Die EUCCC-Studie macht deutlich, dass es bei Decoupling um weitaus mehr geht als Lieferketten. Gerade im Innovationsbereich führe die neue Patchwork-Globalisierung dazu, dass Forschungs- und Entwicklungskosten in die Höhe schnellen. Dabei sei die Entkopplung vor allem in sensitiven Bereichen (beispielsweise Steuerungschips, Halbleiter, künstliche Intelligenz, Sensortechnologie) deutlich schmerzhafter. Die Exportkontrollregime der USA sowie Chinas hätten diese sensiblen Bereiche im Visier.
So könnten beispielsweise von europäischen Firmen mit chinesischer Software entwickelte Lösungen im Bereich autonomes Fahren möglicherweise nicht in die USA geliefert werden. Dabei sind gerade bei digitalen Lösungen europäische Unternehmen in verschiedenen Branchen zunehmend auf die Kooperation mit chinesischen Champions wie Tencent, Alibaba und Huawei angewiesen. Vor allem in für China strategisch wichtigen und innovativen Segmenten bleiben Marktzugang und Geschäftstätigkeit beschränkt.
Importanteil | Anteil der befragten Unternehmen (Komponenten) | Anteil der befragten Unternehmen (Anlagen) |
---|---|---|
0 | 6,7 | 20,0 |
1-5 | 33,3 | 20,0 |
6-15 | 33,3 | 20,0 |
16-25 | 6,7 | 6,7 |
26-50 | 6,7 | 6,7 |
51-75 | 6,7 | 13,3 |
>76 | - | 13,3 |
Generell produzieren die meisten europäischen multinationalen Unternehmen "in China für China" und haben seit Jahren ihre Lieferketten im Land vervollständigt – teilweise zu 80 bis 90 Prozent. Mittelständische Firmen sind hingegen vergleichsweise stärker auf Lieferanten und Kunden außerhalb Chinas angewiesen, so die Europäische Handelskammer. Wuttke rät daher den Unternehmen, gemeinsam mit ihren Kunden nach möglichen Lösungen zu suchen. Um eine globale Strategie zur Abmilderung der Abkopplungseffekte zu entwickeln, ist laut EUCCC die Einrichtung einer Taskforce im Headquarter des Mutterhauses notwendig. Kosten/Vorteile einer Strategie dualer Systeme oder einer flexiblen Architektur müssten bei künftigen Entwicklungsstrategien berücksichtigt werden.