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Wirtschaftsumfeld | China | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Geschlechtsspezifische Diskriminierungen sind im Reich der Mitte verboten, aber in der Realität nicht selten. Firmen sollten ihre Bewerbungsverfahren entsprechend überprüfen.
08.05.2020
Von Stefanie Schmitt | Beijing
„Frauen tragen die Hälfte des Himmels“, sagt ein chinesisches Sprichwort. Mit Blick auf den hiesigen Arbeitsmarkt stimmt das nicht ganz: Der Anteil der weiblichen Erwerbstätigen an der Gesamterwerbstätigenzahl der Volksrepublik lag 2019 laut Weltbank bei 43,7 Prozent. Zwischen 1990 und 2019 sank zudem der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtzahl der Frauen im erwerbstätigen Alter von 73,2 auf 60,5 Prozent.
In Beijing waren 2019 rund 52,4 Prozent der Universitätsabsolventen weiblich, landesweit betrug ihr Anteil 2018 (jüngste verfügbare Zahl) 49,6 Prozent. Obwohl der Frauenanteil seit Jahren steigt, waren beispielsweise 2019 nur 9,7 Prozent aller Vorstandsvorsitzenden börsengelisteter chinesischer Unternehmen weiblich.
„Allerdings haben wir nicht das Gefühl, dass in China – zumindest in unseren Kundenfirmen – jemand an der Qualifikation weiblicher Führungskräfte zweifelt. Chefinnen werden allgemein gut akzeptiert und stehen nicht selten im Ruf, sehr tough zu sein“, so Miriam Wickertsheim, Geschäftsführerin der Personalvermittlungsgesellschaft Direct HR Group in Shanghai. „Die meisten unserer Kunden kommen aber aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz, wo ein anderes Verständnis für Gleichberechtigung herrscht als etwa in vielen lokalen Firmen oder solchen aus Japan oder Taiwan.“
Laut dem World Economic Forum verdienten Frauen 2019 für die gleiche Arbeit bei vergleichbarer Qualifikation und Arbeitserfahrung durchschnittlich 36 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Der Indexwert lag bei 0,643, wobei 0 für völlige Ungleichbehandlung und 1 für völlige Gleichbehandlung steht. Höhere Gehaltsunterschiede bestehen vor allem in kleineren Städten.
Erstmals wurde dieser Wert auch im Labor Market & Salary Report 2019/2020 der Deutschen Handelskammer in China abgefragt. Demnach kamen die befragten Firmen auf 0,798. Damit hätten sie laut Direct HR Group, welche die Umfrage durchführte, im internationalen Vergleich auf Rang sechs gelegen (Deutschland: Rang 33, Wert 0,717).
Im Ranking des 2019 publizierten Global Gender Gap Reports 2020 des World Economic Forum kam das Reich der Mitte nur noch auf Platz 106 von 153 Ländern (2016: Rang 99) – mit sich weiter verschlechternder Tendenz. Als Hauptgründe nannte die Studie wenige Arbeitsmöglichkeiten für Frauen bei einer gleichzeitig immer ungerechteren Bezahlung, fehlende Optionen bei der Versorgung von Kindern und der Pflege älterer Menschen sowie eine Renaissance traditioneller Verhaltensmuster und der Rolle der Frau.
Nach einer 2019 veröffentlichten Umfrage des National Bureau of Statistics verbringen chinesische Frauen pro Tag 3,8 Stunden mit unbezahlter Arbeit im Haushalt, Essenseinkäufen oder Kinderbetreuung und nur 3,6 Stunden mit bezahlten Tätigkeiten. Bei Männern beträgt das Verhältnis 1,5 (unbezahlt) zu 5,3 Stunden (bezahlt). Des Weiteren berichten chinesische Medien über die zunehmend schwierige Situation von Frauen im gebärfähigen Alter. Viele Firmen vergeben die Stelle lieber an einen Mann, da sie Schwangerschaftsausfälle fürchten – ein Umstand, der sich mit der neuen Zwei-Kind-Politik verschärft hat. Hinzu kommt, dass Angestellte während ihrer Schwangerschaft und im ersten Jahr nach der Geburt unkündbar sind.
Auch nach Erfahrungen von Wickertsheim werden Kandidatinnen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren oft nach der Familienplanung gefragt. Bewerberinnen mit Kind, sofern es älter als drei oder vier Jahre alt ist, würden aber eigentlich nie abgelehnt, denn das chinesische System der Kindererziehung durch die Großeltern sei allgemein anerkannt und bewährt.
„Ich denke, dass mehr als 75 Prozent aller Damen nach dem Kind innerhalb von vier bis sechs Monaten wieder zur Arbeit kommen. Den klassischen Karriereknick wie in Deutschland sehen wir nur selten – und dann eigentlich nur in Familien, denen es finanziell sehr gut geht; die Frau es sich also aussuchen kann,“ sagt Wickertsheim. „Wir haben auch nicht den Eindruck, dass Gehaltswünsche von Frauen mehr nach unten gedrückt werden als die männlicher Kandidaten. Andererseits sind Männer nach wie vor eher bereit zu Überstunden, langen und häufigen Geschäftsreisen oder auch zur Übernahme riskanter Jobs. Dies zeigt sich eben auch am Gehalt. Es geht hier eher um das Wollen und weniger um das Können.“
Grundsätzlich ist geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz in China schon seit langem verboten, so Philip Lazare, Partner der Kanzlei Luther in Shanghai. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Nach wie vor finden sich Stellenanzeigen, in denen ein attraktives Äußeres oder ein aggressives Auftreten verlangt werden. Häufig werden Frauen ab einem gewissen Alter auf einen weniger publikumsträchtigen und nicht selten schlechter bezahlten Arbeitsplatz versetzt.
Um die Rechte von Frauen zu stärken und vor allem Diskriminierung im Bewerbungsprozess zu unterbinden, gilt seit dem 18. Februar 2019 das „Circular on Further Regulating Practice to Promote Female Employment”. Es verbietet ausdrücklich, in Bewerbungsverfahren ein bestimmtes Geschlecht zu präferieren. Unzulässig sind zum Beispiel Fragen nach dem Familienstand, nach Kindern und bestehender Schwangerschaft. Im Rahmen der ärztlichen Eingangsuntersuchungen dürfen keine Schwangerschaftstests durchgeführt werden. Arbeitgebern wird außerdem untersagt, die Anzahl der Kinder als Voraussetzung für den Arbeitsplatz zu limitieren.
Bei Nichtbeachtung drohen unter anderem Geldstrafen sowie Punktabzüge im Rahmen des in Einführung befindlichen Sozialkreditsystems für Unternehmen, welches öffentlich einsehbar ist. Zwar ist bisher wenig über die konkrete Implementierung bekannt, doch empfiehlt Ulrike Glück, Partnerin bei CMS Shanghai, die bestehenden Bewerbungsprozesse nach geschlechtsdiskriminierenden Faktoren zu durchforsten und auch mit der Personalbeschaffung betraute Firmen entsprechend zu instruieren.