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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | China | Konsumverhalten
Private Verbraucher sollen das Wirtschaftswachstum Chinas wieder ankurbeln. Doch angesichts der unsicheren Arbeitsmarktlage und Liquiditätsengpässen besteht gewisse Skepsis.
03.07.2020
Von Stefanie Schmitt | Beijing
Dem privaten Konsum kommt bei der Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft eine zentrale Rolle zu. Die Förderung des Binnenkonsums gehört spätestens seit dem Amtsantritt des derzeitigen Staatspräsidenten Xi Jinping zu den Leitlinien der chinesischen Politik. Dabei geht es vor allem um die Abkehr von der zu Beginn der Wirtschaftsreformen verfolgten exportorientierten und investitionsgetriebenen Wirtschaft. Zusätzlich gewinnt der Faktor an Gewicht, sich von der Weltnachfrage sowie der im Zuge der Coronakrise global rückläufigen Wirtschaftsentwicklung unabhängiger machen zu wollen. Dies wurde nicht zuletzt beim Nationalen Volkskongress im Mai 2020 deutlich, bei dem erstmals kein Wachstumsziel genannt wurde. Dafür stand der Privatkonsum als Schlüsselelement im Vordergrund.
Allerdings entwickelte sich Chinas Binnenkonsum schon 2019, also bereits vor der Coronakrise, nicht mehr in die gewünschte Richtung. Vielmehr nahm sein Beitrag zum Wirtschaftswachstum im Vergleich zu 2018 um 8,1 Prozentpunkte ab. Generell setzt sich der Binnenkonsum zu etwa 30 Prozent aus öffentlichem und zu 70 Prozent aus privatem Verbrauch zusammen, so Yu Ze, Professor an China's School of Economics der renommierten Renmin-Universität, in einem Bericht der China Daily. Die nachlassende Konsumlust war nicht zuletzt einer der Gründe für die schwächere Wirtschaftsentwicklung des Landes.
2014 | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019*) | |
---|---|---|---|---|---|---|
Binnenkonsum | 56,3 | 69,0 | 66,5 | 57,5 | 65,9 | 57,8 |
Investitionen | 45,0 | 22,6 | 45,0 | 37,7 | 41,5 | 31,2 |
Nettoexporte | -1,3 | 8,4 | -11,6 | 4,8 | -7,4 | 11,0 |
Der Ausbruch der Lungenkrankheit Covid-19 ließ viele Verbraucher noch vorsichtiger agieren. Tatsächlich verloren in den ersten Monaten 2020 mehrere Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz oder sahen sich mit der Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes konfrontiert. Andere mussten sich mit Gehaltskürzungen abfinden. Auch bei denjenigen, die ein geregeltes Gehalt beziehen, ist die Unsicherheit groß.
Entsprechend gingen die Einzelhandelsumsätze mit Konsumgütern zwischen Januar und Mai 2020 um 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. Selbst im erfolgsverwöhnten Online-Handel stiegen die Umsätze im gleichen Zeitraum lediglich um 4,5 Prozent. Im 1. Quartal 2019 hatte der Sektor noch ein Plus von 15,3 Prozent gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode verzeichnet. Die Ausgaben für Kleidung und Schuhe gingen in den ersten fünf Monaten um 23,5 Prozent zurück, für Tabak und Alkohol um 6,3 Prozent. Für Nahrungsmittel legten sie indessen nicht zuletzt aufgrund der deutlich gestiegenen Lebensmittelpreise um 13,4 Prozent zu. Nach Angaben des nationalen Statistikamtes NBS trug der gesunkene Binnenkonsum zu mehr als 60 Prozent zum Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 6,8 Prozent im 1. Quartal 2020 bei.
Um die Kauflaune anzuregen, haben die Zentral- sowie verschiedene Lokalregierungen unterschiedliche Maßnahmen eingeleitet. Sie reichten bislang von der Ausgabe von Gutscheinen bis hin zu Subventionen zum Kauf von Automobilen, schrieb China Daily. Sie wurden offenbar gerne angenommen, kommentierte Yu Ze. Doch an den Ursachen der Kaufunlust ändern sie wenig. Hierfür bedürfe es sicherer Einkommen.
Ohnehin ist ein Teil der Konsumausgaben für 2020 unwiederbringlich verloren. Nur weil jemand im 1. Halbjahr nicht zum Friseur gehen konnte, wird er sich deshalb in der 2. Jahreshälfte nicht jede Woche eine neue Frisur zulegen. Andere Käufe, insbesondere von langlebigen Konsumgütern wie Autos, könnten im 2. Halbjahr 2020 oder 2021 nachgeholt werden. Voraussetzung ist, dass das Vertrauen in die Zukunft steigt.
Als problematisch sieht Yu Ze in diesem Zusammenhang auch die in den letzten Jahren stark gestiegene private Verschuldung. Viele Haushalte haben jetzt angesichts gesunkener Einkommen Liquiditätsprobleme bei der Begleichung ihrer Kredite. An Konsum ist in dieser Situation nicht zu denken.
Die Verschuldungsrate der privaten Haushalte in der Volksrepublik lag 2018 im Verhältnis zum BIP bei 60,4 Prozent. Damit war sie zwar noch deutlich geringer als der Durchschnittswert entwickelter Länder (72,1 Prozent). Allerdings wies sie eine stark steigende Tendenz auf. So stieg die Verschuldungsrate in China 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozentpunkte. Dagegen legte sie in den USA nur um 1,5 Prozentpunkte und in Australien um lediglich 0,7 Prozentpunkte zu.
Mit steigender Verschuldung steigt der Druck zur Rückzahlung. Die Spielräume für künftigen Konsum schrumpfen. Schon 2019 wuchsen an private Haushalte ausgezahlte Kredite im Jahresvergleich um 15,5 Prozent und in den ersten vier Monaten 2020 um weitere 13,9 Prozent.
Betroffen von den Auswirkungen der Coronakrise sind vor allem Haushalte der unteren und mittleren Einkommensstufen. Sie sind es auch, denen vorhandene Schulden beziehungsweise deren Rückzahlung bei Einkommenseinbrüchen besonders zu schaffen machen. Dagegen sind Haushalte der oberen Einkommens- und Vermögensklassen offenbar bisher gut durch die Krise gekommen. Darauf lassen zumindest die Verkäufe von Automobilen der oberen Preisklassen schließen, die sich derzeit einer Sonderkonjunktur erfreuen.
Generell rächt sich, dass viele chinesische Konsumenten, speziell der jüngeren Generation, sich zu sehr darauf verlassen haben, dass es mit dem Wirtschaftswachstum "ewig" weitergeht. Während Sparen bei älteren Menschen im Reich der Mitte als wichtige Tugend gilt und das Kaufen auf Pump nur in Ausnahmen akzeptabel erscheint, sieht die jüngere Generation dies nicht mehr so strikt. Ganze 56 Prozent der Beschäftigten im Alter von 35 Jahren und jünger legten überhaupt nichts zurück, hatte Fidelity International 2019 ermittelt.
Allerdings wird auch die Pandemie wenig am Wunsch chinesischer Konsumenten ändern, ein qualitativ besseres Leben führen zu wollen. Dazu gehören für die Meisten hochwertige, gesunde und modische Produkte.