Dieser Inhalt ist relevant für:
FinnlandF&E
Wirtschaftsumfeld
Bericht Wirtschaftsumfeld Finnland F&E
Helsinki (GTAI) - Nur wenige Nationen geben für Forschung und Entwicklung so viel Geld aus wie die Finnen. Um die Ideen auf den Markt zu bringen, werden starke Industriepartner gesucht.
10.09.2018
Wer sich ein Bild von Finnlands Forschungsexzellenz machen möchte, der sollte in die fünf Autostunden von Helsinki entfernte Küstenstadt Vaasa fahren. Dort forschen Unternehmen an Schiffstechnologien, die es großen Handelsschiffen erlauben, ohne Kapitän an Bord in See zu stechen. Das von dem Industrieforschungskonglomerat DIMECC (Digital, Internet, Materials & Engineering Co-Creation) gegründete Cluster "One Sea" (https://www.oneseaecosystem.net) will bis 2025 Technologien für eine autonome Handelsschifffahrt entwickeln. Die finnische Regierung stellt an diesem Küstenabschnitt das weltweit erste offene Testgebiet für die autonome Schifffahrt, "Jaakonmeri", zur Verfügung.
Bei "One Sea" mit an Bord sind starke Partner aus Industrie und Forschung, darunter Meyer Turku, ABB, Ericsson, Wärtsilä und Rolls-Royce. Und sie investieren kräftig: Wärtsilä, der finnische Spezialist für Schiffsmotoren, will bis 2020 für rund 83 Millionen Euro ein neuartiges Zentrum in Vaasa bauen. Forschungs-, Produktentwicklungs- und Produktionsaktivitäten werden zusammengelegt, um kürzere Innovationszyklen zu ermöglichen. Auch externe Partner, wie Unternehmen, Universitäten und Start-ups sollen die Möglichkeit erhalten, mitzuentwickeln. Rolls-Royce eröffnete bereits Anfang 2018 ein Forschungszentrum zur autonomen Schifffahrt im südwestfinnischen Turku.
Die autonome Schifffahrt ist nur ein Beispiel dafür, warum Finnland zu den international renommiertesten Forschungsstandorten gehört. Im Global Competitiveness Index 2017-2018 des Weltwirtschaftsforums rangiert das nordische Land in der Kategorie "Innovation" auf dem 4. Platz, nach der Schweiz, den USA und Israel.
Unternehmen und Staat gaben 2016 etwa 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Forschung und Entwicklung (F&E) aus. Im Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schaffte es Finnland somit auf Platz zehn. Im Jahr 2009 stand das nordische Land mit 3,8 Prozent sogar auf Platz zwei der Weltrangliste, direkt hinter Israel.
Ab 2010 rutschte das Land im internationalen Vergleich allerdings etwas ab. Hintergrund dafür waren unter anderem die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise als auch die Probleme beim einstigen Handy-Riesen Nokia. Die weltweiten F&E-Ausgaben des Nokia-Konzerns halbierten sich zwischen 2009 und 2015 in der Phase der Umstrukturierung und des Verkaufs der Handy-Sparte an Microsoft nahezu. Damit sanken auch die finnischen Forschungsausgaben insgesamt im selben Zeitraum um knapp 11 Prozent.
Machte die von Nokia dominierte Elektronikindustrie 2008 noch einen Anteil von rund 58 Prozent aller finnischen Forschungsausgaben aus, waren es 2016 deutlich weniger, aber noch immer knapp 36 Prozent. Denn Nokia ist seit der Übernahme des Konkurrenten Alcatel-Lucent nicht nur der größte Netzwerkausrüster weltweit, sondern auch wieder Finnlands größtes Unternehmen und folglich ein wesentlicher Forschungsakteur.
Obwohl Nokia mit der Telekommunikationsausrüstung ein großer Schwerpunkt in Finnlands Forschungslandschaft bleibt, finden sich auch andere Unternehmen mit großen Forschungsbudgets. Dazu zählen zum Beispiel die Banken- und Versicherungsgruppe OP, der internationale Aufzughersteller Kone sowie der Hersteller von Schifffahrts- und Energielösungen Wärtsilä. Hohe Forschungsausgaben werden auch von ausländischen Unternehmen in Finnland wie ABB (131 Millionen Euro), Bayer (71 Millionen Euro) und Ericsson (61 Millionen Euro) getätigt.
Rang | Unternehmen | Ausgaben 2017 (in Mio. Euro) | Forschungsintensität (in Prozent) *) |
1 | Nokia | 4.916 | 21,2 |
2 | Kone | 158 | 1,8 |
3 | Wärtsilä | 141 | 2,9 |
4 | Stora Enso | 127 | 1,3 |
5 | Amer Sports | 102 | 3,8 |
6 | Orion | 105 | 9,7 |
7 | Cargotec | 92 | 2,8 |
8 | Tieto | 75 | 4,9 |
9 | Valmet | 64 | 2,0 |
10 | Fortum | 53 | 1,2 |
*) Forschungsintensität als Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Umsatz desselben Jahres
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest
Außerdem befeuerte der schmerzhafte Umstrukturierungsprozess bei Nokia die finnische Start-up-Szene, indem zahlreiche ehemalige Mitarbeiter neue Firmen gründeten. Beispiele dafür sind die bekannten Gaming-Unternehmen Rovio ("Angry Birds") und Supercell ("Clash of Clans"). Hinzu kommt auch eine verbreitete Gründungsförderung an den finnischen Universitäten, allen voran an der technischen Aalto-Universität in der Stadt Espoo.
Eine Gelegenheit, Finnlands Gründer- und Technologieszene kennenzulernen, bietet die Veranstaltung "Slush" im Dezember 2018.
Weitere Informationen zu Finnland als Start-up-Standort finden Sie in dem GTAI-Bericht "In Finnland werden jährlich 500 bis 700 Start-ups gegründet" unter http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/Trends/StartUps/Land-Finnland/trend-land-finnland.html
Im weiten Feld der Digitalisierung können deutsche Unternehmen zum Ausbau des finnischen E-Health-Systems beitragen oder Forschungspartner in der Industrie 4.0 finden. Während finnische Unternehmen bei Software- und Telekommunikationslösungen stark sind, zum Beispiel bei Fernwartungslösungen oder Massendatenanalysen, fehlt oft ein Industriepartner für die Anwendung in Maschinen und Anlagen. Nähere Informationen enthält dieser GTAI-Bericht: "Digitalisierungsmeister Finnland baut E-Health und E-Governmentlösungen aus": http://www.gtai.de/MKT201802198007.
Neben Nokia und dem Start-up-Ökosystem um die Digitalisierung mausert sich auch Finnlands Forstindustrie zu einem relevanten Forschungsakteur. Der Rückgang der Papiernachfrage treibt die Unternehmen in einen Strukturwandel, der sie zu Produktinnovationen aus Holz drängt. Beispiele sind erneuerbarer Diesel, Textilien, neue Baumaterialien oder ein Nährmedium für die Zellzüchtung.
Neue Wege geht auch Metsä Fibre in der Zellstoffherstellung. In seinem Werk in Äänekoski baut das Unternehmen ein Cluster auf, um auch die Reststoffe zu Produkten mit höherer Wertschöpfung zu veredeln. Der Innovationsschub der gesamten Branche ist noch nicht abgeschlossen und die großen finnischen Unternehmen zeigen sich auch für innovative Mittelständler zugänglich.
Bezeichnung | Internetadresse | Anmerkungen |
AHK Finnland | http://www.dfhk.f | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen |
Työ- ja elinkeinoministeriö | http://www.tem.fi/en | Arbeits- und Wirtschaftsministerium |
Business Finland | https://www.businessfinland.fi/en/for-finnish-customers/services/innovate/ | Wirtschaftsförderungsgesellschaft Finnlands mit Forschungsförderung (ehemals Tekes) |
DIMECC | https://www.dimecc.com | Industrieforschungskonglomerat |
Sitra | http://www.sitra.fi/en | Staatlicher Investitionsfonds |
VTT | http://www.vttresearch.com | Staatliches Forschungszentrum |
Start-up-Konferenz "Slush" | http://www.slush.org | 4.-5.12.18 in Helsinki; rund 20.000 Teilnehmer, davon 2.600 Start-ups und 1.600 Investoren (2017) |
Weitere Informationen zu Finnland finden Sie unter http://www.gtai.de/finnland.