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Viele Arbeitgeber werden Anfang 2021 notgedrungen die Boni zum Chinesischen Neujahr streichen. Auch Kürzungen der Grundgehälter sind in bestimmten Branchen unumgänglich.
04.12.2020
Von Roland Rohde | Hongkong
Bis Mitte 2019 war der Arbeitsmarkt in Hongkong geradezu leergefegt. Die offizielle Erwerbslosenquote belief sich im 1. Halbjahr 2019 laut Angaben des lokalen Statistikamtes auf 2,8 Prozent. Einschließlich der Unterbeschäftigung ergab sich eine Rate von 3,8 Prozent. Bei solchen Werten sprechen Volkswirte auch von Vollbeschäftigung. Tatsächlich herrschte in vielen Branchen und Sparten Fachkräftemangel. Arbeitgeber bekamen die Lage deutlich zu spüren, da viele Angestellte zwischen 2017 und 2019 ihre ehemaligen Jobs verließen und besser bezahlte Positionen bei der Konkurrenz annahmen. Die traditionell ohnehin schon geringe Betriebstreue erreichte ein Rekordtief. Wer seine Mitarbeiter bei der Stange halten wollte, musste tiefer in die Tasche greifen und die Löhne beziehungsweise Boni kräftig erhöhen.
Doch infolge der im Sommer 2019 einsetzenden politischen Unruhen und der sich nahtlos anschließenden Coronapandemie hat sich die Situation radikal geändert. Vor allem die Schließung der Grenzen im März 2020 und das Ausbleiben der kaufkräftigen Touristen vom chinesischen Festland hat personalintensive Branchen wie den Einzelhandel, die Gastronomie sowie Transportunternehmen hart getroffen.
Zehntausende kleine Läden, Restaurants, Bars und Reisebüros sind bereits pleitegegangen. Weitere Betriebe dürften 2021 folgen. Durch stetig neue Infektionsausbrüche kommt es immer wieder zu Einschränkungen des Geschäftsbetriebs und zu erneuten Umsatzrückgängen. Ende November 2020 erfasst die inzwischen vierte Ansteckungswelle die Sonderverwaltungsregion (SVR).
Hinzu kommt, dass geplante Travel Bubbles, von denen man sich Entlastung erhoffte, nicht zu Stande kamen beziehungsweise kurz vor dem Start platzten. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Regierung sich erst nach der Impfung weiter Teile der Bevölkerung zu einer umfassenderen Grenzöffnung durchringen wird. Das dürfte nicht vor dem Sommer/Herbst 2021 geschehen. Viele kleine Geschäftsinhaber haben aber keine Reserven mehr, um noch ein knappes Jahr durchzustehen.
Indes leiden auch größere Betriebe. Besonders stark trifft es die Fluggesellschaft Cathay Pacific. Sie hat im Herbst 2020 bereits die Auflösung ihrer Tochtergesellschaft Cathay Dragon angekündigt. Viele Mitarbeiter wurden entlassen oder in unbezahlten Urlaub geschickt, was nach dem Hongkonger Arbeitsrecht ohne Weiteres möglich ist. Jene Angestellte, die ihre Anstellung vorerst behalten konnten, müssen neue Arbeitsverträge mit deutlich geringeren Gehältern unterzeichnen.
Die offizielle Arbeitslosigkeit – einschließlich der Unterbeschäftigung – stieg im Sommer/Herbst 2020 infolgedessen auf gut 10 Prozent an. Die tatsächliche Quote dürfte höher ausfallen und vermutlich bei etwa 15 Prozent liegen. In Hongkong gibt es keine Arbeitsämter wie in Deutschland, bei denen man sich melden muss. Viele kleine Geschäftsleute, die in Konkurs gegangen sind, warten einfach ab, bis sich die Lage gebessert hat.
Die kommenden Monate dürften sowohl für Arbeitnehmer als auch -geber nochmals härter werden. Ein von der Regierung aufgelegtes Kurzarbeitergeld, das direkt an die Unternehmen ausgezahlt wurde, lief im November 2020 ersatzlos aus. Der Fiskus hat erkannt, dass ihm eine Neuauflage zu teuer käme, obwohl die Hongkonger Regierung noch immer auf hohen fiskalischen Reserven sitzt. Die statistisch erfasste Erwerbslosigkeit dürfte somit weiter steigen.
In Hongkong lebende und arbeitende Ausländer – sogenannte Expatriates – sind vielfach nicht direkt von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie arbeiten oft in der Finanzwirtschaft oder im Außenhandel, wo die Coronakrise sich bislang nicht so stark ausgewirkt hat. Das Hauptquartier in Deutschland kann sogar froh darüber sein, einen qualifizierten Mitarbeiter vor Ort zu haben. Dennoch haben nicht wenige ausländische Familien die SVR verlassen. Laut Angaben von Hongkongs Immigrationsbehörde wurden in den ersten neun Monaten 2020 rund zwei Drittel weniger Arbeitsgenehmigungen für Ausländer erteilt als noch im Vorjahreszeitraum.
Möglicherweise ändert sich die Lage nach dem Abebben der Pandemie und Expatriates strömen wieder in gewohnter Weise in die ehemalige britische Kolonie. Doch womöglich zieht es sie auch an andere Standorte. Die politische Situation in Hongkong erweist sich als wenig erfreulich. Im Ranking der besten und schlechtesten Städte für Expatriates von InterNations rutschte die SVR 2020 auf den 57. Platz und landete damit im letzten Zehntel der bewerteten Metropolen.
Arbeitgeber in Hongkong haben die Gehälter 2020 gar nicht oder nur marginal nach oben angepasst. Laut Angaben des nationalen Statistikamtes lagen die Nominallöhne im Juni 2020 rund 1,3 Prozent oberhalb des Vorjahresniveaus. Das dürfte auch daran liegen, dass es zum Jahresbeginn noch Erhöhungen gegeben hatte, als sich das ganze Ausmaß der Pandemie noch nicht abzeichnete.
Nach Umfragen der Internet-Jobvermittlung JobsDB konnte sich 2020 nur die Hälfte aller Vollzeitbeschäftigten über eine Entgelthöhung freuen – ein Rückgang von 20 Prozentpunkten gegenüber 2019. Rund 10 Prozent mussten sich sogar mit Kürzungen abfinden. Im Bereich Einzelhandel und Marketing/Verkauf gingen die Gehälter um 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. In der Sparte Beherbergung und Tourismus lag das Minus bei 8 Prozent.
Art der Veränderung | 2019 | 2020 |
---|---|---|
Erhöhung | 70 | 50 |
Keine Änderung | 26 | 40 |
Reduzierung | 4 | 10 |
Im Jahr 2021 dürfte es im Durchschnitt geringere Lohnerhöhungen beziehungsweise in bestimmten Branchen sogar weitere Gehaltskürzungen geben. Unter besonders starken Druck dürften traditionelle Boni zum Chinesischen Neujahr, die Ende Januar ausgezahlt werden, kommen. Sie könnten um fast ein halbes Monatsgehalt sinken. Eingerechnet der Sonderzahlungen müssen somit die meisten Hongkonger Angestellte 2021 mit sinkenden Arbeitseinkommen rechnen.